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Kommentar Taliban-Angriff in GhasniKaiserfamilie ohne Kleider

Thomas Ruttig
Kommentar von Thomas Ruttig

Während Taliban eine afghanische Stadt einnehmen, lässt sich Präsident Ghani feiern. Der Angriff ist eine Demonstration der Stärke.

Der Angriff zeigt: Die Taliban haben immer noch fast überall in Afghanistan die Initiative Foto: reuters

D er Taliban-Angriff auf Ghasni führt gleich in mehreren Dimensionen vor Augen, wie prekär die Situation in Afghanistan ist. Er lässt die afghanische Regierung, ihre Streitkräfte, das Nato-Militär und die Geberländer wie eine ganze Kaiserfamilie ohne Kleider dastehen. Die Taliban haben immer noch fast überall die Initiative: Sie sind in der Lage, selbst Großstädte anzugreifen und sich dort tagelang zu halten. Und das unter den Augen des Nato-Militärs – der Sturm auf Ghasni deutete sich ja seit dem Frühjahr an.

Auch die systematische Schönfärberei des Nato-Militärs wird ad absurdum geführt. Seit Jahren jazzt es angebliche Fortschritte der afghanischen Streitkräfte hoch, die dann der Realität nicht standhalten. Dieser Propagandanebel verbirgt nicht mehr, dass der sogenannte Ausbildungseinsatz in Afghanistan offenbar weitgehend wirkungslos bleibt.

Präsident Ghani ließ sich derweil noch am Sonntag von handverlesenen Jugendvertretern feiern und tat so, als ob er von Ghasni nichts gehört hätte. Man fragt sich langsam, wie stark er noch die Wirklichkeit außerhalb seines verbarrikadierten Palastes wahrnimmt.

Bemerkenswert ist zudem, dass der Angriff stattfand, nachdem US-Vertreter in Usbekistan Taliban zu Direktgesprächen getroffen hatten – nach Jahren der Funkstille. Dabei geht es auch um einen Plan für den Abzug der westlichen Truppen. Mit Blick darauf war Ghasni eine Demonstration der Stärke. Zudem wollen die Taliban wohl einen Keil zwischen Washington und Kabul treiben. Trump will bekanntlich Afghanistan am liebsten hinter sich lassen, so schnell wie möglich, und wird dabei wohl auch auf Ghani keine größere Rücksicht nehmen, als dass dessen Regierung nicht zusammenbrechen darf – und damit das Scheitern auch der USA offenbaren.

Schließlich macht der Angriff auf Ghasni auch deutlich, auf welch tönernen Füßen die Lageeinschätzung der Bundesregierung steht – vor der für heute Abend geplanten 15. Sammelabschiebung nach Afghanistan.

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Thomas Ruttig
Autor:in
Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.
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14 Kommentare

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  • Zitat: „Er [Anm.: der Taliban-Angriff auf Ghasni] lässt die afghanische Regierung, ihre Streitkräfte, das Nato-Militär und die Geberländer wie eine ganze Kaiserfamilie ohne Kleider dastehen.“

    Nicht nur die. Zur (Groß-)Familie gehören z.B. auch jene deutschen Landesmütter und -väter, die als brave Ziehkinder unseres Nicht-Deine-Heimat-Ministers sogar Schüler mitten in der Ausbildung nach Afghanistan abschieben lassen. Und zwar deswegen, weil ihre eigenen Mündel das Märchen vom sicheren Herkunftsland nur all zu gern für bare Münze nehmen. Als Möchtegern-Autoritäre in der Grundausbildung müssen sie schließlich Angst vor den Folgen einer Entwicklung haben, die sie nicht bis ins letzte Privatdetail eigenhändig bestimmen können, für die sie aber trotzdem haften werden, weil sie ganz unten an der Basis feststecken. Diese Ängste muss, wer hierzulande regieren will, ganz dringend ernst nehmen, hört man. Sonst droht, was allen droht, die nicht freiwillig spuren. Der Liebes… - äh: Wahlstimmenentzug.

    Kultur und insbesondere Politik sind offenbar an ziemlich vielen Stelle eine echt üble Mischung aus Kindheitstraumen, Selbstüberschätzung, Überforderung, Resthormonen aus der Pubertät, Aberglaube und Ideologie. Was hierzulande los wäre, wenn die Inquisition wieder an die Macht käme, mag ich mir jedenfalls gar nicht überlegen. Afghanistan kann kaum sehr viel schlimmer sein.

  • Weil es auch keine Strategie für Afghanistan gibt, weder von den USA oder deren Verbündeten. Dieses Gerede von angeblichen Fortschritten der Regierung, der zivilen Verwaltung und der afghanischen Armee und Polizei sind reine Schutzbehauptungen, nach dem Motto, irgendwas positives müssen wir sagen.

    Schön zusammengefasst hat es Anthony Cordesman vom CSIS.

    "Seventeen years on, the U.S. has no real strategy in Afghanistan other than hoping that the Taliban will be exhausted first and be willing to negotiate on the government’s terms, or somehow be willing to split the country, and accept a division that gives it control over a substantial portion at the government’s expense."

    Losing by „Winning“: America’s Wars in Afghanistan, Iraq, and Syria

    Die Idee, einen Gegner durch Erschöpfung zur Aufgabe zu bringen ist immer langwierig und die Erfolgsaussichten sind ungewiss, in einem Land allerdings, indem seit 1978 praktisch irgendwo immer Krieg herrscht und es ständig neue Teilnehmer gibt und die bestehenden Seiten immer wieder erstarken, ist es Dummheit.

    • @Sven Günther:

      "Die Idee, einen Gegner durch Erschöpfung zur Aufgabe zu bringen ist ..."

      Ist vor allem menschenverachtend. Schließlich gibt es da noch einen Störfaktor. Die Zivilbevölkerung...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Zivilbevölkerung muss nicht betroffen sein. Das sogenannte Weißbluten des Deutschen Reichs im 1. Weltkrieg hat z.B. nicht auf die französische Zivilbevölkerung gezielt.

        • @Sven Günther:

          Wir reden aber immer noch über Afghanistan. Oder habe ich etwas verpasst?

          In Afghanistan spielt sich fast alles auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ab. Die Front verläuft nicht an einer festen Linie, sondern ist praktisch überall.

    • @Sven Günther:

      „Der Westen“ hat nicht nur „keine Strategie für Afghanistan“, er hat auch keine für sich selbst. Wie sonst ließe sich erklären, dass in einem Bund angeblich demokratischer Rechtsstaaten seit so vielen Jahren eine Fehlentscheidung nach der anderen getroffen werden kann, ohne dass die Verantwortlichen auch nur ansatzweise zur Raison gebracht werden?

  • "Trump will bekanntlich Afghanistan am liebsten hinter sich lassen, so schnell wie möglich..."

    Selbst T. hat ab und zu einen lichten Moment.

    Wann ziehen wir endlich unsere Truppen ab? Oder wollen wir den Krieg bis zu jüngsten Gericht verlängern und die Leichenberge noch größer machen?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Bei manchen Profilen wünscht man sich, der Name wäre Programm.

      Einfache Antwort: Weil wir, sprich der Westen, es mal wieder verbockt haben. Es sollte sich doch langsam herumgesprochen haben, dass Militärschläge und Milliarden ungezielt eingesetzter Fördermittel nicht ausreichen, um einem Land wie Afghanistan eine Zukunft zu bieten. Zu glauben man müsse nur hingehen, ein paar Bomben werfen und anschließend Demokratie und Freiheit predigen, war und ist naiv. Und jetzt, wo WIR (sprich die verwöhnten Westler in ihren sicheren 4 Wänden) die Nase voll haben, sollen wir die Afghanen wieder radikalen Islamisten überlassen, die Frauen unterdrücken, sich kaum für Bildung interessieren und am liebsten eine rückständige Gesellschaft hätte, die nur auf Angst und Glaube an Gott beruht?

      Wir haben den Afghanen den Scheiß eingebrockt (gleich zwei Mal), also sollten wir die Suppe auch auslöffeln.

      • @Jan Berger:

        "radikalen Islamisten ... rückständige Gesellschaft"

        Ja und? Woher nehmen Sie das Recht, radikalen Islamisten vorzuschreiben, wie sie leben sollen?

        Weil die Westliche-Wertegesellschaft so unvergleichlich besser ist? Wachstum/Freihandel/Freizügigkeit über alles?

        Das klappt nicht. Sie können Islamisten Toleranz und westliche Werte nicht einbleuen.

        Die Afghanen müssen ihr Gesellschaftssystem - ohne Einmischung von außen - selbst finden. Und wenn dann ein islamischer Staat ohne Frauen- und LGBT-Rechte herauskommt, dann ist das halt so.

      • @Jan Berger:

        "Wir haben den Afghanen den Scheiß eingebrockt (gleich zwei Mal), also sollten wir die Suppe auch auslöffeln."

        Genau das ist der Trugschluss. Der Westen löffelt jetzt schon seit 2001 (länger als 2 Weltkriege zusammen) und die Situation wird immer schlechter. Dabei wurden letztes Jahr die Truppen erst aufgestockt. Der Krieg ist längst verloren. Es wird Zeit, daraus die Konsequenzen zu ziehen und abzuziehen. Alles andere verlängert nur das Leid der Afghanen.

        PS: Ein Programm Namens "Jan Berger"?

  • Mich würde interessieren, ob es eine Initiative zur Bekämpfung des IS in Afghanistan gibt?

    • @nzuli sana:

      Der IS kämpft zurzeit am stärksten mit den verschiedenen Talebangruppen, wie hier im Juli.

      www.reuters.com/ar...iban-idUSKBN1K71O5

      Die USA greifen beide mit Drohnen und Flugzeugen an, aber wenn Sie etwas mit Bodentruppen meinen, wäre mir weder im Norden noch im Osten um Nangarhar, wo der IS stark, ist bekannt.

  • TU
    Test User , Autor Moderator ,
    Während Taliban eine afghanische Stadt einnehmen, lässt sich Präsident Ghani feiern. Der Angriff ist eine Demonstration der Stärke. [cms-article=5524741]