Kommentar Volksbühnen-Intendant: Das Ende einer Schnapsidee

Die Idee, die Volksbühne von Chris Dercon leiten zu lassen, war von Anfang an verkorkst. Nun muss der Kultursenator zeigen, dass es anders geht.

Chris Dercon fasst sich ans Kinn

Abgang: Chris Dercon, glückloser Intendant der Berliner Volksbühne Foto: dpa

BERLIN taz | Es ist die Geschichte einer Schnapsidee. Einer Schnapsidee eines Musikproduzenten, den es damals wie aus Versehen für die SPD ins Amt des Berliner Staatssekretärs für Kultur verschlagen hatte. Tim Renner hatte sich im März 2015 überlegt, man könnte auch einen international renommierten Museumschef als neuen Intendanten der Berliner Volksbühne berufen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, ebenfalls SPD und damals nebenher auch noch Kultursenator, hatte nichts gegen Chris Dercon, den Leiter der Tate Modern in London – und so kam es zu jener einsamen Entscheidung der Berliner Kulturpolitik, die einfach der Stadt übergestülpt wurde und die heute kein Mensch mehr nachvollziehen kann.

Dementsprechend hoch schlugen die Wellen. Claus Peymann, damals noch Intendant des Berliner Ensembles, lieferte die Blaupause für die Kritik, in dem er sagte, die Berliner Kulturpolitik sei „tief provinziell“, die Volksbühne werde zur „Eventbude“ verkommen. Die seit einem knappen Vierteljahrhundert von Frank Castorf regierte Volksbühne, so meinten viele, war eines der letzten gallischen Dörfer, ein herrlich schrulliges Ostberliner Biotop im glatter werdenden Berlin.

Der Gegenwind aus dem Haus, aus der Berliner Politik und Stadtgesellschaft war gewaltig für den Belgier Chris Dercon, und er wurde zu keinem Zeitpunkt in diesen drei Jahren sanfter. In der Volksbühne wurden offene Briefe geschrieben, in denen von „Schleifung der Identität“ die Rede war, insgesamt verließen acht Schauspieler das Haus.

Dercon erhielt keinerlei Unterstützung von der Berliner Politik – obwohl ihm versprochen worden war, auch den Flughafen Tempelhof mit Theater zu bespielen, habe er dafür nie Mittel bekommen, beklagt er sich heute.

„Nochmal überdenken“

Berlins neuer Kultursenator Klaus Lederer von den Linken war noch nicht offiziell im Amt, als er Ende 2016 verkündete, er müsse die Personalie Chris Dercon „noch einmal überdenken“. Damals hatte der lange, tränenreiche Abschied von der alten Volksbühne längst begonnen, selten verging ein Tag, an dem nicht wieder irgendein Volksbühnenfan auf die glorreiche Vergangenheit des Hauses zurück blickte oder Dercon beschimpfte.

Der Beginn der ersten Spielzeit unter Chris Dercon ging gleich gut los, als Unbekannte den Shitstorm variierten und Kot vor sein Büro kippten. Während die ersten Stücke nicht gerade in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückten, war das Haus plötzlich wieder in aller Munde, als am 22. September 2017 eine Handvoll junger Aktivisten mit Rucksäcken und Schlafsäcken anrückten, um die Volksbühne zu besetzen.

Chris Dercon hatte in den letzten drei Jahren zahllose Anlässe, in Würde hinzuschmeißen

Eine Woche lang hielten sie dort die Stellung und behaupten beharrlich, es gehe ihnen gar nicht um die Person Chris Dercon, sondern um die Verteidigung selbstverwalteter Freiräume in Berlin. Am Ende musste Dercon mit der Unterstützung Klaus Lederers die Volksbühne räumen – allerdings ließ es sich Lederer nicht nehmen, kurz vorher noch zu posten: „Der Kampf um Freiräume kann nicht dadurch geführt werden, dass existierende Freiräume – ob mir gefällt, was dort passiert, oder nicht – privatisiert werden.“

Chris Dercon hatte in den letzten drei Jahren zahllose Anlässe, in Würde hinzuschmeißen. So gesehen ist es fast erstaunlich, dass es erst jetzt, in der ersten Spielzeit, passiert ist. Er ist das Opfer einer Schnapsidee. Diese Episode der Berliner Theaterlandschaft ist jetzt zu Ende und schafft Platz für einen Neuanfang. Den darf nun Klaus Lederer gestalten und er wird zeigen müssen, dass Berliner Kulturpolitik auch anders geht.

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Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

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