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Kommentar von Stefan Reinecke zum Rauswurf von Habecks Staatssekretär Patrick GraichenWeniger Moral, mehr Mühe

Nein, niemand hat sich in der Affäre um den grünen Staatssekretär Patrick Graichen, die Habeck nun spät beendet hat, bereichert. Es geht, anders als bei Maskendeals, nicht um Korruption und Gier. Dass ausgerechnet die CSU gegen „grüne Clanstrukturen“ wettert, ist bei einer Staatspartei, bei der Filz zum Geschäftsmodell gehört, fast kurios.

Richtig ist: Die Szene der Energiewende-ExpertInnen ist in Deutschland überschaubar und eng verflochten. Vor ein paar Jahren, vor trockenen Sommern und Fridays for Future, galt Klimapolitik als weiches Thema. Ja, wichtig, aber doch eine Art grünes special interest. Konzepte für die Energiewende entwarfen Ökoinstitute und der Thinktank Agora Energiewende, die – welches Wunder – fast alle mehr oder weniger grünennah sind.

Diese Affinität der Energiewende-Experten zu den Grünen ist die andere Seite einer zähen Ignoranz der anderen Parteien. Wo ist denn der kreative SPD-nahe Thinktank, wo sind die fordernd auftretenden Kapazitäten in Sachen Energiewende aus dem Umkreis der Union, die Habecks Ministerium mit Aufträgen bedenken könnte? CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat es mal geschafft, den Posten des Energiestaatssekretärs monatelang unbesetzt zu lassen. Insofern hat der Jubel über Graichens Rauswurf etwas Bigottes.

Allerdings erspart all das Habeck keineswegs unangenehme Fragen. Denn dass dieses personelle Experten-Gewebe ziemlich engmaschig, dass die Gefahr zu großer Nähe real ist – das hätte man früher erkennen müssen.

Und: Dies ist nicht der erste handwerkliche Fehler des grünen Wirtschaftsministeriums. Sondern der dritte. Die Gasumlage war angesichts explodierender Energiepreise das falsche Mittel. Die Wärmewende ist miserabel vorbereitet. Weil man keine sozialen Absicherungen präsentierte, schuf man ein Vakuum, in das Boulevardmedien Angst pumpen konnten.

Die Grünen verfügen, anders als SPD oder Union, über eine große Erzählung – die ökologische Moral. Deshalb können sie ohne Glaubwürdigkeitskrise im Notfall sogar Gas in Katar kaufen. Die Affäre Graichen, die schludrig gemachte Gasumlage und die Wärmewende sind kein Notfall, sie sind der Normalfall. Schlecht beraten sind die Grünen, wenn sie harte Kritik an Graichens Tölpelhaftigkeit nun als Angriff auf die Energiewende an sich abtun. Diese moralische Selbstimprägnierung wirkt wie ein Abwehrreflex.

Graichen geht, aber auch Habeck ist angezählt. Um die Mühen der Ebene zu überstehen, braucht er weniger moralischen Anspruch, mehr Sinn für soziale Abfederung und solideres politisches Handwerk. Nicht irgendwann. Jetzt.

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