Kommentar Zahlungen für Atomausstieg: Lieber teuer als riskant
Die AKW-Betreiber bekommen rund eine Milliarde Euro Entschädigung. Das ist viel Geld. Trotzdem ist diese Regelung sinnvoll.
B ei manchen AKW-Gegnern gab es in letzter Zeit die Sorge, dass der bis 2022 geplante Atomausstieg in Deutschland noch einmal verzögert wird. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte einzelne Aspekte des schwarz-gelben Ausstiegs von 2011 für unrechtmäßig erklärt und den Betreibern der Anlagen längere Laufzeiten oder eine finanzielle Entschädigung in Aussicht gestellt.
Mit einem Gesetzentwurf, der der taz exklusiv vorliegt, hat das Umweltministerium diese Sorge vor längeren Laufzeiten jetzt ausgeräumt. Es gibt keine längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke – weder direkt, indem die Jahreszahl für den Ausstieg im Gesetz geändert wird, noch indirekt, indem die Konzerne zum Handel mit Reststrommengen verpflichtet würden – was verhindert hätte, dass einige AKWs früher vom Netz gehen als gesetzlich vorgesehen.
Stattdessen will das Haus von SPD-Ministerin Svenja Schulze die AKW-Betreiber finanziell entschädigen. Das ist zu begrüßen, denn jede noch so kleine Laufzeitverlängerung hätte den gesellschaftlichen Konsens bedroht, der in der Atomfrage schließlich nach jahrzehntelangem erbitterten Kampf erzielt wurde. Ganz abgesehen davon, dass jedes weitere Jahr mit den AKWs das atomare Risiko in Deutschland zusätzlich erhöht hätte und zusätzlicher Atomstrom ohnehin nicht benötigt wird.
Mit geschätzt rund einer Milliarde Euro bekommen die Konzerne nur einen Bruchteil dessen, was sie ursprünglich gefordert haben – aber immer noch mehr als unbedingt notwendig. Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich nur eine „angemessene“ Entschädigung gefordert und ausdrücklich erklärt, dass diese „nicht zwingend dem vollen Wertersatz“ entsprechen müsse.
Klagerisiko vermindern
Das Bundesumweltministerium will die 2002 zugesagten Strommengen, die RWE und Vattenfall aufgrund des Ausstiegs von 2011 nicht mehr produzieren können, trotzdem vollständig entschädigen. Damit soll offenbar das Risiko vermindert werden, dass die Atomkonzerne auch gegen das neue Gesetz klagen.
Dass die AKW-Betreiber, die schon das finanzielle Risiko für den Atommüll erfolgreich auf den Staat abgewälzt haben, nun auch noch Geld für stillgelegte Pannen-Reaktoren bekommen, fühlt sich zwar ungerecht an. Doch wenn man das Risiko längerer Laufzeiten und weiterer rechtlicher Ungewissheit verhindern will, ist diese Zahlung der einzige Weg, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Und wenn dafür an der Atomkraft-Front dann wirklich Ruhe herrscht, dann ist die Milliarde Euro gut investiertes Geld.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern