Kommentar Wahlkampagne der SPD: Kanzler? Ach, muss auch nicht sein
Die SPD macht Wahlkampf mit angezogener Handbremse. Martin Schulz tönt zwar selbstbewusst, eigentlich fehlt ihm aber der Killerinstinkt.
G erhard Schröder hat bekanntlich zu Juso-Zeiten nach einer Kneipentour am Zaun des Kanzleramts gerüttelt („Ich will da rein!“). Martin Schulz, der im Moment das Amt für die SPD erobern will, rüttelt an nichts. Er drückt verzagt den Klingelknopf und flüstert in die Gegensprechanlage. „Angela, machte es dir etwas aus, wenn ich mal Kanzler wäre? Ja? Okay, muss vielleicht auch nicht sein.“ Schulz fehlt der Killerinstinkt, den es bräuchte, um Merkel aus dem Amt zu kegeln.
Die ganze Kampagne der SPD strahlt etwas Gebremstes aus. Schulz gibt sich selbstbewusst, wenn er tönt, Merkel könne gerne als Vizekanzlerin in sein Kabinett eintreten. Seine fortgesetzte Realitätsverleugnung klingt lustig, aber sie gehört zur Jobbeschreibung eines glücklosen Herausforderers.
Soll er sagen, dass er seine Niederlage wegen katastrophaler Umfragen vorauseilend akzeptiert? Nein. Entscheidend ist aber, dass Schulz hinter der Rhetorik keine harte, inhaltliche Differenz zu seiner Konkurrentin aufmacht.
Alles, was die SPD will, bewegt sich im Konsens der seriös-bürgerlichen Mitte, vor pointierter, gar linker Zuspitzung scheut ihr Kandidat zurück. Aber wer Merkel ablösen will, müsste klarmachen, was mit ihm anders wäre. Diese Leerstelle zieht sich durch, und sie wurde wieder sichtbar, als Schulz mit viel Tamtam Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung präsentierte.
Was Schulz bekäme, weiß man nicht
Gerechte Löhne für Frauen und ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit – das sind nicht abgearbeitete Überbleibsel aus der Großen Koalition. Mehr Geld für die Schulen vom Bund, etwas sicherere Renten, beides für Merkel kein Problem. Und dann, natürlich, „mehr Zusammenhalt in Europa“.
Gut, wer will das nicht? Schulz legt die Latte für eine Regierungsbeteiligung so niedrig, als liebäugle er längst mit einem hübschen Ministeramt. Die Bürgerversicherung, eine der wenigen knackigen Forderungen im SPD-Programm? Eine Erbschaftsteuer, die die Kluft zwischen Arm und Reich schließt? Keine Bedingungen für Schulz, die Union könnte ja ein Problem damit haben.
Sigmar Gabriel holte bei den Koalitionsverhandlungen 2013 dicke Brocken für die SPD heraus, indem er Merkel mit dem Unbehagen seiner Parteibasis erpresste. Er führte vor, was möglich ist, wenn man ins Risiko geht. Was Schulz bekäme, weiß man nicht. Vielleicht ist er einfach zu nett.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin