piwik no script img

Kommentar zu Antisemitismus-ProgrammAugenhöhe verpasst

Kommentar von Max Czollek

Der Zentralrat der Juden will die Begegnung mit Muslim*innen anstoßen. Dabei verpasst er eine große Chance.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Josef Schuster. Das Problem liegt auch im falschen Ton Foto: dpa

Prävention durch Dialog“ heißt ein neues Programm, das der Zentralrat der Juden in Deutschland mit Unterstützung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, durchführen wird. Dabei soll es um die Begegnung von Juden*Jüdinnen und Muslim*innen gehen. Den Titel muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Prävention durch Dialog. Prävention wovor? Oder eher: vor wem?

Laut Deutschlandfunk erklärte der Vorsitzende des Zentralrats Josef Schuster, es gehe um eine „Begegnung auf Augenhöhe“, mit der „Vorbehalte abgebaut werden sollten“. Das Programm sei eine Antwort auf „Antisemitismus in Teilen der muslimischen Gemeinschaft sowie auf Angriffe von Rechtsextremisten und Islamisten“, denen sowohl Juden als auch Muslime ausgesetzt seien.

Insofern dieses Projekt ausschließlich auf das Gespräch mit Muslim*innen zielt, bezieht sich der Begriff „Prävention“ offensichtlich auf Antisemitismus und Islamismus. Rechtsextremismus ist dem Projekt sozusagen extern. Den enthusiastisch angekündigten, bundesweiten Dialogformaten im Rahmen des Programms entzieht das gleich zu Beginn die Grundlage – denn der Titel „Prävention durch Dialog“ formuliert einen Initialverdacht.

Nun ist schon für sich genommen kurios, wie das vom Zentralrat vorgestellte Programm eine jüdische Erfahrung mit der christlichen Mehrheit mit umgekehrten Vorzeichen reproduziert. Zugleich spiegelt sich darin die Bereitschaft vieler deutscher Juden*Jüdinnen, ihren Teil zu jenem Integrationstheater beizutragen, der vonseiten der Bundesregierung als Modus Operandi in Bezug auf Muslim*innen gilt. Dieses Integrationsparadigma beruht auf ebenjenem Generalverdacht, der sich auch im Begriff „Prävention“ zeigt: In beiden Fällen sieht man die muslimische Seite nicht als gleichberechtigtes Gegenüber in einem notwendigen Dialog über Religion und Politik, Diskriminierung und Utopie. Sondern als verkappte Islamist*innen.

Spaltung aller statt Stärkung einzelner

Der Begriff „Prävention“ ist so vielsagend, weil an der Unterstellung der Gewaltförmigkeit des Gegenübers eine stereotype Zuordnung sichtbar wird. Eine solche Unterstellung, nennen wir sie Islamismushypothese, ist keine Basis für einen „Dialog auf Augenhöhe“. Und deshalb ist sie auch die falsche Strategie, Antisemitismus und Islamismus unter Muslim*innen tatsächlich zu bekämpfen. Dafür bräuchte es vielmehr eine Stärkung der dialogwilligen und progressiven Kräfte in der muslimischen Community. Aber gerade die spricht der Begriff der Prävention nicht an.

Ohne Zweifel kann man unterschiedlicher Meinung sein, wie groß die Gefahr wirklich ist. Unstrittig sollte sein, dass sie nicht von allen Muslim*innen in Deutschland ausgeht, sondern nur einem Teil. An vielen Stellen sind Muslim*innen eben (auch) Verbündete. Im Maxim Gorki Theater Berlin, in der Kreuzberger Ini­tiative gegen Antisemitismus und im jüdisch-muslimischen Gesprächskreis der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin. Und da spreche ich nur von meinem persönlichen Berliner Kontext.

Es gibt längst jüdische Initiativen, die einen Dialog realisieren. Die wohl wichtigste ist das Programm Dialogperspektiven, das seit Herbst 2015 läuft und vom Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk initiiert wurde. Eine Grundlage seines Erfolgs dürfte sein, dass hier eben nicht nur die jüdische und muslimische Seite, sondern Menschen ganz unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Identitäten einen Dialog über gesellschaftliche Themen führen. Das ist sinnvoll, denn Islamismus und Antisemitismus, Rassismus und Hass auf Muslime sind keine Eigenschaften bestimmter Gruppen, sondern Probleme der deutschen Gesellschaft.

Mit dem Begriff der Prävention erklärt Josef Schuster die Bekämpfung von Antisemitismus und islamistische Gewalt zum Ziel des Dialogs mit Muslim*innen. Damit übernimmt er die offizielle christsoziale Divide-et-Impera-Politik, die in einem Beschwören der jüdisch-christlichen Tradition gegen die muslimische Integrations- und Demokratieunfähigkeit besteht. Diese Reproduktion der offiziellen Sichtweise mag ein Grund dafür sein, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung dem Programm auch offiziell die Weihen gegeben hat.

Richtige Idee mit falschem Ton

Das Ganze ist außerordentlich schade. Dieses Gesprächsprogramm wäre eine echte Chance gewesen, liberale Kräfte in der muslimischen Gemeinschaft anzusprechen und zu stärken. Dafür hätte es einen anderen Titel und möglicherweise auch eine andere Programmatik gebraucht; es hätte einer umsichtigeren Recherche bedurft, eventuell durch eine Zusammenarbeit mit Initiativen und Programmen. Vor allem hätte dem Projekt eine kritische Distanz zu etablierten Diskursen über „die Muslime“ gutgetan. Die Chance scheint nun schon mit Ankündigung des Projekts vertan. Welche*r Muslim*in will schon eine Begegnung auf Grundlage eines Generalverdachts?

Dabei steht außer Zweifel, dass die muslimische und die jüdische Seite von einem Dialog profitieren würden. Es ist ja überhaupt nicht alles gut in Deutschland, weder innerhalb der Communities noch in Bezug auf die Gesamtgesellschaft. In einem Gesprächsformat, das die beiden Seiten tatsächlich auf Augenhöhe zusammenbringt, hätte man Überlebensstrategien in diskriminierenden und gewalttätigen Gesellschaften austauschen können. Man hätte eine auch politische Vision für eine Gesellschaft der Vielen (weiter-)entwickeln können.

Dabei steht außer Zweifel, dass die muslimische und die jüdische Seite von einem Dialog profitieren würden

Dabei wäre die Sprache zweifelsohne auch auf die Diskriminierung und Gewalt gekommen, die von den Communities selber ausgeht. Aber der Ton macht die Musik. Und diesmal hat der Zentralrat gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung den falschen angeschlagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • „Prävention durch Dialog“. Lese ich richtig ? Du meine Güte, wie naiv kann man sein ?

  • Herr Czollek ich danke Ihnen für Ihren Kommentar. So sollte es mehrere Initiativen geben.



    Die muslimfeindlichen Rechten propagieren: "Schwur auf die Verfassung" - dabei kennen sie selber das Grundgesetz nicht gut genug.

  • Ein interessanter Beitrag Herr Czollek, obwohl er nicht ganz einfach zu lesen ist. Sie sprechen von Dialog auf Augenhöhe und stellen sehr richtig fest:



    "Dafür bräuchte es vielmehr eine Stärkung der dialogwilligen und progressiven Kräfte in der muslimischen Community."



    Allerdings stimme ich nicht zu, dass es der Zentralrat sei, der den Muslimen nicht auf Augenhöhe begegnet.

    Das kulturell- bürgerliche Establishment unserer christlichen Mehrheitsgesellschaft heult doch geradezu auf, wenn sie von dialogbereiten Muslimen hören, die sich auch dadurch auszeichnen, dass sie gegen Antisemitismus kämpfen, wie Ahmad Mansour, Seyran Ates, Hamed Abdel-Samad oder Necla Kelek. Das kulturell- bürgerliche Establishment unserer christlichen Mehrheitsgesellschaft missbraucht Muslime, indem es deren radikale Strömungen fördert, um den eigenen Antisemitismus entsprechen zu delegieren. Das ist übrigens die Strategie des BDS.

    Die Verantwortung Antisemitismus zu bekämpfen, liegt im Wesentlichen bei der Mehrheitsgesellschaft.

  • Wie hätte denn diese "echte Chance" ausgesehen?

    Mit den liberalen Kräften innerhalb der muslimischen Gemeinden hat es noch nie größere Probleme gegeben, da kann man sich auch auf einen Glas grünen Tee mit Minze und Tahina Shortbread Kekse treffen.

    Wie würde ein Dialog mit den jüdischen Gemeinden die liberalen Kräfte in den muslimischen Gemeinden stärken?

    Ganz einfach, gar nicht.

    Und das Programm ist wirklich nicht besonders clever konzipiert, da es eben unterschiedliche Ebenen einzieht.

  • ich anschließe mich

    • @christine rölke-sommer:

      me too.

      unterm—-



      Soviel Bosheit sei dennoch erlaubt.



      Als ich “Prävention“ las.



      Fiel mir spontan - “Alles Fromms“ - als Anti-Erwachsenenübergriffig-Slang aus den 60ern ein.



      ——



      www.spiegel.de/pan...l-an-a-468235.html

      Das dürfte damals zwar kaum jemand so umfassend genau auffem Schirm gehabt haben. Egal.

      • @Lowandorder:

        da versteht mer gleich viel besser, woher die abneigung gegen BDS kommt.

  • Danke für diese konstrukttive Kritik. Hoffentlich wird sie als solche vom Zentralrat der Juden verstanden.

  • Weise Worte.