Kommentar Urteil zur Stiefkindadoption: Grüße aus Bilderbuchhausen
Deutschland hinkt der Realität und der EU hinterher: Unverheiratete dürfen immer noch nicht die Kinder ihrer Lebenspartner adoptieren.
G ehen Sie doch mal im Kopf durch, wie viele Familien Sie kennen, die dem Muster „Vater-Mutter-Kind-in-Ewigkeit-Amen“ entsprechen. Also Hetero-Paare, die in jungen Jahren heiraten, Kinder bekommen und zusammen alt werden. Die Bilderbücher, die Sie ihren Kindern vorlesen, zählen dabei übrigens nicht.
Wechselnde Beziehungen, neue Partner, Stiefpapas und -mamas, Ko-Elternschaft. Alles längst praktizierte Realität. Politik und Recht richten sich unterdessen weiter nach Familie Mustermann aus Bilderbuchhausen. Und dementsprechend hat der BGH am Montag auch entschieden: Ein unverheirateter Mann kann nicht die Kinder seiner Lebensgefährtin adoptieren. Denn wer nicht verheiratet ist, führe keine „stabile Beziehung“.
Heißt für Stiefpapa: kein Recht, Entschuldigungszettel zu schreiben, keine Auskunftsrechte im Krankenhaus oder bei der Polizei. Heißt für das Kind: keine finanzielle Absicherung, falls Stiefpapa stirbt und es kein Testament gibt.
„Na, dann sollen sie eben heiraten“, wird der eine oder die andere jetzt rufen. „Geht doch schnell und ist nicht mehr so symbolisch aufgeladen wie früher, und man muss die Dinge ja nicht immer weiter verkomplizieren!“
Und was, wenn Stiefpapa schon verheiratet ist? Zum Beispiel mit seinem Lebenspartner, der keine Kinder möchte, weswegen Stiefpapa sich mit Mama zusammen um Maxi kümmert.
Das können Sie sich nicht vorstellen? In den Niederlanden kann man das. Dort dürfen Kinder künftig sogar bis zu vier juristische Eltern haben. Deutschland bleibt derweil das letzte westeuropäische Land, das noch nicht einmal die Ehe gleichgestellt hat. Eine Gesellschaft, so fantasievoll wie eine Mikrowellenbedienungsanleitung.
„Familie ist da, wo Menschen partnerschaftlich füreinander Verantwortung übernehmen“ – das steht in keinem Hippie-Pamphlet, sondern ist Leitsatz von Familienministerin Manuela Schwesig. Zeit, das auch rechtliche Realität werden zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin