Kommentar Spionage: Merkels Affäre
Zurecht wird auf die Verantwortung von Rot-Grün für die Aushöhlung von Freiheitsrechten hingewiesen. Doch entlastet diese Vergangenheit Merkel nicht.
![](https://taz.de/picture/152150/14/16072013_merkel_schroeder_dpa.jpg)
E rinnert sich noch jemand an die Kurnaz-Affäre? Damals, im Jahr 2006, suchten ehemalige rot-grüne Kabinettsmitglieder ähnlich hilflos nach Ausflüchten, wie es heute schwarz-gelbe Minister tun. Rot-Grün bekleckerte sich nicht mit Ruhm, als es darum ging, dem Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz in Deutschland Zuflucht zu gewähren.
SPD und Grüne stellten Sicherheitsinteressen vor Freiheitsrechte, pochten auf die Staatsräson und traten gegenüber den USA ängstlich auf. So wie Merkels Regierung heute.
Insofern stimmt der Vorwurf, den manche Linke und Koalitionäre jetzt SPD und Grünen machen: Deren Entrüstung über die Desinformationspolitik der Bundesregierung in der Geheimdienstaffäre hat etwas Scheinheiliges. Schließlich wirkte Rot-Grün nach den Terroranschlägen des 11. September aktiv daran mit, mehr Überwachung zuzulassen. Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Co. waren sich auch nicht zu fein, schmutzige Infos zu nutzen.
SPD und Grüne täten deshalb gut daran, ihren Dauerton lautstarker Empörung etwas herunterzuregeln. Politische Demenz ist peinlich, wenn eigene Fehler allen anderen noch gut in Erinnerung sind. Und zur Schau gestellter Moralismus fällt in der Politik meist auf den zurück, der sich damit schmücken will.
Allerdings ist auch etwas anderes wahr: Hinweise auf die rot-grüne Regierungszeit und das Insiderwissen von Exkanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier taugen nicht, um SPD und Grünen eine Mitschuld an der aktuellen Überwachungsaffäre zuzuschieben.
Erstens liegt ihre Amtsverantwortung acht Jahre zurück. In dieser Zeit haben sich die technischen Möglichkeiten der Kommunikation und ihrer Überwachung rasant entwickelt. Zweitens hat Rot-Grün zwar geholfen, dem Staat mehr Überwachung zu erlauben. Doch Unions-Innenminister waren in dieser Disziplin um Klassen besser. Und vor allem: Es ist die Aufgabe der jeweils amtierenden Regierung, ihre Bürger vor Straftaten – und nichts anderes sind die Lauschangriffe – zu schützen.
Die Versuche von Merkels Kabinett, dies jetzt wenigstens nachzuholen, muten bisher bestürzend hilflos an. Auch deshalb geht die Kritik an rot-grüner Scheinheiligkeit am Kern der Angelegenheit vorbei. Diese Affäre ist Merkels Affäre. Und sie wird es bleiben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen