Kommentar Syrien in den Medien: Krieg auch ohne Giftgas
Die Katastrophe in Syrien ist nicht nur das Ergebnis einer verfehlten Politik, sondern auch eines Journalismus, der seinen Auftrag verrät.
Das wurde auch Zeit: Pünktlich zum Jahrestag des Giftgasangriffes in der Umgebung von Damaskus verkündet Barack Obama, alle Chemiewaffen wären entsorgt. Man sei dem „kollektiven Ziel näher gekommen, dass Assad keine Chemiewaffen mehr gegen Syrer einsetzen werde“.
Obama ist wegen seiner Außenpolitik der militärischen Nichteinmischung unter Druck geraten. Jüngst warf ihm Hillary Clinton vor, mitverantwortlich für das politische Vakuum zu sein, das jetzt die Islamisten füllen. Man hätte die moderaten Kräfte in Syrien politisch und militärisch stärker unterstützen müssen. Obama fand das abwegig.
Erst vor wenigen Tagen ließ sich Außenminister Kerry mit der Absicht zitieren, die Moderaten in Syrien mit 500 Millionen US-Dollar zu unterstützen. Was für ein zynisches Hin und Her.
Am 21. August 2013 starben an nur einem Morgen mehr als 1.400 Syrer durch Giftgas. Die Bilder von den nebeneinander liegenden Leichen vergaster Kinder liefen über alle Sender. Es war der Zeitpunkt, an dem die USA einen militärischen Einsatz in Syrien zum Schutz der Zivilbevölkerung ernsthaft in Erwägung zogen. Und verwarfen.
Trotzdem führte die aufgebaute Drohkulisse dazu, dass der widerstrebende Diktator Baschar al-Assad schließlich einwilligte, die Orte der Chemiewaffenproduktion offenzulegen und auch einem Abtransport nicht aktiv im Weg zu stehen. Noch sind die Produktionsstätten für Chemiewaffen intakt. Man werde ein Auge auf sie haben, versicherte Kerry.
Syrien spielt keine Rolle mehr
Vor und nach dem Giftgasanschlag starben und sterben jeden Tag Syrer nicht durch Chemiewaffen, sondern vor allem durch mit Benzin und Metall gefüllte Fässer, die von der syrischen Luftwaffe abgeworfen werden. Und sie werden von Islamisten, nicht zuletzt der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), getötet. Beide, das Assad-Regime genauso wie IS, haben die Zivilbevölkerung im Visier.
Trotzdem hat die UNO aufgehört, die Toten in Syrien auch nur zu zählen. Syrische Bürgerjournalisten gehen inzwischen von etwa 170.000 Toten aus. In Deutschland regen diese monströsen Zahlen kaum jemanden auf. Syrien taucht in der deutschen und auch internationalen Öffentlichkeit fast nicht mehr auf. Daran wird der Jahrestag des Giftgasanschlages nur kurzfristig etwas ändern. Denn die Gründe für diese Ignoranz gehen tief.
Viele Journalisten halten Berichte nur dann der Veröffentlichung wert, wenn sie „überraschend“ sind. Sie müssen also ein primitives Reiz-Reaktion-Schema bedienen – was etwa der Propagandaapparat vom Islamischer Staat für seine Zwecke zu nutzen weiß.
Das Video, das die Enthauptung des US-Journalisten Foley zeigen soll, folgt exakt dieser Logik. Dass in Syrien indessen massenweise Menschen sterben oder fliehen müssen, überrascht niemanden mehr, also wird das nicht weiter ernst genommen. Hinzu kommt diese irre Idee von „ausgewogener Berichterstattung“.
„Bankrotterklärung für den Journalismus“
Der Spiegel-Reporter Christoph Reuter hat vor kurzem der Internetplattform alsharq.de ein außergewöhnliches Interview gegeben. Reuter gehört zu den handverlesenen Journalisten, die seit 2011 rund 20 Mal nach Syrien einreisten, zuletzt im April dieses Jahres. „Die deutschsprachigen Medien … fahren halt immer wieder auf der Schiene der Ausgewogenheit im Sinne ’die einen sagen das, die anderen sagen das – und man kann es leider nicht überprüfen‘, was eine Bankrotterklärung ist für den Journalismus.“
Unter Journalisten ist es unüblich, Kollegen öffentlich zu kritisieren. Doch die Enttäuschung hat Reuter diese goldene Regel brechen lassen. Leidenschaftlich plädiert er für das Handwerk der Recherche: „Journalismus heißt ja nicht, dass ich nur Version A und dann B höre und dann gleichwertig präsentiere. Sondern es heißt, dass ich mir alle Versionen anhöre und dann versuche herauszufinden, was wirklich passiert ist.“
Er steht mit dieser Ansicht weitgehend allein da. Die humanitäre Katastrophe in Syrien und im Irak sowie der Siegeszug der internationalen Islamisten sind nicht nur das Ergebnis einer verfehlten internationalen Außenpolitik, sondern auch eines Journalismus, dessen Sensationslust keinen Raum mehr lässt für Recherche und Analyse und die Diskussion von längerfristigen Lösungsansätzen. Der sich hinter einem Gefühl der Überforderung versteckt und Nabelschau betreibt. Der seinen Auftrag verrät.
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