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Kommentar Wahl in FrankreichBanges Frühlingserwachen

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Macrons Triumph verbannt die diskreditierten Parteien Frankreichs in Nebenrollen. Es ist wohl die letzte Chance, den Aufstieg der Rechten zu stoppen.

Erscheint heute als Hoffnungsträger: Emmanuel Macron Foto: ap

E igentlich wäre das Resultat der ersten Wahlrunde in Frankreich ein Anlass zur Empörung: Mehr als 7,5 Millionen Franzosen und Französinnen (21,4% der Abstimmenden) haben mit ihrer Stimmabgabe für Marine Le Pen ein reaktionäres und nationalistisches Programm abgesegnet, um so diese rechtsextreme Kandidatin in die Stichwahl zu schicken. Schlimmer aber ist, dass dies so sehr erwartet wurde, dass es jetzt völlig banal erscheint.

Zur Erinnerung: Als ihr Vater Jean-Marie Le Pen 2002 den Sprung in die zweite Runde schaffte, löste dies in Frankreich einen Schock und eine demokratische Massenmobilisierung aus. Lange hielt deren Wirkung jedoch nicht an. Dass heute der Front National hinter der Maske einer sozialen Demagogie eine Politik an den Mann bringen will, die sich an faschistische Vorbilder anlehnt, bewegt die Wenigsten.

Im Vordergrund steht die Erleichterung, dass Le Pen wenigstens nicht mit einem Drittel der Stimmen an erster Stelle liegt, wie zu befürchten gewesen war. Also noch mal alles gut gegangen? Emmanuel Macron erscheint heute als Hoffnungsträger nicht nur einer neuen Generation, er möchte auch ein anderes Frankreich verkörpern, das statt auf das Jammern über den „Déclin“ (Niedergang) auf Erneuerung und Optimismus setzt.

Dieses Frühlingserwachen einer Nation, die sonst so gern dem Glanz der Vergangenheit nachtrauert, ist der Kern seines Programms und erklärt seinen Erfolg. Aus diesem Wunsch, endlich vorwärts zu schauen und das Potenzial der Innovation zu nutzen, kann Macrons neues Frankreich die Kraft schöpfen, mit einem anderen Selbstbewusstsein über seine Grenzen hinaus in die Zukunft zu schauen.

Es fällt leicht, diese zuversichtliche Perspektive gleich im Voraus als Illusion naiver Wähler abzutun. Doch Macrons Triumph verbannt immerhin die völlig diskreditierten traditionellen Parteien in Nebenrollen oder sogar in den Mülleimer der Geschichte. Nach dieser politischen Abbrucharbeit gibt es nun eine Grundlage zum Aufbauen, wie sie in Frankreich seit Jahrzehnten nicht bestand. Es ist vielleicht die letzte Chance, die völlig banalisierte Rechte bei der nächsten Gelegenheit an der Machteroberung zu hindern.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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13 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Die Börsen sind en hausse. Das zeigt doch, wer Macron unterstützt: Die Couponschneider. Sie können noch einmal kräftig absahnen, bevor Tante Marine oder ihre Nichte in fünf Jahren den Elysée-Palast beziehen werden. Eine parlamentarische Mehrheit wird er nicht bekommen und deshalb per Dekret regieren, er wird Frankreich erdoganisieren, denn über 40 % der Wähler werden nach den Parlamentswahlen keine oder nur sehr wenige Volksvertreter bekommen. Die Rechte wird aufgrund ihrer sehr guten regionalen Verwurzelung Die Wahlen gewinnen und Macron erpressen. Die PS wird alles versuchen Mélenchons Unbeugsame aus dem Parlament zu halten, was eine Forderung nach einer VI Republik Aufwind geben wird. Nein Macron ist der Vertreter einer alten egoistischen Ideologie, Die Millionen von Menschen in Armut und Prekarität getrieben hat.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @82236 (Profil gelöscht):

      Eigentlich müsste es jetzt erst einmal darum gehen, die Faschisten im zweiten Wahldurchgang mit aller Macht zu verhindern. Aber das will Melenchon ja nicht. Lieber beleidigt Wunden lecken und nur ja Macron nicht dabei unterstützen, dass alles den Bach runtergeht ...

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Gar nichts geht den Bach runter, denn selbst wenn Marine gewinnt, bekommt sie keine Mehrheit im Parlament. Und die bekommt sie nie, auch

        wenn Sie das Wahlrecht ändert. Mélenchon leckt keine Wunden, er hat im Vergleich zu 2012 8% mehr Stimmen bekommen, das sind 3 Millionen mehr Wähler. Er hat die meisten Jungwähler angezogen. mit 30%, das ist zukunftsweisend und was Sie nicht verstanden haben, ist dass es hier bei den Insoumis um eine Bewegung junger Menschen handelt genau wie Podemos in Spanien. Wir Insoumis stimmen auch über Internet ab bis Dienstag, wie wir wählen werden, das nennt man Basisdemokratie. Und Jean Luc handelt völlig richtig, die Wähler sind nicht sein Eigentum , jeder weiss, was er zu tun hat, wir sind mündige Bürger und kein Stimmvieh, das man belügen und betrügen kann, wie Hollande es 2012 gemacht hat, wo er die 11% der Stimmen von Jean Luc mit falschen Versprechungen erschlichen hat. Und Macron ist vom gleichen Kaliber als Candidat naturel du président de la République.

      • @60440 (Profil gelöscht):

        Das Argument, dass alle "alles ausser Le Pen"-Befürworter schuldig bleiben ist aber weiterhin: WARUM (bzw. in welcher Hinsicht) wird Le Pen schlimmer sein, als Macron.

  • Ich glaube sogar es wäre besser, wenn Le Pen gewinnen würde.

     

    Ok, das klingt krass. Aber meine Erklärung ist für mich zumindest logisch.

     

    Le Pen ist vielen Mächtigen ein Dorn im Auge. Die Franzosen hätten spätestens nach 4 Jahren die Schnauze voll und der Rechtsradikalismus wäre spätestens 2021 komplett verbannt.

     

    Wenn jetzt aber Macron gewinnt, bleibt der Rechtsradikalismus und wir weiter wachsen. Bzw. werden beide Radikale gestärkt, weil sie wieder das Feindbild des Neoliberalismus haben.

     

    Klar freue ich mich daß Le Pen es nicht schafft, aber es bleibt ein sehr ungutes Gefühl für unseren Nachbarn.

  • Ich verstehe echt nicht wie man Macron als Hoffnungsträger bezeichen kann. Wenn er überhaupt gewählt wäre, würde er seine neoliberale Politik weiter führen, obwohl die Abschaffung der Sozialstaat eine grosse Rolle spielt in der Aufstieg der Rechten... Wie kann man so blind sein?

  • Das Establishment in Frankreich wurde brutal abgewählt.

    Les Republicains (Union), La France insoumise (SPD) und Parti Socialiste (Linke) kommen nicht einmal gemeinsam auf 50% der Stimmen.

    Emmanuel Macron und seiner Partei Vorwärts gegen Marine Le Pen (Die Nationalisten) kämpfen in gewisser Weise „Hillary Clinton gegen Donald Trumo“ um die Macht in Frankreich.

    Der Rothschild-Banker Macron der sich vorzeitig von seinem Ministerposten unter Hollande trennte und erklärte, er sei nicht das Establishment von dem die Franzosen die Nase voll haben, auf der anderen Seite, die immer stärker werdende Le Pen.

     

    Das die Stichwahl 07. Mai. Macron haushoch gewinnen wird, daran zweifelt keiner den ich kenne. Aber was passiert eigentlich, wenn die Franzosen bei der nächsten Wahl realisieren, dass Macron doch das verhasste Establishment verkörpert? Wird dann Macron, erneut die Stichwahl gegen Le Pen gewinnen können?

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Nico Frank:

      Marine ist zum Glück kein Establishment. Die hat nur eine ganze Partei, sorry, Bewegung geerbt, nebst Schloss und Kohle ...

  • Macron ist nicht mal 40 Jahre alt. Ihn als „Hoffnungsträger“ zu feiern, ist aber dumm. Das „andere[] Frankreich“ nämlich, das er angeblich will, wird werden wie die USA, wie Großbritannien und und all die anderen Spielwiesen der Chicago-Boys schon sind.

     

    Macron war bisher Arzt- und Professorensohn, Schüler einer privaten Jesuitenschule, Spitzen-Absolvent der ENA, Finanzdirektor im Finanzministeriums, Berater von François Hollande, Mitglied einer wirtschaftsliberalen „Denkfabrik“, Investmentbanker und Partner bei Rotschild & Cie, Nestle- und Drahi-Spezi, Berater für Wirtschafts- und Finanzpolitik der französischen Regierung, Generalsekretär des Präsidentenamtes und Wirtschafts- und Industrieminister. Wer eine solche Karriere hingelegt hat, hat allen Grund zum Optimismus. Das muss nicht heißen, dass andere ihn auch haben, den Grund.

     

    Macron hat beispielsweise mitgeholfen, ein neoliberales „Reformpaket“ am Parlament vorbei zu realisieren, dessen Auswirkungen bisher noch gar nicht abzusehen sind. Und seinen ehemaligen Chef aber hat er so „gut“ beraten, dass der nicht einmal mehr angetreten konnte bei der Wahl als (gegen-)Kandidat. Das nächste Opfer seines Erfolgs wird Frankreich sein.

     

    Nein, Nationalismus kann man Makron nicht vorwerfen. Vorwerfen kann man ihm nur, dass er seinen Landsleuten aus blanker Machtgier ein Konzept überhelfen will, das weltweit grade krachend scheitert. Eben jener Neoliberalismus, den Macron als neu anpreist, ist die wichtigste Ursache für das (Wieder-)Erstarken reaktionärer und nationalistischer Ideen in Europa und den EU-Niedergang. Macron ist das egal. Er sieht nur die private Chance. Er weiß genau: Zu viele Franzosen sind dermaßen auf den eigenen Bauchnabel fixiert, dass sie nicht raffen, was um sie herum passiert – oder aber überzeugt, in Frankreich müsste alles anders werden, weil die Franzosen ja einmalig sind.

     

    Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Le Pen regiert. Macrons Wähler werden sich an sie gewöhnen, schätze ich.

  • Nachdenk-Geschichte: Vor 1933 wählten alle Demokraten Hindenburg zum Reichspräsidenten, um Hitler als Reichspräsidenten zu verhindern. Dann hat Hindenburg Hitler zum Kanzler gemacht.

    • @B. Wondraschek:

      Aha, und daraus lernen wir jetzt was?

       

      a) Wir sollten nie jemanden wählen um Rechtsextreme zu verhindern

      b) nichts

  • Wenn der Neoliberalismus die einzige Alternative zum Rechtsextremismus ist, dann gewinnt auf Dauer der Rechtsextremismus. Wer findet auf Dauer ein Europa attraktiv, das Lobbyisten und korrupte EU-Kommissaren im Sinne des Großen Geldes dirigieren?

    Es muss eine demokratische Antwort auf den Neoliberalismus aufgebaut werden.

  • Wir "schrammen immer wieder knapp am Abgrund vorbei" und die Reaktionen sind, dass es ein Weiter-So geben könnte. Mich erstaunt es immer wieder, wie wenig die trägen Reaktionen zu der tatsächlichen Not der Veränderung passen - wie oft kann das noch gutgehen? Um Haaresbreite wäre uns die EU um die Ohren geflogen. Der gesunde Menschenverstand würde man erwarten, dass jetzt ein Aufrütteln und Aufwachen folgt und konsequent Veränderungen angegangen werden. Aber nein - nichts dergleichen - es sieht aus wie ein Schlafwandler, der so lange weiterwandelt, bis er stürzt - und wir schauen alle zu.