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Kommentar UkrainekriseDie Folgen des Fanatismus

Kommentar von Erhard Stölting

Der Westen versus Russland? Das ist zu einfach, die Interessenlage ist vielfältiger. Dies gilt es endlich in den Blick zu nehmen.

Ukrainische Soldaten in der Ostukraine. Viele Russen glauben das Gerede vom Faschismus in Kiew. Bild: dpa

A nfangs ging es auf dem Maidan um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Bekämpfung von Korruption. Auslöser der Proteste war die Weigerung des kleptokratischen Präsidenten Janukowitsch, den Assoziierungsvertrag mit der EU zu unterzeichnen, den er selbst ausgehandelt hatte. Dass er dann doch vor Russland einknickte, lässt ihn schwach erscheinen, aber macht ihn nicht zu einem Knecht Moskaus, wie immer wieder behauptet wird.

Inzwischen geht es nur noch um die Einheit der Nation, und Hass und Halbwahrheiten bestimmen die Wahrnehmung auf allen Seiten. Es scheint, als gäbe es nur mehr zwei Parteien: auf der einen Seite „die Russen“, auf der anderen „der Westen“. Tatsächlich aber existiert ein widersprüchliches Feld aus Akteuren, die je eigene Ziele verfolgen.

Die Wünsche der USA sind nicht identisch mit denen der EU, die Russlands nicht mit denen des „separatistischen Mobs“; und ob Geheimdienste die Strategien ihrer Regierungen verfolgen, ist ohnehin nie gesichert.

Westlicherseits streitet man, ob sich Russland mit Wirtschaftssanktionen in die Knie zwingen ließe oder ob ihm nicht die Eisenfaust gezeigt werden sollte. Auf russischer Seite werden dissidente Stimmen massiv unterdrückt.

Nationalistischer Rausch in Russland

Wer jedoch nach einer friedlichen Lösung sucht, wird um eine sorgfältige Betrachtung unerfreulicher Realitäten nicht herumkommen. Russland hat den Kalten Krieg verloren, die sozialistischen Kulissen sind entsorgt. Das Imperium, das in sowjetischer Zeit vorgab, ein freiwilliger Staatenbund zu sein, hat für diese Täuschung mit seiner Auflösung bezahlt.

Russland konzentrierte sich daraufhin auf Rohstoffexporte und wurde zu einem korrupten Entwicklungsland. Putin ging massiv gegen die demokratische Zivilgesellschaft vor; im Gegenzug ließen sich große Teile der Bevölkerung von einem nationalistischen Rausch erfassen, den die Regierung wiederum seit Jahren fördert und inzwischen nicht mehr kontrollieren kann.

Zugleich aber ist Russland noch immer ein mächtiges Land, dessen strategische Fähigkeiten und Interessen man auch dann nicht ignorieren sollte, wenn man sie für verwerflich hält. Schon die Erwartung, der Kreml werde seinen Flottenstützpunkt auf der Krim freiwillig aufgeben, war naiv. Auch die USA waren niemals bereit, ihren Stützpunkt Guantánamo an Kuba und damit an die Sowjetunion zu übergeben – und was die Kubaner darüber dachten, hat ja niemanden interessiert. Warum also sollte Russland seine Militärpräsenz kampflos preisgeben?

Der Faschismus kam aus dem Westen

Merkwürdigerweise erscheint vielen Russen der Popanz vom „Faschismus“ in Kiew glaubwürdig. Unter ihm verstehen sie aber etwas anderes als die Deutschen: Der Große Vaterländische Krieg der Sowjetunion endete 1945 mit einem Triumph über den aus dem Westen kommenden Hitlerfaschismus. Triumphal hatte schon der Vaterländische Krieg von 1813 geendet, in dem die von Westen her eindringende Armee Napoleons vernichtet wurde.

Der Stolz, Bürger einer Großmacht zu sein, half immer wieder über das Elend des sowjetischen Alltags hinweg. Dieser Bevölkerung muss man erst einmal erläutern, warum der Westen auch recht haben kann, denn in der vorherrschenden Logik bedeutet das die eigene Minderwertigkeit.

Auf der Gegenseite dient „Demokratie“ der Durchsetzung des ukrainischen Volkswillens, „Rechtsstaatlichkeit“ der Durchsetzung ukrainischer Rechte. Westlicher Reichtum werde, so die Hoffnung, das Land wieder auf die Beine bringen. Russland erscheint als die fremde Macht, die das Land jahrhundertelang ausplünderte. Auch der sowjetische Sozialismus gilt hier als russisches Verbrechen.

Vermittelbar sind diese beiden Perspektiven nicht. Jedoch haben Russen und Ukrainer, soweit sie unterscheidbar sind, jahrhundertelang zusammengelebt. Es kam zur kulturellen und sprachlichen Annäherung, man heiratete untereinander.

Diese Entspanntheit scheint erst mal passé. Die Verhärtung ist Folge einer fanatischen Politik – auf allen Seiten.

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15 Kommentare

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  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Für mich als eingeborener Deutscher bedeutet Faschismus die kreislaufend-eskalierende Gewaltherrschaft im "Recht des Stärkeren" - AUSBEUTUNG und UNTERDRÜCKUNG im geistigen Stillstand des nun "freiheitlichen" WETTBEWERBs um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei"!

     

    Ob die eine oder "andere" Seite ..., ist ziemlich offensichtlich IRRELEVANT, Mensch braucht dringend eine andere / wirklich-wahrhaftige Kommunikation OHNE Symptomatik in "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei"!!!

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @688 (Profil gelöscht):

      Dem FANATISMUS zur Bildung von Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche ein Ende - wir haben jetzt genug KOMMUNIKATIONSMÜLL produziert!?

  • "Inzwischen geht es nur(!) noch um die Einheit der Nation(!),..."

    STOP ! Da fehlt doch eine wichtige Frage , Herr Stölting ! Oder wurde sie bewußt übersprungen ? Die Frage :

    W e m geht es hier "nur" um die "Einheit der Nation" ? Richtiger weil nüchterner und weniger emphatisch-schwülstig wäre die Fragestellung : Wem und aus welchen Gründen geht es um die territoriale Einheit des S t a a t e s Ukraine ? Dann würde sich auch eine andere Frage nach vorne stellen : Welchen Verlauf hätte die jüngere Geschichte der Ukraine genommen , wenn sich die USA (Nulan ,CIA, Blackwater ...) , die EU , die Nato ganz rausgehalten hätten ? Und dann die "eigentliche" Frage : Was bezweck(t)en die USA (unter tätiger Mithilfe der EU-& Natostaaten und Aufwendung von 5 Milliarden Dollar) mit der Destabilisierung der staatlichen Ordnung dieses Pleitestaates ?

  • "Auslöser der Proteste war die Weigerung des kleptokratischen Präsidenten Janukowitsch, den Assoziierungsvertrag mit der EU zu unterzeichnen, den er selbst ausgehandelt hatte. Dass er dann doch vor Russland einknickte..."

     

    Halbwahrheiten. Es ist doch noch nicht so lange her: Russland hatte ein besseres Angebot gemacht, als EU und IWF. Das hat mit "einknicken" nichts zu tun. Janukowitsch mag ein Kleptokrat gewesen sein, aber da bot Russland mehr - und das ohne Spardiktat. Russland hatte auch zu trilateralen Gesprächen zwischen Ukraine, EU und Russland aufgefordert. Das wollte man in der EU - und in Washington - allerdings nicht. Denn man hatte die "EuroMaidan"-Suppe mit Hilfe von KAS und NED schon lange angerührt. Man wollte Janukowitsch und Russland mit einer Orangenen Revolution V. 2.0 einfach aus dem Spiel kicken.

     

    Ob man wirklich so blauäugig war, zu meinen, Russland ließe sich seinen Schwarzmeerhafen so einfach wegnehmen oder ob man einfach destabilisieren und konfrontieren wollte, steht auf einem anderen Blatt.

     

    Ob Russland nun wirklich den Kalten Krieg verloren hat, ob die Strukturen in Russland vor Putin demokratischer waren, auch darüber kann man durchaus streiten. Es ist allerdings gefährlich, Russland so entgegen zu treten, als habe es 1990 eine Kapitulation unterschrieben. Das war nicht so.

     

    Putin ist - wie der im Westen so beliebte Yeltsin - kein lupenreiner Demokrat. Es ist ihm aber gelungen, den Ausverkauf Russlands an westliche Interessen zu stoppen. Er hat Russland so weit konsolidiert, dass er dem Westen - Obama - in den Fragen um Syrien und Iran die Stirn bieten konnte. Ja, und das war wohl der Startschuss für das Ukraine-Drama.

     

    Das hat nichts mit "fanatischer Politik auf beiden Seiten" zu tun. Es hat damit zu tun, dass die NATO Russland auf die Pelle rückt, nicht umgekehrt. Russland verhält sich defensiv. Die NATO muss aufhören, sich aggressiv zu verhalten.

    • @h4364r:

      Ja klar... `was da stinkt, ist die USA beherrschte NATO... und die dienerisch gefolgsame EU´...

      Gut nun wäre, wenn der Westen all diese verfehlte Anerkennung der ukrainischen Putschregierung zurückzieht und hilft, die letzte Agenda von Herrn Janukovitch als gültig zu etablieren... dh. Herrn Janukovitch als `legalen Präsidenten´der Ukraine zu reetablieren! Er könnte den anstehenden Bürgerkrieg abwenden...

  • Sowohl die EU als auch Russland haben ein Interesse an einer Ukraine als einem einheitlichen und funktionierenden Staat, man will keine Nationalismen fördern, die zu bürgerkriegsähnlichen und unbeherrschbaren Zuständen führen können. Die Ukraine muss sowohl mit der EU als auch mit Russland zusammenarbeiten, da darf es kein entweder oder geben. Das ausgehandelte Abkommen war eine vernünftige Grundlage, wird aber von der nicht demokratisch legitimierten Regierung ad absurdum geführt, dabei eifrig unterstützt von den USA, indem das Militär gegen die eigene Bevölkerung losgeschickt wird und der IWF die Gewährung von Krediten davon abhängig macht, dass dieser Feldzug auch erfolgreich ist. Für die Bevölkerung der Ukraine springt dabei nichts Gutes heraus: die Armut und die Arbeitslosigkeit werden sich ausdehnen, die Oligarchen werden z.T. ausgetauscht werden. Nicht nur Deutschland hat ein Interesse daran, dass es eine politische Lösung gibt, auch gegen den Willen der USA. - Aber vielleicht sollen wir uns ja an den Einsatz des Militärs gewöhnen bei Aufständen und Protesten, vielleicht soll das demnächst auch in EU-Staaten praktiziert werden, deren Bevölkerung sich masiv gegen diese dumme und erfolglose Austeritätspolitik wehrt. Nach Krieg und Bürgerkrieg gibt es ja endlich wieder etwas aufzubauen und das Wirtschaftswachstum ist dann erfreulich hoch.

  • Einspruch! Zu den zwei Absätzen des K o m m e n t a r s von Erhard Stölting. Ein Kommentar, eine Meinung - und keine Nachricht!

     

    Dieser Bevölkerung kann "man" - wer? wo? Genf? Brüssel? Berlin? Washington? - auch erläutern, warum nämlich der Osten gleichermaßen recht haben kann, wenn es um die eigene Minderwertigkeit geht. Das tut der Osten, mit Beistand aus Rußland unter Putin, um das Gefühl der Minderwertigkeit zu beseitigen. Ebenfalls mit ideologischer Logik.

     

    Eine Demokratie kann sich erst dann entwickeln, wenn sich die Bevölkerung zuerst eine gute Verfassung/Grundordnung mit strikter Gewaltenteilung gibt und auf dieser dann die von der Bevölkerung gewünschte Demokratie Jahr für Jahr aufgebaut, alltäglich miterlebt wird. Wenn die Bevölkerung selbst mitbaut, mitgestaltet und im Alltag persönlich durchlebt. Wenn über vorgeschlagene Änderungen und Verbesserungen der Verfassung neu abgestimmt wird. So baut und enwickelt sich eine Demokratie - jedenfalls nach meinem Verständnis und Erleben der Bundesrepublik Deutschland und des persönlichen Erlebens der englischen bzw. britischen Demokratie.

    Westlicher Reichtum werde alle Osteuropäischen Staaten, so hofften diese jedenfalls, wieder auf die Beine bringen. Hat das der westliche Reichtum wirklich geschafft?

    Die östlichen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, die voller Hoffnung beigetreten sind, wurden jährlich mit zugesagten 100 Milliarden DM gefördert. Doch 1991 - 1998 wurden sie erst einmal durch die Treuhand plattgemacht, die ostdeutsche Bevölkerung mit sehr hoher Massenarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit "beglückt"!

     

    Blüht das auch der Ukraine?

     

    Zarenreich mit Millionen Leibeigenen und die Sowjetunion haben ausgeplündert, nicht das heutige Rußland. - Die DDR wurde von der Sowjetunion ausgeplündert, nicht von Rußland.

  • Der Autor schreibt:

    "Merkwürdigerweise erscheint vielen Russen der Popanz vom „Faschismus“ in Kiew glaubwürdig. "

     

    Und das einen Tag, nachdem Dutzende von Menschen durch einen faschistischen Mob in Odessa verbrannt wurden.

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Guter Kommentar.

    Man darf gespannt sein wie sich das Land entwickelt.

    Unter Janukowitsch konnten die Menschen ihre Gasrechnungen noch bezahlen.

    Jetzt wird das Gas 30% teurer.

    Mal sehen ob die IWF- Kredite und die damit verbundenen Forderungen, sich für das Land als Segen oder Fluch herausstellen werden.

    Es ist auch zu erwarten, dass das Assoziierungsabkommen zwischen Georgien und westl. Nato- Staaten von Russland torpediert wird (August 2014). Ist doch klar!

    Pontus Euxenius war schon unter den Griechen in der Antike ein strategisch wichtiges Meer.

    • @9076 (Profil gelöscht):

      Also ihr geostrategisches Wissen aus der Antike in allen Ehren, aber wie sie darauf kommen, dass Georgien sich nach dem Krieg 2008 so schnell wieder Russland annähern sollte, und es im Augenblick auch kein Gebiet gibt, dass sich noch mal auf die selbe Tour abspalten ließe, ist mir ein Rätsel. Das Profil des seit 2012 mit absoluter Mehrheit regierenden Parteienbündnisses "Georgischer Traum" wird auf wiki wie folgt beschrieben: "Zu den Mitgliedern gehören marktwirtschaftlich und pro-westlich eingestellte Liberale, radikale Nationalisten mit ausländerfeindlicher Rhetorik sowie Politiker aus dem Umfeld des früheren Präsidenten Eduard Schewardnadse..:" Wie auch immer man dies bewertet, kremlorientiert klingt das nicht. Und da der Präsident nun auch keine Macht mehr hat, sondern diese beim Parlament liegt, dürfte es auch deutlich schwerer sein, hier Druck auszuüben.

    • @9076 (Profil gelöscht):

      In Kasachstan heizten sie im Winter ihren Garten....kostet ja nichts. In der Ukraine sollen vor allem fast alle Wasserleitungen marode sein, die Haelfte versickert irgendwo.

  • "Dieser Bevölkerung muss man erst einmal erläutern, warum der Westen auch recht haben kann..." Es wäre schön gewesen, dieser Satz wäre irgendwie gefüllt worden.

     

    Im Moment müsste es einem eigentlich schwer fallen, dem Westen recht zu geben. In Kiew, so berichtet heute der SPIEGEL, ist die CIA dabei, die Regierung auf einen Kampf gegen die sog. russischen Separatisten einzuschwören.

     

    Dass der Truppenvorstoß in den Osten mit tatkräftiger Beteiligung der CIA allerdings direkt in den Bürgerkrieg führt, scheint im Westen niemanden groß zu stören. Statt die ukrainische Regierung sofort zu stoppen und die Ostukraine in einer Wahl über ihren Status selbst abstimmen zu lassen, werden Fakten geschaffen und dafür Opfer in Kauf genommen.

     

    Dass gestern in Odessa über 30 Menschen im Gewerkschaftsgebäude durch einen Brandanschlag des rechten Blocks zu Tode kamen, scheint im Westen, der so viel auf seine Werte hält, niemand groß zu interessieren. (Ja, in der deutschen Presse liest man - außer seltsamerweise im Spiegel - noch nicht einmal davon. Kein westlicher Politiker äußerst sich konkret dazu.)

     

    Wenn aber wir als Westen uns nicht um unsere Werte kümmern, wieso velangen wir es dann ständig von der Gegenseite?

    • @Hunter:

      Das ist doch das gleiche Spiel wie im Fall der Sprueche von der schoenen Internationalen Gemeinschaft.

    • 9G
      9076 (Profil gelöscht)
      @Hunter:

      "Dass der Truppenvorstoß in den Osten mit tatkräftiger Beteiligung der CIA allerdings direkt in den Bürgerkrieg führt, scheint im Westen niemanden groß zu stören."

      Die Menschen im Westen scheint so vieles nicht zu stören. Schon lange nicht die Gleichschaltung medialer Berichterstattung. Es ist ja nicht zielführend, würde man mal die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen.

  • Ja - den kann man nehmen

     

    Erkenne die Lage -

    schön, daß solches Denken

    zunehmend in der taz Platz greift