Kommentar Tötung von Walter Lübcke: Schlimm genug
Islamisten werden überwacht, auch wenn sie individuell nicht straffällig geworden sind. Für Rechtsextremisten scheint das nicht zu gelten.
W as bisher im Zusammenhang mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bekannt ist, ist schlimm genug. Auch ohne weitergehende Spekulationen. Unter Tatverdacht steht ein gerichtsbekannter Rechtsextremist, den der Verfassungsschutz nicht mehr auf dem Schirm hatte – obwohl es keinerlei Hinweise darauf gab, dass er seine Einstellung geändert hat.
Anders ausgedrückt: Wenn ein Rechtsextremist einige Jahre lang keine Straftaten verübt hat, dann interessiert sich der Staat nicht mehr dafür, wie er grundsätzlich zu Gewalt steht. Beruhigend für all diejenigen, die nach dem Mord an Lübcke begeisterte, widerliche Posts abgesetzt hatten. Die Verfasser müssen offenbar nichts befürchten. Sie haben ja nicht selbst geschossen.
Dabei ist bekannt, dass sich politische Morde nur sehr selten ereignen, ohne dass es ein sympathisierendes Umfeld gibt. Das im Regelfall nicht selbst gewaltbereit ist. Seit Jahrzehnten dient das ja als Rechtfertigung dafür, dass Mitglieder anderer Gruppierungen – etwa Islamisten – überwacht werden, auch wenn sie individuell nicht straffällig geworden sind. Für Rechtsextremisten scheint das nicht zu gelten, wie die Öffentlichkeit jetzt erfährt. Auf die Erklärungen dafür darf man gespannt sein.
Wie weit das sympathisierende Umfeld reicht, zeigt ein Tweet des CDU-Mitglieds Max Otte, der sich der „Werteunion“ zugehörig fühlt. „Lübcke – endlich hat der Mainstream eine neue NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht alles so aus, dass der Mörder ein minderbemittelter Einzeltäter war, aber die Medien hetzen jetzt schon gegen die ,rechte Szene', was immer das ist.“ Sein Hauptproblem ist die Hetze der Medien? Otte hat seinen Tweet nach einigen Stunden gelöscht, als Fehler bezeichnet und sich von sich selbst distanziert.
Das ändert nichts, gar nichts. Der Tweet drückt vor allem aus: Teile der Gesellschaft, die sich als deren Mitte verstehen, unterscheiden nur noch zwischen Verbündeten und Feinden. Nicht mehr zwischen Recht und Unrecht. In weniger gefestigten Staaten als Deutschland ist das die Vorstufe zum Bürgerkrieg.
Übrigens wirken manche Spekulationen gerade ziemlich überzeugend. Wie zum Beispiel, ob es mordende rechte Netzwerke gibt und ob der Verdächtige im Fall Lübcke dazugehört. Vieles spricht dafür, manches dagegen – und alles spricht dafür, die Ermittlungsbehörden erst einmal ihre Arbeit machen zu lassen.
Wie gesagt: Was bisher bekannt ist, ist alarmierend genug.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm