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Kommentar Volksbegehren in BayernFür die Bienen, gegen die Bauern

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

Die Rekordbeteiligung beim bayerischen Volksbegehren für Artenschutz ist auch eine klare Ansage an die einst übermächtige Agrarlobby. Gut so!

Das Volksbegehren in Bayern hat gezeigt, wie man der Bauern-Lobby beikommt Foto: dpa

K aum eine Lobby ist in Deutschland so mächtig und erfolgreich wie der Bauernverband. Nur mit der Automobilindustrie ist der Einfluss vergleichbar. Eine Dokumentation der ARD hat das vor einigen Wochen wieder anschaulich gezeigt und die geschichtlichen Wurzeln beleuchtet.

Denn in den jungen Jahren der Bundesrepublik waren die Bauern eine politische Größe. Fast 5 Millionen Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft. Das war keine kleine Wählerschaft, viele darunter blickten mit Wehmut zurück in die NS-Zeit.

Dass sich die Landbevölkerung wieder radikalisieren könnte, war über Jahrzehnte eine tiefsitzende Angst in der westdeutschen Politik, und der Bauernverband nutzte sie schamlos aus, um seine Interessen durchzusetzen. In den Hochzeiten der Industrialisierung der Landwirtschaft galten die vor allem dem Profit, „Wachse oder weiche!“, die zynische Todesmelodie für die kleinbürgerlichen Betriebe, wurde quasi zum Naturgesetz erhoben.

Kaum eine Lobby ist heute in der institutionellen Politik, in Berlin wie in Brüssel so gut vernetzt wie die Landwirtschaft. Und sie stellt sich erfolgreich quer, egal ob beim Thema Lebensmittelampel, bei Glyphosat oder bei der Nitratbelastung des Grundwassers, die eine Folge der Überdüngung ist.

Auf den Wiesen stehen keine Kühe mehr

Das Volksbegehren zum Artenschutz in Bayern hat nun gezeigt, wie man dieser Lobby beikommt. Oder sie wenigstens in die Schranken weist. Nicht über die institutionelle Politik, über Ausschüsse und Parlamente. Sondern über die Straße.

18,4 Prozent der Wahlberechtigten unterstützen das Anliegen und machten sich aktiv auf, um auf Gemeindeämtern ihre Unterschrift abzugeben. Ein Rekordbeteiligung. Man kann davon ausgehen, dass die stille Zustimmung zum Bienenschutz und für Forderungen, die in Bayern tatsächlich so etwas wie eine Agrarwende einleiten würde, noch viel höher ausfällt. All ihr Widerstand dagegen, ihre Informationskampagnen, ihr Zugang zur Politik haben den Landwirten nichts genutzt.

Denn so präsent die Landwirtschaft auf Parlamentsfluren ist, draußen auf dem Land, bei die Leit, wie man in Bayern sagt, ist sie es nicht mehr. Auf den Wiesen stehen keine Kühe mehr, auf den Straßen stauen Traktoren kaum noch den Verkehr. Etwas über eine halbe Million Menschen arbeiten noch in der Landwirtschaft – zum Vergleich – in der der Altenpflege sind es inzwischen fast doppelt so viele.

Noch kann der Bauernverband auf die alte, funktionierende Lobby-Klaviatur vertrauen, wenn das Volksbegehren nun in den Betrieb des bayerischen Landtags geht. Aber vielleicht schwant der Politik angesichts der Rekordbeteiligung auch endlich, wo heutzutage wirklich politische Größe anzutreffen ist.

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Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei
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9 Kommentare

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  • Satire? Alleine schon das folgende Zitat ist köstlich:



    „In den Hochzeiten der Industrialisierung der Landwirtschaft galten die (Interessen des Bauernverbandes) vor allem dem Profit, „Wachse oder weiche!“, die zynische Todesmelodie für die kleinbürgerlichen Betriebe, wurde quasi zum Naturgesetz erhoben.“



    Weder war die Landwirtschaft jemals in seiner Breite profitabel, sondern die Mehrzahl der Betriebe lebte stets vom Erbe. Zudem wird das „Wachse oder Weiche“ und der Strukturwandel vor allem von den steigenden Einkommen der Nichtlandwirte angetrieben; denn natürlich möchten umd sollen die Landwirte am allgemeinen Wohlstand teilhaben. Glückwunsch zur Kreation des Begriffs der „kleinbürgerlichen Betriebe“.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...was Söder, der sog. Bauernverband, aber auch Teile der Grünen, nicht verstehen, oder verstehen wollen ist, wenn ich ein bestimmtes Ziel erreichen will, und ich muss dafür 20 Meter gehen, dann kann ich nicht nach 10 Metern einfach stehen bleiben.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @81331 (Profil gelöscht):

      Ja, das ist sehr klug und auch richtig. Aber es gibt so viele Situationen, wo man z.B. zu seinem Kind sagt: 'Wir sind gleich da. Mein Liebes, wir schaffen die letzten 10 Meter noch.



      Oder eine Firma, die gerne ökologischer werden möchte, aber in dem und im nächsten Jahr fehlt noch das Geld



      oder natürlich das wichtigste Beispiel: Die Bundesregierung, wir verschieben das Ziel einfach, dann können wir halb so schnell gehen.



      Aber das sind menschliche Pennäler-Argumente.



      Der Meeresspiegel, die Luft, die Erde haben andere Gesetze, die den Tricks der Söders und der Bauern nicht folgen werden.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Immerhin hat Söder von seinem Ziehvater Drehhofer geerbt, daß er die Vokabel 'Asyltourismus' nicht mehr verwenden will und sich, wie der Ziehvater auch, durchaus wie eine Fahne im Wind in Richtung Volkes Wille drehen will, wie er heute Vormittag im Bayerischen Fernsehen im Stammtisch freimütig zugab.



    Aber er hat mindestens 2 Klötze an den Beinen: Den Koalitionspartner Aiwanger, (der findet: ... daß die bayerischen Bauern seit tausend Jahren wussten, was sie machen wollten und jetzt sollen sie plötzlich nach der Pfeife der Grünen tanzen ...) und den mächtigen Bauernverband, der die Macht für einen Umsturz und die Absetzung Söders hat, wenn die CSU nicht spurt.



    Der angekündigte runde Tisch wird ein niedliches Pläuschchen werden mit dem Ergebnis, daß die Leute auf ihren Balkonen wieder kleine Gänseblümchen pflanzen sollen. Und dann ist es gut.



    Liebe Gelb-schwarz-Bienen - Westen in Bayern, schaut genau hin, mit welchem Trick ihr dort abgespeist werdet.

  • Es geht doch nicht gegen die Bauern. Gerade den Bauern muß doch daran gelegen sein, daß die Bienen ihre Arbeit erledigen und die Pflanzen bestäuben (und viele Bauern haben das erkannt und setzen sich für Bienenschutz und ökologische Landwirtschaft ein). Es geht also um eine Lobby, die vorgibt, die Interessen der bauern zu vertreten, letztlich aber nur kurzfristige Gewinnmaximierung bei gleichzeitiger Vernichtung ihrer eigenen grundlagen vertritt.

  • Man muss da differenzieren: die Bauern (zumindest grösstenteils, die chemisch wirtschaftenden zumindest) sind als Opfer der Agrarindustrie und der Politik zu sehen. Sie führen zwar die fatalen Schritte zur Artenvernichtung aus (Chemie, Flurbereinigung, Grünstreifen etc.), aber sie haben oft keine Wahl mehr.

    Insofern ist zwar "der Bauer" die richtige nächstliegende Adresse für den Protest, und diese MÜSSEN sich auch ändern, aber die wahren Schuldigen lauern im Bauernverband und in der Politik der Union = Industrielobbyvereinigungen.

    Die Bauern werden von der Agrarchemieindustrie als wehrlose Opfer aufgrund einer verfehlten Politik missbraucht als Umschlagplatz für Massen von Agrarchemie - verdienen tun die grossen Chemiegiganten, die nicht nur Pflanzen"schutz" mittel, sondern auch die zwingend dazugehörigen Hybridsamen und Sähgetreide (=resistent) vertreiben.

    Die Politkik fördert die Grossbauern und internationalen Wettbewerb, der nur mit Hilfe von Vergrösserung und massiven Chemieinsatz zu bestehen ist. Union halt: Tod den schwer steuerbaren Kleinbauern!

  • Bleibt zu hoffen, dass es der Herr Söder nicht schafft, das zu seinen und der Bauern Gunsten noch zu drehen…



    Frauman weiß ja nie, was da noch alles an "Argumenten" bemüht wird…



    Aber toll ist das schon – endlich ein Lichtblick gegen Industrialisierung der Landwirtschaft.



    Und die CSU hat ja auch "irgendwie" gepennt, Zeichen der Zeit und so – schööön. 😉

  • Die letzten Landtagswahlen haben bereits die ersten Töne eines neuen Liedes angestimmt. Man beginnt allmählich zu erkennen, in welch innige Umarmung die bayerische Regierungspartei ihren Koalitionspartner gezogen hat. Der Wähler ist nicht dumm. Er hat gelernt genau auf die Zwischen- und Misstöne zu achten und reagiert mutiger und entschlossener auf falsche Musik. Dem Landwirt ist nur zu raten sich auch beim Kauf von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln gut zu überlegen, weshalb er gerade dies kauft. Immerhin ist es auch sein Ast, an dem er langfristig sägt. Und willige und billige Bestäubungshelfer wird er so schnell wie in China hierzulande nicht finden, hat er doch schon Probleme auf der Suche nach Erntehelfern.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @noevil:

      Volle Zustimmung.