Kommentar Ukraine-Friedensinitiative: Was sonst noch auf dem Spiel steht
Das Duo Merkel-Hollande will Frieden in der Ukraine stiften. Bei ihren diplomatischen Bemühungen geht es aber auch um die außenpolitische Macht der EU.
P ARIS taz Es geht um Krieg oder Frieden – oder sogar darum, den „totalen Krieg zu verhindern“, steht auf der Titelseite von Le Monde. Es fehlt nicht an Dramatik bei dieser diplomatischen Offensive des europäischen Duos Merkel-Hollande, um die Eskalation der Gewalt in der Ukraine zu stoppen. Der französische Staatspräsident selber hatte in seinem Bemühen, Frankreichs außenpolitische Rolle und Bedeutung an der Seite der deutschen Partner aufzuwerten, am Donnerstag bei seiner Halbjahrespressekonferenz diese deutsch-französische Initiative angekündigt und erklärt: „In wenigen Monaten hat sich ein Streit in einen Konflikt und dann in einen Krieg verwandelt. Jetzt stehen wir vor einem Krieg, der vielleicht ein totaler Krieg werden könnte.“
Wer aber einen Vermittlungsversuch angesichts einer höchst beunruhigenden Zuspitzung bereits als letzte Chance vor dem Chaos oder einem dritten Weltkrieg darstellt, schließt die Perspektive eines Scheiterns aus und bringt sich selbst in einen totalen Erfolgszwang. Ob damit die Konfliktparteien und namentlich der russische Staatschef Wladimir Putin zur Konzession bewegt werden können, bleibt nach den Diskussionen von Merkel und Hollande in Kiew und Moskau fraglich.
Ihre Dramatisierung entspricht vor allem der Sicht der europäischen Nachbarn. Sie haben außer ihrer Angst vor einem sich ausweitenden Krieg an der Grenze der EU und einer Neuauflage der (bereits zu Makular gewordenen) Vereinbarungen von Minsk als Ausweg nichts mitgebracht, um dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten. Wenn Hollande im Anschluss die Gespräche nur gerade „konstruktiv“ nennt und auf die telefonische Fortsetzung der Diskussionen verweist, stimmt dies nicht sehr optimistisch.
Auf dem Spiel steht bei dieser Friedensoffensive auch die außenpolitische Macht der EU, auf die gerade Hollande bei diesem Konflikt in der Ukraine pocht. Es wäre eine Diskreditierung der europäischen Diplomatie oder gar ein Eingeständnis des „totalen“ Scheiterns, wenn die EU die Vermittlungen den USA überlassen müssten.
Merkel und Hollande kamen mit ihrer überraschenden Visite als Friedenstifter dem amerikanischen Außenminister John Kerry und den erwarteten Vorschlägen der US-Regierung an der Münchner Sicherheitskonferenz zuvor. Es geht dabei nicht bloß um eine Rivalität, sondern um wesentliche geostrategische Unterschiede. Hollande hat deutlich gesagt, dass für ihn (heute) die Ukraine nicht in die Nato gehört. In Paris und Berlin befürchtet man, dass die amerikanische Position Putin in seiner Unterstützung der Separatisten und die ukrainische Regierung in einer unnachgiebigen Haltung bestärken könnte.
Jetzt wird man sehen, was dieses Mal die Unterschrift unter ein Waffenstillstandsabkommen oder eine friedliche Einigung wert ist. Davon hängt die Glaubwürdigkeit der EU und die Autorität ihrer beiden Emissäre ab. Für sein entschiedenes Auftreten an der Seite von Merkel hat man Hollande in seinem Land bereits lobend das Format eines Staatsmanns zuerkannt. Er hat – wie schon in Mali und Zentralafrika – gehandelt, als die anderen noch zögerlich am „Werweißen“ waren. Diese Wertschätzung ist verdient, aber nur von innenpolitischer Bedeutung. Denn mit Vorschusslorbeeren ist kein Krieg zu gewinnen oder zu beenden.
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