Kommentar deutsch-griechischer Gipfel: Gegen die Logik des Feindbilds
Die Kommunikation zwischen den beiden Ländern war oft desaströs. Jetzt kommt Tsipras nach Berlin. Empathie ist nun als Grundlage europäischen Denkens gefragt.
E s sollte eigentlich Routine sein: Der Regierungschef eines EU-Mitgliedslands besucht Berlin und trifft die Bundeskanzlerin. Doch tatsächlich handelt es sich bei der Visite von Griechenlands Premier Alexis Tsipras um einen emotional von allen Seiten aufgeladenen Staatsbesuch, bei dem das vermeintlich abgrundtief Böse auf das ausschließlich Gute trifft.
Diese Rollen sind nach den nationalen Narrationen streng verteilt: In Athen gilt Merkel als die gefährliche europäische Strippenzieherin, die einer stolzen Nation die Ehre abschneiden möchte. In Berlin steht Tsipras für den unseriösen Windhund aus einem Pleitestaat, der „unser“ Geld abgreifen will. So weit ist es also gekommen in unserem Haus Europa.
Dafür tragen beide Seiten Verantwortung. Die desaströse Kommunikation der Syriza-Regierung hat dazu geführt, dass Griechenland seine Kritiker mit reichlich Munition ausgestattet hat. Die pampigen und oberlehrerhaften Antworten, etwa von Finanzminister Wolfgang Schäuble, besorgen den Rest. In den Augen vieler Deutscher und Griechen ist der jeweils andere zum Feind geworden.
Politisch ist vom Merkel-Tsipras-Treffen keine Entscheidung zu erwarten. Viel wäre jedoch gewonnen, wenn damit eine verbale Abrüstung eingeleitet werden könnte. Diese Rückkehr zum rationalen Denken ist Bedingung dafür, dass die Politik in Brüssel, Berlin und Athen auch zu rationalem Verhalten zurückfindet – jenseits der Balkenüberschriften des deutschen Boulevards und der Hitlerbärtchen von Athener Karikaturisten.
Auch dann wird es selbstverständlich weiterhin unterschiedliche Sichtweisen geben, schon deshalb, weil der linke Tsipras die grundsätzliche Ausrichtung Europas auf eine wirtschaftliche Gesundung durch Sparen ablehnt, während die konservative Merkel als wichtigste Verfechterin dieser Austeritätspolitik gilt.
Aber es gibt einen Unterschied zur Logik des Hasses: Wenn ein Land, dessen Wähler mehrheitlich andere politische Meinungen vertreten, zum Feind erklärt wird, dann muss sich auch niemand mehr Gedanken darüber machen, wenn die Menschen in diesem vermeintlichen Feindesland im Elend leben müssen. Das Schlüsselwort lautet Verständnis – für die Sorgen und Ängste der jeweils anderen Bevölkerung. Diese Empathie löst keine politischen Meinungsunterschiede – aber sie muss Grundsatz europäischen Denkens bleiben.
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