Fünf Prozent für die NATO: Ein Blankoscheck für die Rüstungsindustrie
Die Zahlenspielchen der Union sind ein weiterer Tiefpunkt der neuen Bundesregierung. Für die SPD sollten fünf Prozent NATO-Ausgaben untragbar sein.

E s war einmal ein Mann namens Friedrich Merz, der die Debatte um Zielmarken bei den Verteidigungsausgaben begraben wollte. Ob nun 2,5 oder 5 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Bundeswehr investiert würden, sei zweitrangig, sagte der CDU-Chef vor vier Monaten bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hamburg. Wichtiger sei es, Aufgaben für die Bundeswehr zu definieren und zu ermitteln, welche Bedarfe sich daraus ergeben. Es waren zur Abwechslung mal besonnene Worte, die Merz da gefunden hatte. Doch kaum ist seine Regierung im Amt, ist das wieder Geschichte.
Die Spekulationen darüber, was seinen Außenminister und Parteikollegen Johann Wadephul geritten haben könnte, Verteidigungsausgaben in Höhe von 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzukündigen, laufen heiß. Geht es darum, US-Präsident Donald Trump kommenden Monat mit einem milliardenschweren Appetithäppchen zum Nato-Gipfel zu locken? Oder will man Verteidigungsminister Boris Pistorius vor der internationalen Bühne des Nato-Außenministertreffens unter Druck setzen, militärpolitisch noch eine Schippe draufzulegen? Auch der SPD-Politiker hatte es zuletzt vermieden, für eine weitere Erhöhung des Wehretats irgendwelche Summen anzukündigen.
Oder sind die 215 Milliarden Euro jährlich – um so viel Geld geht es denjenigen, die von von 5 Prozent des BIP sprechen – ein Preisschild für das, was Merz in seiner Regierungserklärung ankündigte? Der Kanzler forderte darin „alle finanziellen Mittel“, um die Bundeswehr zur „konventionell stärksten Armee Europas“ zu machen.
Hoppla! Haben wir die Lehren für die Nachfolgeorganisation einer Armee, die im vergangenen Jahrhundert zwei Mal die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hatte, inzwischen ad acta gelegt? Was ist aus europäischer Einigkeit und einer gemeinsamen außenpolitischen Strategie geworden? Und war da nicht mal was mit einem Nato-Bündnis, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Fähigkeiten gemeinsam vorzuhalten? Nein, niemand kann eine Übermacht Deutschlands in militärischen Fragen wollen.

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„Hier sind schon mal die Milliarden“
Zumal sich bei der Aufrüstung Deutschlands auch ganz praktische Fragen stellen. Seit der Verfassungsänderung für die unbegrenzten Bundeswehr-Milliarden ist das Geld bekanntermaßen nicht mehr das Problem. Es sind die fehlenden Industriekapazitäten, das fehlende Personal, die undurchsichtigen und ineffizienten Strukturen. Wer jetzt erneut Fantasiesummen in Aussicht stellt, erteilt den Rüstungskonzernen einen Blankoscheck, nach dem Motto: „Hier sind schon mal unsere Milliarden, die Panzer nehmen wir dann irgendwann.“ Das kann auch keiner wollen, dem die Aufrüstung auch nur irgendwie am Herzen liegt.
Für die schwarz-rote Koalition sind diese Zahlenspielchen ein neuer Tiefpunkt, so kurz nach dem Beginn der gemeinsamen Regierungsarbeit. Für die SPD wäre ein wie auch immer definiertes 5-Prozent-Ziel nicht tragbar. Nun ist die Frage, ob Merz noch mal zu seiner Besonnenheit findet – und sein Kabinett darauf einschwören kann.
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