Kommentar Sozialdemokraten und TTIP: Links blinken, rechts abbiegen
Wie die SPD die Akzeptanz der umstrittenen Freihandelsabkommen erhöhen will, klingt gut. Aber eine entscheidende Frage stellt sie nicht.
Es klingt nett, was sich die sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs in der EU da ausgedacht haben. Mit ihrem Vorschlag eines „modernen Investitionsschutzregimes“, wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel genannt hat, wollen sie die Akzeptanz für die umstrittenen Freihandelsabkommen mit Nordamerika erhöhen. Anstelle der bislang vorgesehenen privaten Schiedsstellen soll ein neu zu schaffendes öffentlich-rechtliches Gremium, etwa ein Handels- oder Investitionsgericht, über Klagen von Investoren gegen Staaten entscheiden. Auch eine Berufungsoption soll es geben.
Ebenso fordern Gabriel & Co. die Sicherstellung, dass ein solches Gremium nicht die Möglichkeit haben dürfe, nationale Gerichtsentscheidungen aufzuheben. Darüber hinaus sollen Bankenabwicklungen oder Schuldenschnitte keine Klagegründe sein. Auch soll sichergestellt werden, dass Schutzstandards auch nachträglich erhöht werden können. Klingt gut, oder?
Eine entscheidende Frage haben die sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs jedoch – aus gutem Grund – unbeantwortet gelassen: Wie werden sie sich verhalten, wenn ihre Forderungen keine oder nur eine unzureichende Aufnahme in die transatlantischen Freihandelsabkommen finden? Immerhin ist das Abkommen mit Kanada (Ceta) eigentlich bereits ausverhandelt. Und die Verhandlungen mit den USA (TTIP) sind weit fortgeschritten. Wer sich Sigmar Gabriels flammende Appelle anhört, die Abkommen bloß nicht scheitern zu lassen, der kann sich die Frage selbst beantworten.
Und selbst wenn der Vorschlag eines Investitionsgerichtshofs umgesetzt würde, würde das zwar mehr Transparenz schaffen – aber keineswegs sicherstellen, dass ausländische Investoren nicht trotzdem Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards als „Handelshemmnisse“ wegklagen können. Denn dazu bräuchte es Sicherheiten, die garantieren, dass grundgesetzlich gewollte Regulierungen tatsächlich weiter klagesicher möglich sind. Wer daran glaubt, ist naiv.
Der aktuelle Vorstoß von Gabriel ist nicht mehr als eine Nebelkerze. Der Obergenosse blinkt ein bisschen nach links, um dann rechts abzubiegen. Das Ziel ist die Befriedung der unzufriedenen eigenen Parteibasis und der bundesdeutschen Öffentlichkeit. An der SPD werden die Abkommen jedenfalls nicht scheitern – egal was drinsteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren