Kommentar zu Zeltstädten in Berlin: Ab jetzt nur noch miteinander
Die Halbwertszeit für Prognosen ist derzeit extrem kurz. Deshalb muss die Politik ihr Verhältnis zu den Bürgern neu definieren. Es geht um Zusammenarbeit, auf Augenhöhe.
Das Ziel war eindeutig: Bis Ende des Jahres, gerne auch länger, will der Senat es vermeiden, Flüchtlinge in Berlin in Zelten unterbringen zu müssen. Das sagte Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen im taz-Gespräch vor drei Wochen. Am Mittwoch verkündeten seine Senatskollegen: Es wird eine Zeltstadt in Spandau geben. Für Flüchtlinge.
Die Halbwertszeit für politische Prognosen ist derzeit extrem kurz. Aber das Beispiel des als besonnen auftretenden Finanzsenators zeigt, dass diese Erkenntnis immer noch nicht bei allen angekommen ist. Es ist leicht, sich darüber zu empören – das ist richtig. Richtig ist aber auch: Seit Monaten entpuppen sich alle Vorhersagen als Augurengeschwätz. Das muss spätestens seit diesem Mittwoch jedem Politiker klar sein.
Es wird auf Sicht gefahren
Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zugibt, dass der Senat in der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen nur noch auf Sicht fährt – sprich, nicht weiß, welche Herausforderungen in Kürze auf die Stadt und ihre Bewohner zukommen könnten.
Doch der Senat muss noch einen Schritt mehr tun, damit diese Herausforderungen weder zu platter rechter Propaganda führt noch zu einem Staatsversagen: Er muss das Verhältnis zwischen Bürgern und Politik neu definieren. Es geht um Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Das war zwar jedem klar, der die sich zuletzt – allen Aussagen des Sozialsenators zum Trotz – stets zuspitzende Situation am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verfolgt hat. Aber das Eingeständnis, dass Bürger manches besser wissen als ihre gewählten Repräsentanten, fällt nicht leicht.