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Kommentar Urteil „Völkermord“Zu Recht streng

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Es ist wichtig, die Gefühle von Opfern zu schützen. Doch wenn es um strafrechtliche Eingriffe in Geschichte geht, muss das Gericht genau sein.

Meinungsfreiheit wird auf diesen Luftballons gefordert. Mit dem Urteil hat der Gerichtshof nicht erklärt, dass es den Völkermord nicht gab. Foto: imago/Zuma Press

D as Straßburger Urteil dürfte viele Missverständnisse auslösen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat entschieden, dass der türkische Politiker Doğu Perinçek in der Schweiz nicht dafür bestraft werden durfte, dass er den Völkermord an den Armeniern 1915 bestritt. Damit hat der Gerichtshof nicht erklärt, dass es den Völkermord nicht gab. Und er hat auch nicht entschieden, dass die Leugnung von Völkermorden generell nicht bestraft werden darf.

Zu Recht ist der Gerichtshof aber streng, wenn es um strafrechtliche Eingriffe in historische Debatten geht. Was vor Jahrzehnten passiert ist und wie es rechtlich zu bewerten ist, sollte in aller Regel der freien Debatte von Historikern und anderen Interessierten überlassen bleiben. So anerkennenswert es ist, die Gefühle der Opfer von Gewalt und Verbrechen zu schützen, so kann dies zu leicht missbraucht werden, um einseitige und politisch opportune Sichtweisen durchzusetzen.

Dem Gerichtshof für Menschenrechte ging es nicht um die Interessen der Türkei. Schon mehrfach hatte er den umgekehrten Fall zu entscheiden, dass Armenier in der Türkei bestraft wurden, weil sie von einem „Völkermord“ an ihrem Volk sprachen. Auch hier entschieden die Richter für die Meinungsfreiheit.

Wichtig war im konkreten Fall, dass er in der Schweiz spielte, einem Staat, der mit den Ereignissen von 1915 wenig zu tun hat. Dort gebe es wenig Rechtfertigung, solche historischen Debatten zu reglementieren. Dagegen hat das Straßburger Gericht die deutschen Gesetze zur Leugnung des Holocaust nie beanstandet und wird dies auch künftig nicht tun. Deutschland darf seine Läuterung auch strafrechtlich zum Ausdruck bringen.

Sollte die Türkei je zu Sinnen kommen und den Völkermord an den Armeniern anerkennen, dann dürfte sie als Zeichen der Verantwortung auch dessen Leugnung unter Strafe stellen. Doch davon ist sie leider weit entfernt.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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4 Kommentare

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  • Ganz so einfach ist es nicht:

     

    Spätestens seit den Kriegen gegen Irak ("Massenvernichtungswaffen, Völkermord an Kurden" etc.), Serbien ("Srebrenica-Völkermordmassaker" uvm.) und aktuell im nahen und mittleren Osten ("Giftgas gegen Babies, Faßbomben" etc.) spielt die mediale Aufbereitung eine weltpolitisch kriegsentscheidende Rolle.

    Da ist es schon sehr wichtig, was UN-Kommissionen herausfinden dürfen und wie das Verhalten bestimmter Staaten oder Milizen von Politikern im internationalen Kontext benannt wird, oder hat jemand Putins Massaker an den Tscherkessen oder den Genozid an den Krimtataren schon vergessen?

     

    Eben!

  • Den Optimismus von Herrn Rath in allen Ehren, aber es gibt keinen Grund, angesichts dieses absurden Urteils des EGMR zu frohlocken und diese eindeutige Niederlage für die Menschenrechte in einen Sieg umzudeuten.

     

    In den Online-Foren kann man schon jetzt beobachten wie Nazis ganz "unschuldig" die Frage ins Spiel bringen, warum man denn nicht auch die Shoa genauso leugnen dürfe. Das heisst, wir dürfen uns jetzt dank der europäischen Richter darauf gefasst machen, dass in Zukunft auch die Kriminalisierung der Leugnung der Shoa unter Beschuss geraten wird. Wer soll denn die Nazis daran hindern, dieses EGMR-Urteil für ihre Zwecke zu nutzen und auch die kriminelle Leugnung der Shoa durch den Hinweis auf die "Meinungsfreiheit" vor Sanktionierung zu schützen?

     

    Ohne den Wortlaut des Urteils im Detail zu kennen, vermitteln die durchgesickerten Infos in Medien den Eindruck, dass der EGMR hier rechtswidrig geurteilt hat, denn er hat gar keine juristische Entscheidung getroffen. Er argumentiert im Gegenteil mit irgendwelchen Befindlichkeiten und der angeblichen Motivation des türkischen Nationalisten.

  • Dabei wurde die im Kern wichtige Frage ausgeblendet, ob der EGMR nun den Genozid an den Armenier_innen als Genozid einstuft oder nicht. Gerade die Beantwortung dieser Frage wäre doch entscheidend gewesen, um ein halbwegs angemessenes Urteil zu fällen. Dazu hätte sich der EGMR aber auf die Belege in der historischen Forschung stützen müssen, was er aus unerfindlichen Gründen vermeiden wollte. So interveniert der EGMR erst recht in eine historische Debatte - und zwar ohne die entscheidenden Fragen in dieser Debatte auch nur aufzugreifen. Und der EGMR erteilt einen Persilschein für die Leugnung von Massenmord. Was dem EGMR dabei sicher klar gewesen ist: Durch die gegenwärtige Leugnung vergangener Massenmorde wird der Weg für die Massenmorde der Zukunft geebnet. Denn nur durch die Erinnerung an solche Verbrechen wird ermöglicht, dass wir dazulernen und in der Zukunft solche Verbrechen verhindert werden. Die Leugnung dieser Verbrechen ist eine gezielte Strategie, mit der Nazis die Erinnerung zum Verschwinden bringen wollen, damit sie wieder dort weitermachen können, wo sie 1945 gestoppt wurden.

    • @Rudeboy:

      Ich stimme zu: Meinungen sind gefährlich. Meinungen können sehr viel verändern. Aber entegegen deiner Tirade wider die Meinungsfreiheit glaube ich nicht, dass es zu einer besseren Gesellschaft führt, wenn Gerichte uns unsere Meinungen vorschreiben. Die Meinungsfreiheit auf die Meinungen zu reduzieren, die dir passen, ist ein sehr gefährliches Feld, und führt leicht zu Absurditäten.

       

      Sollen wir auch strafbar machen, die Verbrechen der UdSSR zu leugnen? Ist jeder, der leugnet, dass die DDR eine Gewaltdiktatur war, ein Krimineller?

       

      "Die Leugnung dieser Verbrechen ist eine gezielte Strategie, mit der Nazis die Erinnerung zum Verschwinden bringen wollen, damit sie wieder dort weitermachen können, wo sie 1945 gestoppt wurden."

       

      Auch da stimme ich dir zu. Ich habe aber noch nie verstanden, warum "Das darfst du nicht sagen!" eine angemessene Strategie sein sollte, um das zu bekämpfen. Und warum wir so obrigkeitshörig sein sollten, uns von einem Justizministerium, oder auch von einer Ansammlung von Geschichtsprofessoren, sagen zu lassen, wessen Meinung wir jetzt erlauben müssen und wessen nicht.

       

      Die USA scheinen den Dreh da besser raus zu haben: Mein Kampf ist unkommentiert erhältlich, und jeder Nazi darf von rechts wegen frei seine Meinung sagen, und doch steht kein White Pride Reich an, und der Einfluss der Nazis auf das politische Leben ist vernachlässigbar. Noch nicht mal der toxische Haufen, der der extreme Rand der Republikaner ist, kokettiert mit ihnen.