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Kommentar Spanien und KatalonienKommuniqué eines Kriegsherren

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy lässt katalanische Regierungsvertreter festnehmen. Doch das Referendum kann er so nicht aufhalten.

Jetzt erst recht: Viele Katalanen wollen nur noch weg Foto: ap

E s wird keine Kompromisslösung geben. Das hat Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy in den letzten 24 Stunden klar gemacht. Über 40 Durchsuchungen von Büros der katalanischen Autonomieregierung, Unternehmen und Privatwohnungen fanden am Dienstag statt. 14 hochrangige Regierungsvertreter wurden festgenommen. Sie werden beschuldigt, die verbotene Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens für den kommenden 1. Oktober vorbereitet zu haben.

Bei den Festgenommenen handelt sich um nahezu den gesamten Stab des Vizepräsidenten der Autonomieregierung Kataloniens, Oriol Junqueras. Die verfassungsmässig garantierte Selbstregierung der Katalanen ist de facto nicht mehr existent. Wer so handelt, der sucht kein Gespräch. Sicher, es war die Justiz, die der bei vielen Spaniern wegen ihrer Rolle in der Franco-Diktatur verhassten Guardia Civil den Befehl gab auszurücken. Doch ohne die sture Haltung der konservativen Regierung in Madrid wäre es gar nicht erst soweit gekommen.

Während in Katalonien und auch im restlichen Spanien Zehntausende auf den Straßen waren, hielt Rajoy eine Ansprache, die eher dem Kommuniqué eines Kriegsherren glich als dem eines Politikers. „Ich verlange, dass sie ihre illegalen Aktivitäten einstellen“, sagte der Ministerpräsident, als richte er sich an eine bewaffnete Organisation.

Rajoy führte einmal mehr das Gesetz an, das ihm keine andere Möglichkeit lasse. Und er lud die katalanischen Politiker ein, Politik zu machen, als hätte diese Möglichkeit je bestanden. Die Verfassung lässt kein Unabhängigkeitsreferendum zu, und eine Änderung wird von Rajoys Partido Popular, der sozialistische PSOE und der rechtsliberalen Ciudadanos blockiert.

Bleibt die Frage, was wird am 2. Oktober geschehen? Die Katalanen – und nicht nur diejenigen, die die Unabhängigkeit wollen, sondern 80 Prozent der Bevölkerung – werden weiterhin auf einer Abstimmung bestehen. Doch Rajoy hat nach der Makro-Operation der Guardia Civil keine Autorität mehr, um eine Lösung zu suchen. Und was noch schwerer wiegt: Seit Dienstag wollen viele Katalanen diese auch gar nicht mehr. Sie wollen nur noch weg. Jetzt erst recht.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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25 Kommentare

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  • Ersetzt doch Katalonien mal durch Krim. Dort hat sich eine überwiegend russisch stämmige Bevölkerungsmehrheit mit großer Mehrheit für Russland entschieden. Alle Parteien im Bundestag haben das als großes Unrecht bezeichnet. Nur im Grad der Verurteilung Russlands gab es Unterschiede. Ist uns die Ukraine näher als Spanien? Oder warum reagiert die deutsche Öffentlichkeit nun viel differenzierter? Oder ging es nur darum einen Grund zu finden warum Russland auf Kosten der Europäer sanktioniert werden sollte?

  • Nachdem Rajoy (ohne Mehrheit im Zentralparlament) die Nerven verloren hat, dürfte die Mehrheit für ein unabhängiges Katalonien noch weiter gewachsen sein.

    Dass Machthaber Rajoy ausgerechnet die postfranquistische Guardia Civil mit ihrem Fasces-Symbol auf den Marsch nach Barcelona schickt, sollte allen Antifaschisten und Demokraten die Augen öffnen.

    • @Linksman:

      Wieso die Nerven verloren hat? Sein Verhalten ist voll und ganz nachvollziehbar und vorhersagbar. Jeder, der sich an die gegebenene Verfassung halten wollen würde, würde ganz genau so reagieren.

       

      Puigdemont hat doch fest damit gerechnet und bringt so das Volk hinter sich. Das Referendum wird verhindert werden. Spannend bleibt nur, was am 02.10. passieren wird.

       

      Wird Puigdemont die Unabhängigkeit ohne Referendum ausrufen? Dann dürfte die Bundesrepublik den "Staat Katalonien" keinesfalls anerkennenen, den ohne Referendum fehlt es an der zur Anerkennung notwendigen Staatsgewalt. Die Guardia Civil wird dann wohl noch häufiger in Barcelona und Umgebung aktiv.

  • Oh, was passiert denn da? Rajoy zieht die schlechteste aller Karten und heizt damit kräftig ein; Der Anfang vom Ende.

    • @lions:

      Sie meinen als nächstes rollen Panzer durch Barcelona ?

      Déjà vu ?

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @lions:

      Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Lol !

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @60440 (Profil gelöscht):

        Klar, er war von Anfang an auf Konfrontationskurs. Schuld hat allerdings auch Pedro Sanchez, der ein Linksbündnis mit Podemos in den Wind geschlagen hat, weil er das Referendum nicht wollte. Unterm Strich haben die spanischen Nationalisten diese Situation heraufbeschworen. Mal sehen, ob der Betonkopf Rajoy Puigdemont zum Märtyrer macht.

  • ...was würden wir sagen, wenn zum Beispiel Bayern - echt jetzt - ein rechtlich unabhängiger Staat werden wollte???

    • @Der Alleswisser:

      Na wir würden die Reichsacht über Bayern verhängen und wenn das nicht hilft die Reichsexekution mit Bundestruppen durchführen, was dachten Sie denn ;-)

    • 3G
      36387 (Profil gelöscht)
      @Der Alleswisser:

      Wieder an einen gerechten G*tt glauben und hoffen, dass nach der bayrischen Unabhängigkeit nicht zu viele Flüchtlinge kommen.

    • @Der Alleswisser:

      Ich hoffe nicht, dass man hier ähnlich militant wie die spanische Regierung auftreten würde.

       

      Das ganze Verhalten der spanischen Regierung wirkt nicht deeskalierend, sondern schaukelt die entsprechende Stimmung eher noch weiter hoch.

    • @Der Alleswisser:

      Yippieeeeee

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @Der Alleswisser:

      Warum sollten sie das nicht wollen dürfen?

       

      Angesichts eines Rajoy und seiner Justiz würde ich auch nur noch weg wollen.Was er tut ist ein Verbrechen und zeigt mal wieder, was in den Köpfen dieser "Elite" so vorgeht.

      Ich befürchte Schlimmes.

      • @39167 (Profil gelöscht):

        Naja, es ist nich alles so einfach. Erstens, Rajoy kann das Katalanisches Referendum nicht erlauben weil auch für ihn wäre das illegal. Zweitens "Rajoy's Justiz" ist die Spanische Konstitution die die Katalanen selbst im 1978 mit über 90% zugestimmt haben, in Spaniens erstes Referendum. Letztens, es gibt ein legales und ordentliches Weg für ein Referendum im Katalonien: Die Konstitution zu ändern. Das braucht aber Zeit und sie müssen "Freunde machen" so etwas im Spanisches Parlament zu schaffen (oder per Volksentscheidung im ganz Spanien). Wollen die indipendentisten dass? Scheinbar nicht. Schöne Grüße.

  • Das es keine Kompromisslösung geben werde, hat Herr Puigdemont bereits nach seiner Wahl im Jahr 2015 erklärt, da er nach seinen eigenen Worten in der Wahl der Regierung den Auftrag des "Volkes" zur Herstellung der Unabhängigkeit gesehen haben will. Da bleibt nunmahl kein Verhandlungsspielraum.

     

    Rajoy hält sich lediglich an die Verfassung. Es war von Beginn an klar, dass die spanische Regierung das Referendum verhindern wird.

     

    Die Einseitigkeit der Berichterstattung der taz hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen.

  • Ja, ich stimme dazu. Rajoy's Ansprache Gestern war nicht richtig. Die Nationalismus ist eine Emotion, und Rajoy hat nur über Gesetz und Logik geredet. Rajoy hat auch seit mehrere Jahren keine Autorität mehr, um eine Lösung für dieses Problem zu suchen. Das weiss fast jeder im Spanien. Aber, aber. Was Gestern passiert ist um zu verstehen, es wäre nötig auch zu informieren, was am 6. und 7. September in der Catalanisches Parlament passiert ist. Wie die separatisten, die die "alles für Demokratie" mache wollen, im nur 48 Stunden die Regeln der Spanische und der Katalanische Demokratie kaputt gemacht haben. Frag bitte an euere Spanische und Katalonische Kollegen. Viele Grüße.

  • Noch zwei Beobachtungen die ich gestern machen konnte:

     

    Auf der Diagnola, einer Haupt Ein- und Ausfallstrasse der Stadt, habe ich gestern einen Schützenpanzer auf einem Transporter anliefern sehen. Freunde berichten, dass die Nationalgarde aus Madrid unterwegs ist.

     

    Abends gegen 10 Uhr hat die gesamte Innenstadt auf ihren Balkons auf Töpfen geschlagen. Ein einmaliges Erlebnis des Protestes, der Lärm hat ungefähr eine halbe Stunde gedauert und wie man sich umhört, war das in wirklich vielen Stadtteilen so.

     

    Wenn man die Leute fragt, geht es hauptsächlich darum, dass sie sich umgangen fühlen und mit einem legalen, demokratischen Referendum endlich eine Stimme haben wollen. Das kämpft Madrid voll gegen und spielen den Seperatisten in die Hände.

  • Stimmt, es geht nicht immer ohne Polizei und Militär, aber die Logik des Militärs und der Polizei schafft losgelöst von politischer Strategie keinen Frieden. Das sollte man anderswo auch im Auge behalten. Zum Beispiel dort, wo Waffennarren die Aufrüstung auf 2% fordern, weil sie politisch versagen.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Der Autor reklamiert die "verfassungsmässig garantierte Selbstregierung der Katalanen" für genau diejenigen, die diese Verfassung brechen.



    Schöner kann man den eklatanten Widerspruch im Vorgehen Kataloniens nicht beschreiben.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Nöö - das, was die Katalanen trotz einer Franco-Verfassung erstritten haben (Das Autonomiestatut von Katalonien), jetzt wegen dieser Franco-Verfassung einfach brav aufzugeben, das wäre in der Tat ein „eklatanter Widerspruch“.

      Ausser für notorische Monarchisten und vielleicht noch für Anhänger der heutigen SPD kann das doch überhaupt keinen Sinn ergeben.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Rainer B.:

        Gilt sie oder gilt sie nicht, die Verfassung ? Mal entscheiden und nicht Rosinen picken ...

        • @60440 (Profil gelöscht):

          Gilt das Autonomiestatut, oder gilt es nicht? Der Rosinenpicker sind Sie doch hier.

          • 6G
            60440 (Profil gelöscht)
            @Rainer B.:

            Gilt nun grün oder gelb ?

            Sie habens nicht verstanden, okay. Hat was mit Logik zu tun.,.

            • @60440 (Profil gelöscht):

              Ihre Logik soll auch einer verstehen. Bei allen Versuchen, die gewachsene Autonomie Kataloniens mit Gewalt aufzuheben gilt rot - und rot heißt unzweideutig „Stop“.