Kommentar US-Teilabzug aus Afghanistan: Keine Politik, nur noch Ressentiment
Inoffiziell ist der Teilabzug aus Afghanistan bereits beschlossen. So schwächt Trump die eigene Position und die seiner lokalen Verbündeten.
N un ist es wohl passiert, schneller als erwartet: US-Offizielle bestätigen bereits anonym, Trumps Entscheidung über einen Truppenteilabzug aus Afghanistan – bis zur Hälfte der etwa 14.000 Soldaten – sei gefallen. Also: Erst der Abzug aus den Kurdengebieten in Syrien, wo die Kurden Assad und Erdogan zum Fraß vorgeworfen werden, und jetzt Afghanistan. Trump übersetzt seine America-First-Politik ins Außenressort, ohne Rücksicht auf Verbündete.
Nicht dass so etwas zum ersten Mal geschieht: Bush Senior, nach seinem Ableben gerade noch von der Tagesschau als „einer der außenpolitisch erfolgreichsten US-Präsidenten“ gepriesen, opferte Iraks aufständische Schiiten und Kurden Saddam Hussain. Auch die Afghaninnen und Afghanen sind ja schon einmal vom gesamten Westen im Stich gelassen worden, nach dem Abzug der damals sowjetischen Invasoren 1989.
Über ein paar Zwischenstufen führte das zur Herrschaft der rückwärtsgewandten, misogynen, menschenrechts- und demokratiefeindlichen Taliban. Während das hierzulande weitgehend vergessen ist, ging es in die afghanische nationale Erzählung ein. Der mögliche Beginn des amerikanischen Afghanistan-Rückzugs wird ihnen einen Schauer den Rücken hinunter jagen.
Politisch-strategisch passt selbst ein Teilabzug jetzt überhaupt nicht. Immerhin hat Trump gerade einen Sonderbeauftragten geschickt, mit den Taliban ein Ende des Kriegs und – dann! – einen Truppenabzug herbei zu verhandeln. So aber schwächt Trump deutlich die eigene Position und die seiner lokalen Verbündeten bzw. Klienten.
Vergurkt haben es die Amerikaner
Das ist keine Politik, nur noch Ressentiment. Man erinnere sich an seine Vor-Wahl-Tweets: „Unsere Truppen werden von den Afghanen getötet. Wir vergeuden dort Milliarden. Wir bauen Straßen und Schulen für Leute, die uns hassen.“ Seine „Intuition“ lege ihm einen Abzug nahe. Das ist natürlich alles grob vereinfacht. Vergurkt haben das die Amerikaner mit ihrer Besatzermentalität.
Die Afghanen werden es ausbaden müssen. Wie wird ihre Zukunft aussehen? Ein Neo-Taliban-Regime, eventuell verstärkt durch die Seiten wechselnde Warlords, die ebenfalls größtenteils Islamisten sind? Fraktions- oder Bürgerkrieg, 1990er reloaded? Oder beides, je nach Gegend? Wenn die Taliban Champagner trinken würden, könnten sie jetzt die Flaschen entkorken.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens