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Kommentar SpanienAuf dem Weg in die Diktatur

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Ein neues Gesetz in Spanien soll die sozialen Proteste unterbinden. Es scheint, als wolle sich die EU eine Demokratie nicht mehr leisten.

Alles wird plattgemacht in Spanien: der Sozialstaat, die erkämpften Rechte auf dem Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit. Bild: reuters

Nicht mehr, sondern besser bestrafen“, so kommentiert das spanische Innenministerium ein so eben ausgearbeites Gesetz zur Regelung der öffentlichen Ordnung. Wer vor dem Parlament oder dem Senat demonstriert oder dazu aufruft, soll dafür mit Bußgeldern von bis zu 600.000 Euro belegt werden.

In Madrid sollen nicht nur die sozialen Prosteste unterbunden werden, sondern auch die Armut per Geldstrafen beseitigen. Wer auf der Straße schläft, Parkbänke für etwas anderes benutzt als zum Sitzen oder sich mit Straßenmusik etwas Kleingeld in der Krise verdienen möchte, kann künftig mit Strafzetteln von bis zu 750 Euro rechnen. Beschwert er sich, kann dies für Beleidigung oder Bedrohung des Polizisten gleich weitere 30.000 Euro einbringen.

Spanien erleidet die Folgen der europäischen Stabilitätspolitik. Alles wird plattgemacht: der Sozialstaat, die erkämpften Rechte auf dem Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit. Doch solange die makroökonomischen Zahlen stimmen, ist Brüssel zufrieden, allen voran Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble. Spanien sei aus dem Gröbsten heraus, heißt es in den letzten Tagen immer öfter. Es gehe aufwärts mit Europa und dem Euro.

Das ist reiner Zynismus. Anders als die Banken, die in Spanien jubeln, dass das Geld wieder fließt, verarmen die Menschen. Über sechs Millionen Arbeitslose, zehntausend Wohnungen werden pro Monat zwangsgeräumt, das sind nur zwei Eckdaten. Dass jetzt auch noch die Opfer dieser Politik und diejenigen, die dagegen protestieren, mit aberwitzigen Bußgeldern belegt werden sollen, macht fast sprachlos.

„Gegen das Diktat der Märkte“, so lautet einer der Slogans, die immer wieder auf Demonstrationen skandiert werden. Es ist mehr als ein Diktat. Spanien befindet sich auf dem Weg zu einer Diktatur. Sicher, es fand kein Putsch statt, und auch das Parlament gibt es noch. Das aber verteidigt die bürgerlichen Rechte nicht mehr. Und Brüssel schaut weg – wie bei Ungarn auch.

Aus Angst vor der Meinung der Bürger – oder besser Untertanen – will sich die EU die Demokratie wohl nicht mehr leisten. Eine Radikalisierung und eine zunehmende EU-Feindlichkeit sind damit vorprogrammiert.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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25 Kommentare

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  • D
    Dirk

    Die EU weist heute in vielen Mitgliedsländern einen beachtlichen Grad an Rechtsextremisten auf. Vielerorts werden Roma systematisch unterdrückt, dass Spanien nun dikatorische Regierungselemente bereit hält, wunder nicht mehr. Die deutsche Regierung könnte darauf anders reagieren - will sie aber nicht. Auch die fanzösische Regierung könnte andere Regeln durchsetzen, aber auch sie will nicht oder kann eben nicht, solange Deutschland keine Regierung hat und eine miese EU-Linie fährt. Irgendwann stellt sich aber die Frage: Dürfen auch Diktaturen in die EU? Oder darf man eine Demokratie in eine Diktatur auflösen und trotzdem EU-Mitglied bleiben?

     

    So eine EU brauche ich nicht ...

  • S
    Störtebekker

    Die EU war niemals als Demokratie konzipiert. Wer das glaubt ist ein naiver Träumer. Die EU-Kommission wurde nie gewählt, sie kommen jedes mal aus dem Nebel.

  • M
    Möp

    Jaja, immer der achso böse Kapitalismus. Verdammen wir ihn doch einfach mal ohne auch nur Ansatzweise eine Alternative aufzuzeigen oder zu wissen was Kapitalismus überhaupt bedeutet. Dadurch wird bestimmt alles viel viel besser...

    • @Möp:

      Eine der besten Analysen hat übrigens Marx geschrieben ("Das Kapital"). Ich hab mir sagen lassen, dass die sogar von BWL-Studenten regelmäßig gelesen wird.

    • S
      SiD
      @Möp:

      bei solchen kommentaren muss ich meine erwartungshaltung an die geistige gesundheit meiner mitmenschen jedes mal runterschrauben - dieses gewäsch steht diametral zu einer fundierten kapitalismusanalyse

  • H
    Handeln_statt_quatschen

    Das was in Spanien abgeht, wird sich auch auf andere Länder ausweiten. Wenn wir nichts tun, werden die Rechte der Bürger weiter eingeschränkt. Wir müssen uns organisieren, ob bei Attac, Occupy oder der Transition Town Bewegung. Noch haben wir die Möglichkeiten etwas zu bewegen...noch! Also rafft euch auf und schiebt euren Allerwertesten in die richtige Richtung! Sonst sind wir bald Spanien 2

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Handeln_statt_quatschen:

      Stimme voll zu. Doch dies ist nur im gewerkschaftlichen oder parteipolitischen Rahmen möglich. Und da ist hier totale Fehlanzeige. In Deutschland haben sich alle gleichschalten lassen. Eine echte Opposition gibt es nicht.

  • AG
    Ali G

    „Gegen das Diktat der Märkte“

     

    Wer soetwas sagt,gehört nicht mit einer Geldbuße belegt, sondern zwangsweise in die Psychartrie!

     

    Wissen diese renitenten Iberer denn nicht, dass "wir uns" in Europa auf eine "marktkonforme" Demokratie "geeinigt" haben?

     

    Spaß beiseite:Wenn erstmal das USA-EU Freihandelsabkommen unter Dach und Fach ist, sollte der kluge Mensch alle Meinungsäußerungen erstmal von einem Anwalt prüfen lassen: Sonst kommt das Bußgeld nicht von Vater Staat, sondern von irgendeinem Unternehmen, dass durch ihre Meinungsäußerung eine Gewinneinbuße hinnehmen muss und daraufhin SIE verklagen kann, für den entstandenen Schaden zu haften!

     

    DANN ist jede Meinungsäußerung das, was die Pressefreiheit heute schon ist: Das Recht der 200 reichsten Menschen einer Gesellschaft, ihre Meinung gedruckt in der Zeitung lesen zu können, gell, liebe taz!

  • S
    sarko

    "Aus Angst vor der Meinung der Bürger – oder besser Untertanen – will sich die EU die Demokratie wohl nicht mehr leisten. Eine Radikalisierung und eine zunehmende EU-Feindlichkeit sind damit vorprogrammiert."

     

    Dazu nur eine leichte Modifizierung , Herr Wandler :

    "Aus Angst (und Unfähigkeit) der BürgerInnen , den Kapitalismus als das Hauptübel zu erkennen und auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen , werden sie die schleichende Verabschiedung von Demokratie hinnehmen , womit ein Abgang in Anarchie , Barbarei , Mafia-Banden-Herrschaft vorprogrammiert ist (... sein kann) .

    • Z
      zidane
      @sarko:

      Anarchie. Das wär doch mal was.

  • W
    Wolfgang

    Wäre die geistige Massenmanipulation im Dienst der spanischen Bourgeoisie und Administration nicht so erfolgreich, Spanien hätte bereits einen sozialen Bürgerkrieg - der werktätigen Volksmassen, insbesondere der Jugend (bei z. Z. schon 50 Prozent Jugenderwerbslosigkeit)!

  • Brüssel schaut nicht weg sondern steht dahinter.

  • Keine Macht auf Erden kann der Jugend widerstehen

    Die Diktatur hat in Spanien nie aufgehört zu existieren. Sie hat nur die Farbe gewechselt – und die Form. Und ich glaube, dass die jungen Leute, die in Spanien heute auf die Straße gehen, das wissen. Was sie vielleicht nicht wissen, ob ihrer Jugend, ist, dass die Antifaschisten und die Revolutionäre, die seinerzeit gegen Francos Diktatur kämpften, genau dies voraussagten. So betitelten sie Juan Carlos als „Pelele“, als Hampelmann von Francos Gnaden. Doch was sie damit meinten, war nicht nur, dass die Bourbonen an den faschistischen Fäden hängen, sondern das ganze sog. demokratische Regime. Der Faschismus war nicht mehr schick, unwirtschaftlich war er schon immer, nicht zuletzt war er verantwortlich für das Elend der Massen. Vor allem der ländlichen. Aber auch der Arbeiter. Millionen wanderten damals aus. Oft nach Deutschland. Und diese berichteten uns von den Zuständen in Spanien. Das europäische Kapital und der spanische Großgrundbesitz (und darin fest verankert die katholische Kirche) haben den spanischen Faschismus geschaffen. Und genau diese Kräfte versuchen jetzt Spaniens Jugend erneut um ihre Zukunft zu betrügen, Spanien zurück in die Vergangenheit zu zerren. Doch welche Macht kann der Jugend widerstehen? Am Beispiel der Arabellion wissen wir – keine Macht auf Erden!

    • M
      Málaga
      @Herold Binsack:

      Sehr gut beschrieben; leider ist es genauso! Sehr traurig :(

  • B
    Baskenmann

    Erschreckend! Diese Entwicklung betrifft nicht nur Spanien, sondern viele Europäische Länder, und sie wird auch vor uns nicht halt machen. Bleiben 2 Optionen.. Es sich gefallen lassen, oder das tun, was in Spanien gerade unter Strafe gestellt wurde: Auf die Straße und in die Öffentlichkeit gehen! Rechte, für die die Arbeiterbewegung Jahrzehnte kämpfen musste, werden heute innerhalb einer Kabinettsversammlung wieder abgeschafft.

  • RW
    ruainst which

    Zusätzlich erwähnenswert ist das nunmehr seit einem Jahr bestehende Gesetz, das Minimalgebühren für Gerichtsprozesse eingeführt hat.

     

    http://politica.elpais.com/politica/2013/05/18/actualidad/1368894366_189633.html

  • H
    hr.cw

    Mutti hats gefordert: "Marktkonforme Demokratie" oder "DDR Second-Edition"

  • HK
    Hennoch Kohn

    wenn die EU demokratie fördern wollte, hätte sie sich von anfang an demokratisch aufgebaut und auf okkulte symbolik verzichtet.

    man wird später sagen, es will keiner von etwas gewusst haben.

  • A
    ALecs

    Wenn das so weitergeht in Europa, sehe ich in den nächsten 50 Jahren auch einen weiteren Krieg auf Europa zukommen.

  • EE
    Erst einmal eine demokratische Grundordnung schaffen

    Solange die EU-Kommission nicht demokratisch legitimiert ist, und von Lobbyisten und gar einem feindlich gesinnten Land manipiliert wird, kann von einer Demokratie nicht die Rede sein.

  • G
    Gast

    Treffend kommentiert!

     

    Leider wird in Spanien und Ungarn nur sichtbar, was auch in allen anderen europäischen Ländern mehr oder weniger stattfindet: Alles, wofür Generationen von Europäern gekämpft haben, unsere Bürgerrechte, unsere individuelle Freiheit, unsere Rechtsstaatlichkeit... all das wird von konservativer Politik dem Diktat des Marktes geopfert.

    Die Euro-Krise und nun der politische Umgang mit der NSA-Affäre legen dies in bedrückender Weise offen. Doch, und das ist das Bedrückenste daran, sind es WIR Bürger, die mehrheitlich unsere Politiker dazu legitimieren.

    Faire Entlohnung von Arbeit und schnellstes und billigstes Einkaufen bei Amazon passt einfach nicht zusammen. Und das gilt im Prinzip auch für das Verhältnis von Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit. Wir Bürger müssen uns da mal entscheiden, was wir wollen. Noch haben wir ja das Recht dazu!

  • B
    Balrog

    Nee Chef. Hier "scheint" gar nichts mehr. Die EU-Diktatur, als Teilaspekt der NWO, ist OFFENSICHTLICH, Tricksen und Täuschen gar nicht mehr nötig. Alle Masken sind unten, alle whistles geblowt. Wir RENNEN sehenden Auges in die Katastrophe.

  • D
    Deutlmoser

    Was in Spanien erschreckend weit fortgeschritten ist, schlägt auch in Deutschland (wieder) wurzeln.

     

    Deutsche Gegenwart: Bezüglich der Kfz-Kennzeichen-Scanner; ""Die vom Kläger angeführte abschreckende Wirkung etwa vor einer Beteiligung an einer Demonstration hält der Landesvertreter nicht für ein Manko, sondern für eines der Ziele der Maßnahme. Es sei geplant, dass eine Nummernschilderkennung "im Vorfeld einer Versammlung die Entscheidung über die Teilnahme an dieser beeinflussen kann"."" Die Repression der Bürger hat System. Die Zukunft demokratischer Strukturen ist düster, wenn sie denn nicht eh schon von den Interessen der Wirtschaft vereinahmt wurden.

     

    Quelle: http://www.heise.de/newsticker/meldung/Bayern-verteidigt-Kfz-Kennzeichen-Scanning-2050276.html

  • B
    Blechstein

    Jede Verdrängung von Problemen, hat ihren Preis. Man bezahlt oft mit einem neurotiischen Symptom, das sich unerwartet und unangenehm bemerkbar macht. Wenn Kritik nicht offen artikuliert werden kann, kommt sie überraschend von hinten durch die kalte Küche - es hat lange keinen Frühling mehr gegeben, bei dem man Politiker im Straßenbegleitgrün bewundern konnte - das wird sich wohl bald ändern.

  • NS
    Na sowas

    "Es scheint, als wolle sich die EU eine Demokratie nicht mehr leisten."

    Seit wann steht die EU für Demokratie?