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Kommentar zur AbiturangleichungRichtiges Ziel, falscher Weg

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Es muss etwas gegen die Abitur-Ungerechtigkeit in den Bundesländern getan werden. Aber der Versuch, die Prüfungen zu vereinheitlichen, ist falsch.

Bundesweite Abituraufgaben: Sind jetzt alle gleich? Foto: dpa

K eine Frage – das Ziel der 16 KultusministerInnen, das Abitur besser vergleichbar zu machen, kann man nur begrüßen. Seit Jahren zeigen die Abischnitte im föderalen Bildungsland Deutschland: Wer in Thüringen zur Schule geht, hat bessere Chancen auf eine gute Abschlussnote als jemand in Schleswig-Holstein.

Eine Ungerechtigkeit mit weitreichenden Folgen. Denn die Hälfte der Studiengänge an deutschen Hochschulen ist zulassungsbeschränkt. Sprich: Wer Medizin oder Jura studieren will, muss sich an einer Note messen lassen, die wenig aussagt über seine Leistung. Jeder weiß, dass eine Spitzennote in Bayern schwerer zu erreichen ist als in Thüringen. Bei der Studienplatzvergabe spielt das hingegen keine Rolle. Das ist unfair.

Es gibt zwei Wege, auf diesen Befund zu reagieren – die KultusministerInnen haben sich leider für den falschen entschieden. Anstatt die Hochschulzulassung gerechter zu gestalten, etwa durch die Ablösung des NC zugunsten von Aufnahmeprüfungen, versuchen sie ein Ding der Unmöglichkeit: die Abiturprüfungen zu vereinheitlichen.

Das ist nicht allein deshalb utopisch, weil es den Ländern selbst freisteht, wie viele der Prüfungen des bundesweiten Aufgabenpools sie für ihre SchülerInnen aussuchen. Auch deshalb, weil etwa Berliner SchülerInnen Mathe umgehen können, während es woanders eine Pflichtprüfung ist.

Das Problem geht aber noch viel tiefer: Heute zählen in allen Bundesländern zum Abischnitt nicht nur die Noten der finalen Prüfung. Einen Großteil der Note machen die Fächer aus, die man in den letzten beiden Schuljahren belegt. Nur: Wie viele Leistungen einfließen, welche Pflicht sind und welche frei wählbar, ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Sollten die Abinoten tatsächlich vergleichbar werden, müssten die KultusministerInnen das föderale Schulsystem antasten. Da das niemand will, bleibt nur die naheliegende Lösung: die Reform der Studienplatzvergabe.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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9 Kommentare

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  • 8G
    83421 (Profil gelöscht)

    Ich habe 1966 mein Studium in Leipzig begonnen, die Aufnahmepruefung an der Uni war ein Jahr vor dem Abitur. Ich fand das sinnvoll. Mein Sohn hat in Yale (USA) studiert, auch nach Aufnahmepruefung. Ich kenne eigentlich kein Land, wo eine

    anspruchsvolle Ausbildung ohne Eingangspruefung moeglich ist (ausser D). In meinem Fach (Physik) machen wir seit Jahren fuer die Erstsemester eine Vorkurs, um die groessten Luecken zu schliessen. Das hilft nur bedingt, gegenueber meinem Studium ist die Stoffmenge um ca. 1/3 gekuerzt.

  • Die sinnvollste Form der Reform wäre, Abiturnoten abzuschaffen. Wer sich mal genauer mit Benotung auseinander gesetzt hat weiß das. Die Benoterei ist eine unendliche Farce und ein gesellschaftlicher Selbstbeschiss mit gravierenden Nebenwirkungen.

     

    Von allen Modellen, die ich bisher kennen gelernt habe, wäre das klügste, eine allgemeine Hochschulreife zu erteilen, aber ohne Note: Einfach nur "Bestanden/Nicht bestanden".

     

    Und dann an den Unis die Auswahl zu organisieren und da einfach per ZVS zu losen. Mit Wartesemesterbonus.

     

    Das würde dem Noten-/Pseudo-Leistungs-Fetisch ein Ende setzen und an den Schulen die Freiheiten erzeugen, die dort nötig sind, um gute Bildung machen zu können.

  • Zunächst, die naheliegendste Lösung des Problems ist tatsächlich die von Studienplatztests, und zwar keine weichgespülten sondern knallharte. Nur dann haben wir eine Gerechtigkeit und nur die wirklich Besten können diesen Studiengang belegen. Das müssen keine reinen schriftlichen Tests sein, sondern auch mündliche (ergänzend).

    Das würde in der Folge schon dazu führen dass sich einige Bundesländer, die bisher mit sagenhaften Abiturschnitten 'auffällig' sind, entsprechend anpassen. Sprich deutlich strenger werden. Und da fallen mir zuallererst Bremen, Hamburg, NRW und Niedersachsen ein, nicht Thüringen.

    Dort sind die Notenschnitte besser da es beim Übergang von Grundschule zu Gymnasium knallharte Übergangstests gibt, und nicht nach bloßem Elternwille entschieden wird. Das nur am Rande.

     

    Das andere Problem ist tatsächlich größer und komplizierter, nämlich die faktisch wirkliche Vereinheitlichung der Abiturnotengebung. Der Sache nach ist dies nicht wirklich schwierig, aber es berührt (leider) den Grundgesetzlichen Föderalismus.

    D.h. wenn auch das Thema Schule auf den Bund übertragen wird, dann bleibt im Prinzip den Ländern nicht mehr viel übrig.

    Meiner Meinung nach kein Problem und der richtige Weg. Es bedarf nur einer Grundgesetzänderung, da die sog. vertikale Gewaltenteilung uns seinerzeit durch die Alliierten 'auferlegt' wurde.

  • In den Niederlanden geht die Studienplatzvergabe ohne Abinote.

    Es kann nach einer Bewerbung zu Gesprächen eingeladen werden, aber das sind eher Vorstellungs- als Bewerbungsgespräche. Im ersten Jahr des Studiums werden die Student_innen recht intensiv betreut und danach gibt es eine Entscheidung, ob sie weiter studieren können oder nicht. Nicht weiter studieren sollen sie, wenn nicht absehbar ist, dass sie das Studium schaffen werden.

     

    Mit graut ehrlich gesagt vor der Generation Abi 1,x. Angeblich gibt es so viele 1,0-Abiturienten, dass man selbst mit 1,1 noch 9.000 Mitbewerber_innen auf einen begehrten Studienplatz mit gleicher/besserer Note hat.

     

    Ehrlich gesagt möchte ich nicht von 1,0 Anwälten und Ärzten betreut werden müssen, die direkt nach der Schule an die Uni sind, um dann mit 25 Jahren ihre richtige Karriere zu beginnen.

     

    Im Sozialismus mag das sehr gute (und seltene) Abitur ein Kriterium zum Studieren gewesen sein, grundsätzlich halte ich aber die Auswahl nach Notendurchschnitt in unserer Gesellschaft nicht für sinnvoll.

     

    Der Trost für alle, die nicht gleich zum Zuge kommen: In den Jahren des "Wartens" lernt man meist sehr sinnvolle Sachen, vor allem was vom Leben und Arbeiten :-) Ich kenne viele, die einige Jahre auf ihren Wunschstudienplatz warten mussten, die haben dann aber auch alle tapfer und zielstrebig durchgehalten. Auch "Quereinsteiger" wie Handwerker_innen mit Fachabi werden an Hochschulen sehr gerne genommen, da die mit ihrer Lebenserfahrung meist anders an ein Studium heran gehen als 18jährige mit Abi 1,x, die meinen, ihnen müsste (weiterhin) die ganze Welt zu Füßen liegen.

  • Die Vorschläge des Autors sind, ironischerweise bei einem Kommentar über die Studienplatzvergabe, leider unwissenschaftlich. Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, dass die zahllosen Alternativen zur Studienplatzvergabe alle jeweils noch schlechter als der Abinotendurchschnitt dabei abschnitten, den Studienerfolg vorherzusagen. Daher bleibt es dabei, der Vergleich der Abiturnote das beste Zulassungskriterium ist und der Trend der Hochschulen auf Grund des öffentlichen Drucks alternative Zulassungsverfahren anzubieten, ein Fehldenken ist.

     

    Ja, es gibt einzelfälle wo der Bewerber mit dem schlechteren Abischnitt aber der größeren menschenkenntnis später der bessere Arzt ist. Aber es sind eben genau dies: Einzelfälle. Und rein statistisch ist die Abinote daher weiterhin das sinnvollste Kriterium.

     

    Nicht erst daovn zu reden, wie absurd und aufwendig es ist, wenn man sich bei 10 Unis bewirbt und dann 10 verschiedene Tests machen soll, wozu man dort natürlich auch hinreisen muss, sich vorbereiten und was Menschen bewerten müssen. Da ist der Vergleicht der Abiturnoten nciht nur besser, sondenr auch viel einfacher.

     

    Im Gegenteil sollte der Autor mal hinterfragen, warum es so schwierig ist die Abiturnoten anzugleichen: Wozu brauchen wir diesen blödsinnigen Bildungsförderalismus denn überhaupt? Real existiert dieser lediglich, weil Bildung eines der wenigen Themen ist, wo die Ländern noch reale Macht haben und die geben diese ungern ab. Sinnvoll macht es das aber nicht. Ein "Wettbewerb" würde nur Sinn ergeben, wenn ich die Wahl habe zwischen produkt A und B. Wenn ich aber zur Schule gehe, so habe ich nur die eine Option: Die des Bildungssystems in meinem Bundesland. Kein Mensch zieht um wegen des Bildungssystems.

    Daher: Abiturnoten beibehalten als Kriterum, Bildungsförderalismus abschaffen.

    • @Dubiosos:

      Können Sie diese "wissenschaftlichen Studien" dazu mal aufführen?

  • Eine bessere Vergleichbarkeit ist ohne Frage erstrebenswert wert, aber das Problem ist ja nicht mit der Zulassung beendet, sondern geht munter weiter. Letztlich sollte die Zulassungsbeschränkung einen erfolgreichen Abschluss des Studiums garantieren. Die hohen Abbrecherquoten belegen aber, dass der Notendurchschnitt als alleiniges Kriterium eine fragwürdige Methode ist und in einem Übergangsbereich der Noten vermutlich kaum besser als ein Losverfahren ist. Der derzeitige "Reparaturbetrieb" zur Behebung von Lücken im Vorwissen hat ja weniger mit verschiedenen Ländern zu tun als mit dem, was bereits innerhalb eines Bundeslandes möglich ist. Statt einer verkappten Allgemeinbildung mit unnötigen Spezialisierungen in einzelnen Fächern, halte ich eine Schwerpunktbildung in Bereichen wie MINT, Sprachen, Gesellschaft, Kunst und eine Beschränkung des Hochschulzugangs zu entsprechenden Fächern für angemessener und ehrlicher, auch wenn man dafür die "heilige Kuh" allgemeine Hochschulreife schlachten muss.

  • Was vor der Einführung möglicher Regulierungsmonstren geklärt werden sollte, ist die Frage, wie groß das Problem wirklich ist.

    Wieviele bekommen nicht ihren Studienplatz an ihrer Lieblingsuni? So sind zB nicht alle Fächer zulassungsbeschränkt (und das wird eher weniger werden, da die Unis volle Studiengänge haben möchten), zum Anderen gibt es an den meisten Unis einen deutlichen regionalen Bezug in den Grundstudiengängen. Wieviele möchten aus Schleswig-Holstein zum Studieren nach München? Viel zu weit weg, zu teuer für eine Massenbewegung, die dann den Bayern die Studienplätze wegnehmen.

     

    Keine Frage, die Abiturdurchschnittsnoten sind unterschiedlich, aber so groß sind die Unterschiede nun auch wieder nicht (ca. 0,5 Notenstufe). Eher ist zu hinterfragen, was die Noten für die Eignung als Mediziner, Tiermediziner etc aussagen. Deshalb gibt es ja für einige Fächer auch ergänzende Zulassungsbestimmungen, zB Auswahlgespräche. Dumm nur, dass die Quote derjenigen, die das Studium abschliessen von denen mit Auswahlgesprächen nicht besser ist als mit Abiturnote.

    Verschiedene Studien zeigen, dass die Abiturnote, so unterschiedlich sie ermittelt wird, eine gewisse Vorhersagekraft fürs Studium hat. Wobei die Fehlerbreite größer ist als die halbe Note Unterschied zwischen den Ländern. Jemand mit einer 3 in Bayern ist aber wahrscheinlich nur in wenigen Fällen besser als jemand mit einer 1,2 in Berlin. Und die individuelle Variabilität lässt sich eh nicht normen. Zum Glück.

  • Eine Reform der Studienplatzvergabe wäre schön. Aktuell ist es ein Drama und man sehnt sich die Zeiten der ZVS zurück. Wenn jetzt noch bei jeder Bewerbung ein Test gemacht werden müsste, wäre das sicherlich keine Verbesserung.