Kommentar UN-Nothilfegipfel in Istanbul: Wer über Flüchtlingsleichen geht
In Istanbul wird über humanitäre Hilfe beraten, während Idomeni geräumt wird. Eine Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können.
D as Timing ist bewundernswert: Während Experten aus aller Welt in Istanbul über die Verbesserung der humanitären Hilfe beraten, beginnt die Räumung des Flüchtlingslagers im griechischen Idomeni, sozusagen nebenan. Monatelang durften Tausende Herumirrende und Verzweifelte dort im Dreck hocken, zwischen Schlamm, Regen und Tränengas, mit Blick auf mazedonischen Stacheldraht, ohne Aussicht auf Weiterreise.
Nachdem Europa gemerkt hat, dass diese Menschen sich nicht freiwillig in Luft auflösen, soll dieses Schandmal einer gescheiterten Politik nun verschwinden, damit die Züge von Griechenland nach Mazedonien wieder fahren können, in die diese Flüchtlinge aber selbstverständlich nicht einsteigen dürfen. Denn sie sollen in Griechenland bleiben, das sie aber am liebsten in die Türkei zurückschicken würde, deren Regierung gerade mehr internationale Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe angemahnt hat.
Eine griechische Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können.
Die Räumung des wilden Lagers von Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze ist am Mittwoch bei Tagesanbruch weitergegangen. Dies teilte die griechische Polizei mit. Am Vortag waren insgesamt 2031 der rund 9000 Flüchtlinge und Migranten in staatliche Auffanglager weggebracht worden. Die Aktion verlaufe problemlos, sagte ein Polizist Reportern vor Ort. (dpa)
Wer ein kleines Problem nicht lösen kann, sollte von großen Problemen die Finger lassen. Wer an 10.000 Flüchtlingen scheitert, hat keine Lektionen über den Umgang mit 10 Millionen zu erteilen. Wer über Flüchtlingsleichen geht, um bei Wahlen gegen Rechtspopulisten zu bestehen, ist selber einer.
Die nächsten Dramen bahnen sich bereits an – im Mittelmeer vor Libyen oder auf noch unbekannten Schleuserrouten Richtung Mitteleuropa. Es gibt nicht den Hauch einer Idee auf europäischer Ebene dazu. Außer noch mehr Stacheldraht an den Außengrenzen und noch mehr Hilfe für Diktatoren in Herkunftsländern.
Abschied von nationalen Egoismen
Die allermeisten Flüchtlinge und Notleidenden der Welt befinden sich nicht in Europa und werden auch niemals in die Nähe Europas gelangen. Daher können die Bedürfnisse europäischer Politiker nach Abschottung nicht der Maßstab globaler Politik sein.
Es ist nur zu hoffen, dass die vielen sinnvollen Diskussionen über eine besser koordinierte und vernetzte humanitäre Arbeit auf dem Istanbuler Weltgipfel in Europa trotzdem zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Dazu gehört auch, sich ins UN-Hilfssystem einzufügen, dieses Hand in Hand mit anderen auszubauen – und sowohl nationale Egoismen als auch europäisches Auftrumpfen hinter sich zu lassen. Idomeni ist nichts, worauf Europa stolz sein kann.
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