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Kommentar Wahlen in FrankreichDer andere Notstand

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die rassistischen und reaktionären Rechten liegen bei den Regionalwahlen in Frankreich vorn. Höchste Zeit, einen Notstand der Mobilisierung auszurufen.

Zufrieden mit der ersten Runde der Wahl: UnterstützerInnen des Front National in Carpentras, Südfrankreich. Foto: ap

N iemand in Frankreich kann sagen, der Triumph der extremen Rechten bei den Wahlen in den Regionen komme völlig überraschend. Nicht nur haben alle Umfragen diesen Ausgang prophezeit, auch alle Vorbedingungen waren gegeben.

Das Klima der Angst und Fremdenfeindlichkeit infolge der Pariser Terroranschläge und der Flüchtlingskrise in Europa hat der Partei von Marine Le Pen massiv Stimmen eingebracht. Wie sehr die Ressentiments an der Urne gewogen haben, beweist das Ergebnis von Calais, wo die mehr als 49 Prozent der Stimmen für den Front National (FN) als Reaktion gegen die Flüchtlinge in den informellen Camps am Ärmelkanal zu verstehen sind.

Mit Notstandsgesetzen wird zudem seit vier Wochen Terrorismusprävention betrieben. Zahlreiche in der Verfassung garantierte Grundrechte sind dafür außer Kraft gesetzt. Betroffen sind nicht nur muslimische Fundamentalisten, denen Sympathien für den radikalen Islamismus nachgesagt werden, sondern namentlich auch linke Aktivisten.

Das vermittelt einen ersten Eindruck eines Regimes ganz nach dem autoritären Geschmack des FN. Diese Partei verkörpert das Gegenteil der Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für die nach dem Angriff auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und nach den Attentaten in Paris Hunderttausende auf die Straße gegangen sind.

Politik des kleineren Übels

In sechs von 13 Regionen liegt der FN nach dem ersten Wahlgang in Führung. Im Norden und an der Côte d‘Azur haben sogar mehr als 40 Prozent der Wählenden für FN-Listen gestimmt. In diesen beiden Regionen haben die Sozialisten beschlossen, ihre Listen bei der Stichwahl am kommenden Sonntag zurückzuziehen, um den konservativen Gegnern noch eine Chance gegen den FN zu geben.

Diese Kapitulation nennt sich hier „republikanische Einheit“ oder Politik des kleineren Übels im Namen demokratischer Grundwerte. Es ist fraglich, ob ein solches Arrangement aus Verzweiflung noch hilft.

Stattdessen ist es höchste Zeit, gegen den verhängnisvollen Fatalismus angesichts des Vormarschs der rassistischen und reaktionären Rechten einen anderen, politischen Notstand der Mobilisierung zu erklären: Es geht dabei um dieselbe Freiheit, die von der Gewalt islamistischer Fanatiker bedroht wird.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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14 Kommentare

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  • Ich empfehle die gestrige "28 Minutes" Sendung auf ARTE (die dt. Übersetzung ist eher mäßig, aber besser als nichts). Dort wird im Gegensatz zu der hanebüchenen Analyse" im obigen Artikel endlich das jahrzehntelange Totalversagen der beiden etablierten Lager von 1-2 sehr seriösen Teilnehmern klar aufgezeigt. Im Übrigen ist es - entgegen den Behauptungen des Autors - gar nicht möglich, daß die Attentate einen Rechtsruck bewirkten: 1) haben fast 50% bereits Wochen zuvor per Briefwahl abgestimmt - sonst wäre die FN wesentlich stärker geworden. und 2) steigt der FN seit JAHREN kontinuierlich in der Wähler"Gunst" . Ein Zuschauer brachte es perefkt auf den Punkt: Nicht, weil man den FN liebt - sondern weil ALLE Franzosen es satt sind, immer nur zur Wahl zu gehen, um VERMEINTLICH das Shlimmste zu verhindern.

    Wie wir am Neo-Bellizisten Hollande und an der Merkel sehen, torkeln sowohl diesseits als auch jenseits des Rheins die "Führungseliten" nur noch wie getriebene durch die Weltgeschichte - und versuchen, Feuer mit noch mehr Feuer zu löschen. Und die Bürger diesseits und jenseits des Rhein spüren das - und bäumen sich gegen diese törichte Politik auf ALLEN Ebenen der europäischen Geschichte auf!

     

    Ausgerechnet die Bürger in Calais der"Vorurteile" zu bezichtigen, ist übrigens amüsant: DORT erleben die Bürger nämlich täglich SELBER VOR ORT, was passiert, nicht jedoch der Autor dieses Artikels, der ein klassisches Beispiel dafür ist, daß sich nicht nur Politik, sondern auch die Presse vom Bürgere entfernt.

  • Man sollte den Ball etwas flacher halten. Natürlich ist le Pen mit ihrem FN widerlich.

     

    Aber es handelt sich um die erste Runde von Regionalwahlen. Knapp 50 Wahlbeteiligung wurde gemessen und der FN hat im Schnitt 28% bekommen. Also haben ca. 15 % der Franzosen FN gewählt. Da muß man nicht so laut weinen. Es war keine Präsidentenwahl, sondern die erste Hälfte der Regionalwahlen.

     

    Vielleicht können sich die anderen Parteien mal darauf einigen die Nichtwähler zu motivieren und für Regionalwahlen relevante Themen auf den Tisch zu bringen.

     

    Ein Warnschuß war es sicherlich, aber kein Grund für die Hysterie.

  • Das Elend der französischen Sozialisten hat zwei Gesichter: Hollande und Valls. Autoritär, militaristisch und nationalistisch sind sie dabei, nicht nur PS, sondern auch eine friedliche, ökologische und gedeihende Zukunft Frankreichs zu vernichten. Und singen noch bei jeder Gelegenheit die Marseillaise. Eine Katastrophe.

  • Ich finde es absolut faszinierend, wie in einem Artikel über den FN die wirtschaftliche Komponente nicht ein einziges Mal angesprochen werden kann.

     

    Der FN hat bereits in den letztjährigen Kommunalwahlen zugelegt und das war lang vor Anschlägen und Wahrnehmung der Einwanderung.

     

    Allerdings verspricht der FN auch:

    - Anhebung des Mindestlohns um 200 Euro

    - Wiedereinführung der Rente mit 60

    - Teilverstaatlichung der Banken

    - Zölle zum Schutz der inländischen Wirtschaft

    - Austritt aus dem Euro

     

    Die Konservativen und die Sozialdemokraten hingegen bieten mehr des verheerenden Programms der vergangenen 7 Jahre an - mehr Sparschwachsinn, Ausdünnung des sozialen Netzes, niedrigere Löhne und Renten, höhere Profite für Unternehmen.

     

    Da fällt die Wahl vielen doch verdammt einfach!

  • Mich irritiert, dass in dem Artikel die starken Stimmengewinne der FN in Calais mit der hohen Anzahl der Flüchtlinge dort in Zusammenhang gebracht werden.

    Es hieß auf die BRD bezogen, dass im Osten die Ausländerfeindlichkeit auch damit zusammenhinge, dass es dort wenig Ausländer insgesamt gäbe.

    Das wäre irgendwie unlogisch. Ich halte da Erklärungsansätze wie von @Emmanuel Voltaire schon für glaubwürdiger.

    Hinzu kommt noch, dass sich die EU in letzter Zeit als völlig unfähiger Haufen erwiesen hat. Mit der Wahl des FN kann man da schon einiges ausdrücken, wenn die linke radikale Alternative fehlt.

    • @Age Krüger:

      Die linke radikale Alternative gibt es schon. Aber der FN eignet sich ja so gut dafür, die klein zu halten - jedes Mal, wenn er zulegt, beschwört die PS, dass man jetzt unbedingt sozialdemokratisch wählen müsse, um die Rechten aufzuhalten. Und die Linken, denen der Antirassismus dann doch über die Verbesserung der Lebensumstände geht, lässt sich darauf ein. Und dann gibt's ein paar Jahre mehr Neoliberalismus sozialdemokratischer Prägung.

  • Der FN gewinnt mitnichten Stimmen, weil die Wähler plötzlich zu Nazis werden. Ich kenne hochdifferenzierte, kluge Franzosen aus ALLEN Lagern, welche diese Witzfiguren H. und S. nicht mejr ertragen und mir verzweifelt sagen, dass diese Versager sie gegen ihren Willen geradezu zwingen, FN zu wählen, um sie aufzurütteln.

    Die Situation ist schlicht so: die eine Hälfte der Wähler het jede Hoffnung auf politisches Gehör bei den „politischen Eliten“ verloren und wählt erst gar nicht mehr – und diejenigen verbleibenden aktiven Wähler, welche sich ein um das andere Mal selber belogen, indem sie die grotesken Lügen der Kandidaten des linken bis zum bürgerlich-reaktionären UMP-Lagers mit ihrer Stimme zu unterstützen glaubten, wenden sich zunehmend mit Ekel ab.

  • Erstaunlich oberflächlicher Artikel. (1)

    Ich lebe ich Frankreich. Unfreiwillig ist der Tenor dieses Artikels ein gutes Beispiel dafür, weswegen BEIDE Versager, nämlich die Linken unter Versager Hollande als auch die rechtskonservativen unter dem alten und – ebenso absehbar wie bedauerlich – wohl auch zukünftigen Versager Sarkozy pausenlos Stimmen an den FN verlieren: Das völlige Ausblenden der WIRKLICHEN fundamentalen Probleme dieser völlig verkrusteten französischen Gesellschaft.

    Hollande und Sarkozy verkörpern beide die völlige Unfähigkeit von Frankreichs „Führungseliten“, die Bequemlichkeit einer in alten, vorgeblich „ruhmreichen“ Zeit entstandenen Selbstverliebtheit und die totale Verleugung der globalen Veränderungen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Die Bürger hingen spüren konkret, daß es nicht mehr so weitergeht - scheuen jedoch die nötigen Konsequenzen.

     

    Sowohl der mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagte, populistisch-narzistisch "Bling-Bling"-Sarkozy als auch die mitleiderregene schwache Persönlichkeit Hollande sind unfähig, dieses Land auch nur kurzfristig zu stabilisieren geschweige denn, in einer dafür nötigen „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede zu den zwingend nötigen Opfern bei einer gesellschaftlichen Anpassung an die Realitäten zu motivieren. Und die überwiegende Mehrheit der Franzosen ist auch völlig unfähig, sich diesen Realitäten zu stellen.

  • Die Analyse ist eingängig und gefällig und bedient die Stereotypen der Einschätzungen aus dem linken Spektrum.

     

    Das ist definitiv ein Fehler, fahrlässig und letztlich falsch. Denn dadurch wird die aktuelle Lage schon fast verharmlost. Als wenn 50 % der Leute in Calais fremdenfeindlich wären und Ressentiments gegen Flüchtlinglinge hegen würden und ein Zeichen gegen die Flüchtlingscamps wären.

     

    Wenn das so wäre müsste doch Hollande mit seinen Notstandsgesetzen DER Macher sein, der Gewinne hätte erzielen müssen Hatter aber nicht!

     

    Das Problem der Wahlergebnisse liegt viel tiefer und ist viel größer.

     

    Wir haben es nach meiner Überzeugung mit einer tiefen Vertrauenskrise Staat(en)/Politik/Wähler zu tun. In Frankreich, wie im Rest Europas .

    Wir sehen das seit Jahren an der sinkenden Wahlbeteiligung, wir sehen das an den erstarkenden Parteien an den plotischin Rändern. Wir sehen das sogar an der Olympiabsage an der Wahlurne in Hamburg.

     

    Solange die Politik es nicht schafft durch seriöse, nachvollziehbare Politik, von der Eurorettung bis zur Bekämpfung IS, Flüchtlingskrise oder KOsteneinhaltung beim Bau eines Flughafens Vertrtauen zu gewinnen ist der Weg vorgezeichnet wie wir ihn in Frankreich sehen.

     

    Eine Fokussierung wie in dem Kommentar ist nicht ausreichend.

     

    Fazit: Wäre das Vertrauen insgesamt in Takt würde die Bevölkerung die paar Flüchtlinge locker aushalten. Tut sie aber nicht, insbesondere in Calais, da dort ein Problem seit Jahren besteht und die Politik es eben nicht glaubhaft gelöst bekommt.

    TAZ-Kommentator: Machen Sie die Flüchtlingskrise nicht zum Erfüllungsgehilfen abgegrenzter linker Betrachtungen. Das ist zu einfach!

  • Notstand erklären wenn die Falschen Wahlen gewinnen?

    • @sektstattselters:

      Nein, der Notstand wurde wegen der Terrorangriffe am Freitag dem 13. November ausgerufen. Das war aber auch in den Medien oft genug erwähnt worden...

  • Na, ich weiss nicht ... ... "Notstand erklären" klingt wie "Ausnahmesituation", wie "Erste-Hilfe-Massnahmen" ... ... klingt jedenfalls nicht nach "wir haben verstanden" und auch nicht nach "wir möchten künftig anders, nachhaltig-ehrlicher Politik machen und auch so regieren".

     

    Und eben das wäre - nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland - bitter nötig. Wie oft wurde und wird "nur" situationsbedingt, aber nicht ehrlich argumentiert in der politischen Diskussion? Wie oft wurde und wird bspw. "Brüssel", "Europa" und "Globalisierung" gesagt, aber was ganz anderes gedacht?

     

    Der Westen hat bspw. in Afghanistan die Gegner der einmarschierenden Sowjetarmee militärisch ausgerüstet und musste Jahre später merken, dass sich die eigenen Waffen gegen sich selbst gerichtet haben. Nun im (notwendigen) Kampf gegen den "IS" rüsten wir die Kurden aus und auf; wann kommt der Bumerang zurück und fällt uns wieder vor die Füsse? Wie lange darf Saudi-Arabien noch den Terror der Welt finanzieren, und wird von uns trotzdem als Verbündeten und Freund betrachtet? Bislang wollte EU-Europa mit der Türkei nicht unbedingt etwas zu tun haben; nun rutschen die Regierenden auf den Knien gen Ankara, weil Erdogan uns die Flüchtlinge "vom Hals halten" soll.

     

    Wo steht denn geschrieben, dass unsere westliche Version der Demokratie und der Freiheit die einzig mögliche und die überall notwendige ist? Warum müssen wir "unsere" Demokratie und "unser" Freiheit exportieren, warum können wir den Menschen in den anderen Staaten nicht deren Form von Demokratie und Freiheit lassen?

  • Aus dem Kleinbürgertum, der Mitte entstand schon mal der Faschismus!

    http://www.cpw-online.de/kids/faschismus.htm

     

    Die Geschichte wiederholt sich!!!

     

    Unglaublich. Wundert mich aber nicht bei den Christen. Da sich der Ordnung unterwerfend. Der Hierarchie...Heißt, einem Führer immer noch huldigen.

     

    Besitzstandswahrer werden zum Faschist, wenns ans eingemachte geht.

     

    Schuld haben aber die Eliten!! Die NICHT FÄHIG UND WILLIG SIND in ALTERNATIVEN ZU DENKEN!!

     

    Der Rechtsruck in Europa wurde Jahrelang vom Kapital gut vorbereitet!! Dank naiver, dummer, korrupter, egoistischer Politiker!!

     

    Auch die soz. Regierung ist nicht wirklich sozial!!

    • @Frei_Denken:

      Sie benötigen wohl eine neue Tastatur. Die Capslock-Taste und das Ausrufezeichen scheinen zu hängen.