Kommentar Tourismus in Venedig: Von wegen Touristen-Drehkreuze
Sicherheitsbarrieren sollen dem Massentourismus endlich entgegenwirken. Unsere Autorin hat genug von diesen jubelhaften Sensationsnachrichten.
I ch kann die Jubelarien nicht mehr hören. Dieses „Juhu, endlich wird etwas gegen den Massentourismus unternommen“. Hinter der Sensationsnachricht, dass Venedig Drehkreuze für Touristen einführt, verbirgt sich nichts anderes als die PR-Abteilung des Unternehmers Luigi Brugnaro, dieses Trumps für Arme, der Venedig seit 2015 regiert.
De facto ist nichts anderes passiert, als dass die Motorboote von den Adriastränden ihre Tagestouristen nicht mehr in San Marco an der Riva degli Schiavoni unweit des Markusplatzes ausspucken dürfen, sondern an den Fondamente Nuove. Was zur Folge hat, dass am 1. Mai nun auch noch Cannaregio, eins der letzten normalen Stadtviertel, niedergetrampelt wird. Der beschränkte Zugang zu Venedig sieht so aus, dass ein paar Gemeindepolizisten hinter Absperrungen stehen, die die Touristenströme „umleiten“ sollen: ein Unterfangen, so aussichtsreich wie der Versuch, Wasser bergauf zu drücken.
Das politische Programm der venezianischen Bürgermeister der letzten 30 Jahre lautet: „Venezianer raus, Touristen rein“. Dieses Ziel ist bald erreicht: Den knapp 53.000 Einwohnern stehen 33 Millionen Touristen gegenüber, die sich von Venedig einen Instagram-Hintergrund erwarten. An Venedig verdienen Kreuzfahrtgesellschaften, Reisegruppen und Multis wie Airbnb.
Petra Reski, Jahrgang 1958, ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt seit 1991 in Venedig und beschäftigt sich seit Langem mit der Mafia – zuletzt in Romanform: „Die Gesichter der Toten. Serena Vitales zweiter Fall“ erschien 2016 bei Hoffmann & Campe
„Privatizzare Venezia“ hieß das Manifest des Philosophen-Bürgermeisters Massimo Cacciari. Gesagt, getan. Seitdem wurden mehr als 100 Palazzi verkauft. Bei der Ausrottung der letzten Venezianer war nicht mal die Pest von 1630 so effektiv wie Airbnb: Es gibt keine Beschränkungen, anders als in Palma de Mallorca, wo die Vermietung durch Airbnb gerade ganz verboten wurde. In Venedig reicht ein formloser Antrag. Wenn das nicht reicht, dann bauen chinesische Finanziers neue Hotels in Mestre: 4.800 Betten – und ebenso viele Tagestouristen.
Natürlich könnte man in Zeiten der Onlinebuchung den Tourismus auf einfachste Weise kontrollieren: Das ist aber nicht erwünscht. Venedig ist Neoliberalismus pur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei