Kommentar WM-Auftakt in Russland: Der Fußball ist tot, es lebe der Fußball
WM2018: Muss damit nicht mal Schluss sein? Sollten wir das Werbespektakel nicht einfach ausblenden? Nein, wir lassen uns das Spiel nicht nehmen!
W ie oft haben wir das schon gehört: Der Fußball ist tot? Was haben wir diskutiert, als der erste Spieler für 100 Millionen Euro verkauft worden ist. Ein Brausekonzern hat zu Werbezwecken einen Fußballklub in der ersten Liga platzieren dürfen. Skandal! 2010 hat die Fifa die WM an Russland und Katar verkauft. Das Ende! Dass die deutsche Super-WM von 2006 auch gekauft war, man konnte es damals nur ahnen. Menschen werden aus ihren angestammten Siedlungen vertrieben, damit ein Stadion gebaut werden kann, das nach einer Weltmeisterschaft nicht mehr gebraucht wird – an diese Geschichten haben wir uns beinahe schon gewöhnt.
Jetzt steht die Fußball-WM in Russland an. Wir erzählen diese Geschichten wieder. Wir berichten von Korruption, von Sklavenarbeit an Stadionbaustellen, von politischen Häftlingen und Journalisten, die an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden. Wir werden sehen, wie sich Wladimir Putin feiern lässt.
Auch wenn wir es uns fest vornehmen, wir werden es – wenn der Ball rollt – nicht schaffen, immer auch daran zu denken, dass Russland in Syrien mit einem Massenmörder kollaboriert, dass sich das Land ein Stück von der Ukraine mir nichts dir nichts einverleibt hat und dass in der Ostukraine ein Krieg mit russischer Beteiligung geführt wird, der Tausenden das Leben gekostet hat.
Und dann sind da noch diese immer neuen Geschichten darüber, dass die Fifa alles dafür tut, für alle Zeiten ein intransparenter, korruptionsanfälliger Funktionärshaufen zu bleiben. Muss damit nicht mal Schluss sein? Sollten wir das Milliardenspektakel nicht einfach ausblenden. Sind wir nicht alle längst WM-urlaubsreif?
Nein, wir lassen uns das Spiel nicht nehmen! Wir wollen beschreiben, wer gewinnt, wollen verstehen, warum die andere Mannschaft keine Chance hat. Wir wollen uns fragen, welche taktischen Rezepte im modernen Fußball zum Erfolg führen.
Und manchmal können wir nicht anders und genießen einfach das schöne Spiel. Wir wollen uns vielleicht auch einmal mitfreuen, wenn sich WM-Touristen und Einheimische anfreunden. Von Putin haben wir genug, lasst uns also die WM nutzen, uns mit Russland zu beschäftigen! Die Fußball-WM ermöglicht uns vier Wochen lang Zugänge, die uns sonst meist verschlossen bleiben. Nutzen wir sie! Es lebe der Fußball!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?