Kommentar Wahl in Frankreich: Lasst uns endlich über Europa reden!
Der Front National in der Stichwahl ist zur Alltäglichkeit geworden. Die Abstimmung am 7. Mai wird so zum Referendum: Frexit oder nicht?
W as ist geschehen, dass wir auf die Ergebnisse vom Sonntag mit Erleichterung reagieren? Sogar von Stolz haben einige Franzosen in der Nacht zum Montag gesprochen. Vom Stolz, verhindert zu haben, dass Marine Le Pens Bewegung die „erste Partei Frankreichs“ wird. Wie bitter!
Am Ende schien nur noch Marine Le Pen den Durchblick zu haben: Das Wahlergebnis ist in der Tat „historisch“. Noch nie haben ihr so viele Franzosen beigepflichtet. 7,7 Millionen Stimmen. Weit mehr, als ihr Vater vor 15 Jahren erhalten hat. Und wo bleibt unser Entsetzen? 2002 gab ich zum ersten Mal bei einer Präsidentschaftswahl meine Stimme ab – und erlebte den „Schock des 21. April“: eine Stichwahl zwischen Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen!
Doch der Schreck in den Gesichtern wich damals schnell dem natürlichen Drang, sich zu mobilisieren. Was folgte, war eine spontane, bunte, demokratische Massenbewegung. „Une France fraternelle“ zog durch die abendlichen Straßen des Landes, entschlossen und zuversichtlich, marschierte, tanzte und debattierte.
Vergleichbares haben wir am Sonntag nicht gesehen. Der FN in der Stichwahl ist zur Alltäglichkeit geworden. Und wir überzeugten Europäer sprechen von Erleichterung. Emmanuel Macron an der Spitze, welch Liebeserklärung an Europa! Doch die Analyse ist übereilt. Die Ergebnisse vom Sonntag zeigen eindeutig, dass Frankreich Europa ganz und gar nicht liebt. Fast 50 Prozent der Stimmen haben diejenigen Kandidaten zusammen erreicht, die sich einen Austritt Frankreichs aus dem Euro oder aus der EU wünschen. Das soll uns erleichtern?
Wegen des direkten Wahlrechts ist die Stichwahl in Frankreich immer eine Art Referendum. Zum ersten Mal hat in diesem Jahr eine antieuropäische Kandidatin eine reelle Chance. Und so wird sich die Wahl am 7. Mai um eine einzige Frage drehen: Frexit – ja oder nein?
Positiv betrachtet, heißt das: Endlich haben wir Gelegenheit, grundlegend über Europa zu sprechen. Zwei Wochen lang. Diese Debatte drängt, denn Frankreich hat sie seit dem Nein zur EU-Verfassung im Referendum von 2005 mit aller Sorgfalt vermieden – aus Angst vor der Konfrontation. Aber täuschen wir uns nicht: Wohin diese Debatte führt, liegt nicht auf der Hand. Das Land ist zutiefst gespalten. Wehe denen, die schon heute den Sieg Emmanuel Macrons feiern!
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