Kommentar Türkei und PKK: Erdoğans riskantes Kalkül
Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei erinnern an die finsteren 90-er Jahre. Es liegt in der Hand Erdoğans, ob es zu einem solchen Rückfall kommt.
D ie Bilder erinnern an die dunkelsten Momente der türkischen Geschichte. Angriffe auf Medien und brennende Parteibüros, bewaffnete Kämpfe im Südosten des Landes, ganze Städte im Belagerungszustand und ein Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak, um PKK-Kämpfer zu verfolgen: All das gemahnt an die finsteren 90er Jahre, als der Krieg zwischen dem Staat und der kurdischen PKK-Guerilla über 45.000 Menschen das Leben kostete. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat es in der Hand, ob es zu einem solchen Rückfall kommt.
Erdoğan ist nicht der erste Politiker, der einen Konflikt anheizt, um nationalistische Stimmungen zu schüren und die Massen hinter sich zu vereinen. Sein Kalkül ist klar: Er erhofft sich Rückenwind für die Parlamentswahl am 1. November, die er wiederholen lässt, weil er darauf spekuliert, dass seine Partei dann die absolute Mehrheit erringt, die sie im ersten Anlauf im Juni verfehlt hat.
Die prokurdische Partei der Völker (HDP) hat Erdoğans AKP die Mehrheit gekostet, indem sie über die 10-Prozent-Hürde kam. Obwohl sie sich vom Terror der PKK distanziert, macht Erdoğan sie dafür verantwortlich, um sie zu marginalisieren. Die Geschichte lehrt, dass solche zynischen Strategien leider häufig aufgehen. Man kann nur hoffen, dass es diesmal anders ist, weil Erdoğan Absicht zu offensichtlich ist.
Doch auch wenn seine Rechnung aufgehen sollte: Er geht ein gewaltiges Risiko ein. Sein Konfrontationskurs gegen die Kurden vergiftet das gesellschaftliche Klima und vertieft die politische Spaltung des Landes. Indem Erdoğan den Mob von der Leine lässt, will er sich als starker Mann profilieren, der als Einziger für Ordnung sorgen kann. Aber wenn die nationalistischen Leidenschaften erst einmal entflammt sind, ist das Feuer schwer wieder unter Kontrolle zu bringen. Aus purem Machtwillen bringt sich Erdoğan um seinen größten Verdienst. Denn unter seiner Ägide gab es echte Fortschritte im Friedensprozess.
Aber auch die PKK trägt Verantwortung für die Eskalation. Von den militärischen Erfolgen ihrer Bruderpartei in Syrien berauscht, hat sie ihre Bedeutung offenbar überschätzt. Indem sie mit Anschlägen auf Soldaten und Polizisten nun wieder zum Mittel des Terrors greift, hat sie sich als potenzieller Bündnispartner des Westens im Kampf gegen den IS disqualifiziert. Die Dschihadisten können sich die Hände reiben.
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