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Kommentar zum RWE-UrteilArbeitsverweigerung in Essen

Kommentar von Philipp Schulte

Ein peruanischer Bauer verklagt RWE wegen des Klimawandels – und scheitert. Das Gericht verpasst es, zur globalen Gerechtigkeit beizutragen.

Gletscherteile vor Argentinien: Der Klimawandel trifft bislang vor allem den globalen Süden Foto: dpa

R echtsgeschichte wollte das Landgericht Essen offenbar nicht schreiben – und wies die international beachtete Zivilklage des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya gegen den RWE-Konzern kurzerhand als unzulässig ab. In dem Präzedenzverfahren verlangte der 36-jährige Lliuya von dem Essener Braunkohlegiganten, sich an den Sanierungskosten für einen Damm an der Lagune Palcacocha zu beteiligen. Diese nimmt in 4.500 Metern Höhe das Schmelzwasser eines abfließenden Andengletschers auf.

Durch die Erderwärmung schmilzt das vermeintlich ewige Eis auf den Bergen rasant, und der Wasserpegel in der Lagune steigt immer weiter an. Ohne Sanierung wird der Damm eines Tages brechen und eine riesige Flutwelle auf das genau unterhalb gelegene Huaraz, die Heimatstadt des Klägers, niederstürzen.

Unter dieser ständigen Bedrohung müssen in Huaraz mit Lliuya und seiner Familie noch 120.000 andere Menschen leben. Mit der Abweisung aus Rechtsgründen hat das Essener Landgericht eine wichtige Gelegenheit verspielt, auf dem langen Weg zu globaler Klima- und Ressourcengerechtigkeit ein paar Hindernisse beiseite zu räumen. Dabei ist es gerade der Zweck von Gerichtsverfahren, unterschiedliche, mitunter gegenläufige Interessen in einem fairen Prozess auszugleichen.

In einer lebendigen Welt steht die Rechtsprechung täglich vor dieser Aufgabe und muss dafür altbewährte Grundsätze auf neue Konfliktsituationen übertragen. Es obliegt der Justiz, so auf diese ihre Weise zu sozialem Frieden beizutragen.

Die Klage

Was? Das Essener Landgericht wies am Donnerstag die Schadenseratzklage wegen Klimaschäden eines Landwirts aus Peru gegen den Energieriesen RWE zurück.

Wer? Der Landwirt Saúl Lliuya fordert von RWE 17.000 Euro für Schutzmaßnahmen gegen das Überlaufen eines Gletschersees oberhalb seiner Heimatstadt Huarez. Ursache für das Schmelzen sei der Klimawandel, den RWE mit seinen Kohlekraftwerken mitverursacht habe.

Warum? RWE produziert mehr als die Hälfte seines Stroms aus Kohlekraftwerken und ist damit Mitverursacher der Klimawandels. Der Konzern hatte die Forderung zurückgewiesen. Ein einzelner Emittent könne nach dem deutschen Zivilrecht nicht für allgemein verursachte und global wirkende Vorgänge wie den Klimawandel haftbar gemacht werden. (rtr)

Dies muss heute auch international gelten, denn der Klimawandel schert sich nicht um die Geltungsbereiche von Rechtsordnungen. Er ist ein, im tragischen Wortsinn, weltumspannendes Problem. Seine Auswirkungen zeigen sich bislang vor allem im globalen Süden, doch verursacht hat ihn der Norden. Allein RWE stößt mit seinen 30 fossilen Kraftwerksblöcken in Deutschland jährlich knapp 250.000.000 Tonnen CO2 aus, fünfmal mehr als ganz Peru mit Verkehr, Elektrizitäts- und Wärmeproduktion zusammen. Im Jahr 2014 emittierte Deutschland pro Einwohner 9 Tonnen CO2, in Peru waren es 1,5 Tonnen.

So bleibt eine grundsätzliche Frage unserer Zeit weiterhin unbeantwortet: Mit welchem Recht genehmigen Regierungen in Deutschland Kraftwerke und Industrieanlagen, deren Emissionen das Leben und das Eigentum von Menschen auch in anderen Ländern beeinträchtigen? Ein deutscher Gesellschaftsvertrag reicht ganz sicher nicht bis Huaraz.

Das Essener Landgericht hätte sich der schwierigen Fragen annehmen, Argumente und Tatsachen hören und bewerten, erste Lösungsansätze entwickeln müssen. Doch dem war die Kammer offenbar nicht gewachsen und verweigerte die Befassung. Hoffentlich entscheidet die nächste Instanz anders. Die Zeit drängt.

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9 Kommentare

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  • So sehr ich mit dem Kläger sympathisiere, lieber @Philipp Schulte: Das Gericht konnte nicht anders entscheiden.

     

    Und der Skandal ist ja nicht, dass RWE mit seinen Dreckschleudern zur nachträglichen Schädigung des Weltklimas beiträgt - der Skandal ist, dass dies LEGAL geschieht. Man kann Privatmenschen oder -unternehmen moralisch in den Senkel stellen, wenn sie etwas Unvernünftiges oder gar Schädliches tun, aber rechtlich sind die Staaten verantwortlich, die solche Sauereien erlauben oder gar fördern. Aber auch gegen die sehe ich keine erfolgversprechende rechtliche Handhabe.

     

    Fazit: Revolte gegen den Primat des "Make Money!" und seine politischen Hilfstruppen ist in der Regel aussichtslos.

  • Seltsames Rechtsverständnis!

     

    Gerichte sollen nicht "gegenläufige Interessen in einem fairen Prozess aus[...]gleichen" sondern Recht sprechen. Basis dafür ist das jeweils geltende Recht.

     

    Wenn Sie das Recht ändern wollen, ist der Gesetzgeber der richtige Ansprechpartner, nicht die Gerichte!

  • Der Autor hat eine etwas seltsame Vorstellung von den Aufgaben der Gerichte. Sie sollen das geltende Recht anwenden. Neues Recht zu schaffen ist Aufgabe der Politik. Das nennt man Gewaltenteilung und ist ein sehr wichtiger Grundsatz für funktionierende Staaten.

  • Das Essener Landgericht ist mit Sicherheit nicht die Instanz, die über globale Umweltschäden und deren Verursachung zu entscheiden hat. Wäre das so einfach, dann könnte man einfach vor das Amtsgericht in Kleinkleckersdorf ziehen und Herrn Assad und Herrn Putin wegen Massenmord in Syrien verklagen.

  • Alles andere als eine Klageabweisung wäre in diesem Fall überraschend gewesen. Aufgrund fehlender Nachweisbarkeit der Kaualität wäre die Klage spätestens an der Begründetheit gescheitert.

  • 2G
    21272 (Profil gelöscht)

    Auch in der Sache eine richtige Entscheidung, denn ein Kausalzusammenhang zwischen CO2-Emissionen und dem Klima ist nicht belegt.

  • Naja, also diese Klage kann doch auch nicht ernst gemeint sein.

    Wäre es wirklich so, daß ein deutsches Gericht so eine Klage annehmen würde, hätten wir nämlich folgende Situation:

     

    Alle würden versuchen deutsche Unternehmen zu verklagen, weil es mit Sicherheit in keinem anderen Land zu einer weiteren Klage kommen würde. Somit würde man uns alleine für den globalen Klimawandel zahlen lassen.

     

    Der Artikel kann doch nicht wirklich ernst gemeint sein, oder?

    • @Nobodys Hero:

      Warum sollte der Artikel nicht ernst gemeint sein? Es sind ja nicht deutsche Unternehmen allgemein beklagt, sondern solche, welche ohne technisch-wirtschaftliche Notwendigkeit (bezahlbare und volkswirtschaftlich günstigere Alternativen stehen bereit) die Welt durch Akkumulation von CO2 in der Atmosphäre weiter schnell Richtung in der Atmosphäre Klimakatastrophe bewegen und damit keinen Wert schaffen, sondern nach Abzug der verursachten Schäden sogar enorme Werte, inbesondere für andere Menschen und Wirtschaftssubjekte, vernichten. Zudem kann der Anteil der Verantwortung anhand ihres Anteils an den weltweit ausgestoßenen Emissionen transparent errechnet werden. Die Atmospäre als Mülldeponie zu missbrauchen und damit den Untergang von ganzen Inselstaaten billigend inkauf zu nehmen ist zutief unmoralisch. Zudem werden diese Klagen weltweit angestrengt und sind keineswegs irrational. Irrational und in der Konsequenz zudem äußerst radikal ist das ignorieren des Problems durch Business-as-usual bis die Schäden ins Unermessliche steigen. Das typisch deutsche Opfergehabe ("unsere Wirtschaft") ist angesichts der im Artikel zitierten Zahlen und der Realitäten einfach lächerlich.

      • @Stromrealist:

        Die meisten Punkte sehe ich ähnlich. Ich finde die Inkaufnahme von Umweltschäden ebenso verwerflich.

        Keine Frage.

         

        Aber so etwas muss auf anderer Ebene geklärt werden. Durch Klimaschutzabkommen usw. Aber nicht vor deutschen Gerichten.

         

        Stellen Sie sich vor, die Klage hätte Erfolg gehabt. Wir hätten uns vor Folgeklagen nicht mehr retten können. Und dann wären eben nicht nur ein paar hundert Arbeitsplätze gefährdet gewesen sondern Hundertausende.