Kommentar Streik in Belgien: Eine echte Sauerei
Der Ausstand in Belgien ist ein politischer Streik. Einer gegen die rechtsliberale Regierung. Aber auch einer gegen den drohenden Zerfall des Staates.
M an stelle sich einmal vor, eine neue Bundesregierung käme daher und verkündete die Rente mit 67, einen landesweiten Lohnstopp sowie drastische Kürzungen im Sozialbudget. Außerdem sollte die Bundeswehr um 30 Prozent zusammengestrichen werden, und einige Dutzend Botschaften in aller Welt müssten dichtmachen.
Das würde wohl sogar die bräsigen Deutschen auf die Palme bringen. Sozialabbau, Staatsabbau, Angriff auf die Tarifautonomie – aus gutem Grund hat noch keine Bundesregierung einen solchen Kahlschlag gewagt. Doch in Belgien ist das anders. Die neue rechtsliberale Regierung in Brüssel macht all das, und noch viel mehr.
Kein Wunder also, dass die Belgier auf die Straße gehen. Gestern erlebte das Königreich einen Generalstreik, wie es ihn seit den 80er Jahren nicht mehr gegeben hat. Alle Räder standen still, weil dies nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Mehrheit der Belgier so wollten. Ihrem neuen Premier Charles Michel schenken nur noch 20 Prozent das Vertrauen.
Es war ein politischer Streik, ein Streik gegen die neue Regierung, aber auch gegen den drohenden Zerfall des Staates. Schon seit Jahren arbeiten die Separatisten in Flandern daran, der Regierung in Brüssel den Geldhahn zuzudrehen und die Föderation zu schwächen. Ihr Anführer Bart De Wever wähnt sich nun fast am Ziel; er zieht in der rechtsliberalen Koalition die Fäden.
Es ist ein Trauerspiel, dass ihm ausgerechnet die EU-Kommission in die Hände spielt. Die Brüsseler Behörde hat neue Budgetkürzungen für 2015 gefordert, Belgien steht mit Italien und Frankreich auf der schwarzen Liste der EU. Auf soziale oder politische Belange nimmt sie dabei keine Rücksicht – dabei hatte Kommissionschef Jean-Claude Juncker doch gelobt, künftig mehr ans Soziale zu denken.
Ein Trauerspiel ist auch, dass sich Brüssel (EU) und Brüssel (BE) weigern, endlich auch den Wohlhabenden in die Tasche zu greifen. Dabei ist der Austeritätskurs nur dann noch zu rechtfertigen, wenn nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Unternehmer und Kapitaleigner zur Kasse gebeten werden. Doch da tut sich nichts – trotz LuxLeaks und ähnlicher Enthüllungen in Belgien. Es ist eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Kein Wunder, dass sie im Generalstreik mündet – und in einer Abkehr von der EU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee