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Kommentar Siegesfeiern in MoskauParanoider Gedenkkult

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Einst Gedenkfeier, heute ideologische Stütze: Präsident Wladimir Putin nutzt den „Tag des Sieges“ zusehends für seine Politik der Isolation.

Wladimir Putin bei einer Militärparade zur Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges Foto: dpa

S eit Langem ist der Tag des Sieges ein besonderes Ereignis in Russland. Begangen wurde er erstmals 1965 – damals aus innenpolitischen Erwägungen. Das Fest durchlief seither viele Metamorphosen. In den 60er-Jahren waren die Menschen nachdenklich und lebensfroh. Heute gibt es kaum noch Kriegsteilnehmer. Unter dem Oberkommandierenden Wladimir Putin wurde aus dem Innehalten im persönlichen Gedenken aus Freude und Leid ein völlig anderer Tag.

Die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg ist inzwischen zur ideologischen Hauptstütze des Kremls geworden. Begleitet von Ablehnung, Falsch- und Verlogenheit und der Unterstellung, Andersdenkende seien per se Feinde: Jeder wolle dem (reichen) Land ans Zeug flicken. Moskau zelebriert Isolation, provoziert Ablehnung und erntet Gegenmaßnahmen. Es führt sich auf wie ein Paranoiker, hält sich selbst frei von jeglichen Fehlern. Seit Jahrhunderten umgeht die russische Führung die entscheidend Frage: Wo sind unsere Verbündeten?

In den 27 Jahren seit Ende der Sowjetunion führte Moskau 19 Jahre lang Krieg. Ist es nicht dieser Militarismus, der andere auf Distanz hält? Und ist dies nicht auch der Grund, warum Moskau unfähig ist, in anderen Formen von Ökonomie, Staat und Gesellschaft zu denken?

Militarismus war auch in Deutschland kein Modernisierungsfaktor. Uniformen für Vorschulkinder werden überall im Lande feilgeboten. Eine ganze Gesellschaft – auch wenn sie nicht geschlossen mitmacht – kostümiert sich als Frontkämpfer. Die toten Frontewiki können noch so laut vor dem aufdringlichen Totenkult mahnen. Sie werden nicht gehört, genauso wenig wie die alten Sowjets, die seit der atomaren Bewaffnung im Interesse des Überlebens – wie in der Kubakrise – gar zum Nachgeben bereit waren. Heute steht es anders. Das schwache politische System gelangt an seine Grenzen. Es müsste sich öffnen, spielt aber mit der Drohung, die Welt aus den Angeln zu heben.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.
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21 Kommentare

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  • Mit 20-27 Mio. Toten und 15 Mio Verwundeten man kann es ihnen nicht verübeln...

    • @agerwiese:

      Nationalismus & Militarismus mit Kriegstoten begründen? Och nee!

  • Putin arbeitet mit der AfD zusammen, jener Partei, die den Nationalsozialismus, dem WKII und die Millionen Gefallenen der Sowjetunion für einen Fliegenschiss hält. ArmesMütterchen Russland, dass du Putin ertragen muss.

  • Bei aller Kritik berechtigten Kritik an Putins Militärkult.

    Es ist unwürdig, als Deutscher dem Land, das die meisten Opfer dafür gebracht hat, dass wir nicht mehr unter den Nazis leben müssen, Vorschriften zu machen, wie es sein Gedenken an diesen fürchterlichen Krieg gestaltet.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Absolute Zustimmung.

      Herrn Donut sei mal empfohlen, darüber - aber bitte: in aller Stille - nachzudenken, wie viele Millionen Opfer das russische Volk bei dem Überfall von Hitler-Deutschland zu beklagen hatte. Und ob dies ein berechtigter Anlass zum Gedenken ist.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Selektiver Journalismus 08/15 für alle Freunde der einseitigen Blindheit und Sehschwäche auf dem westlichen Auge.

    Herrn Donut ( und seinen pro-US-amerikanischen Freunden) sei ein gründlicher Blick in die Geschichte Russlands/ der Sowjetunion und der USA nahegelegt. Und dann schreiben Sie mal einen Kommentar, der das Zeilengeld, wenigstens das Lesen wert ist. ^^

  • Genau solche Artikel braucht man, wenn man 70 Jahre nach der Aushungerung Leningrads wieder mit Deutschen Truppen 130 Kilometer vor St. Petersburg steht.

    Haben Frau v.d.Leyen und Herr Grenell sich schon für den Artikel bedankt?

    Und übrigens, was die Abschottung Rußlands angeht: Man möge einfach nach Moskau reisen und die riesigen Massen von Touristen aus Indien und China dort erleben. Rußland schottet sich nicht ab. Es wendet sich einfach nach Osten.

  • Russland könnte ohne militärische Stärke und die dafür notwendige Erinnerungskultur nicht überleben. Es würde in kürzester Zeit vom Westen an die Wand gedrückt. (Das wird ja versucht.)



    Damit sind die Kriege nicht gerechtfertigt, doch zum Teil erklärt.

    Aber der Krieg der Sowjetunion (79-89) in Afghanistan wäre ohne die Unterstützung des Westens in kurzer Zeit zu Ende gewesen. Auch der Krieg in Syrien wäre ohne die Unter... gewe...



    Wenn es den Unterstützern in Afghanistan um die Menschen dort gegangen wäre, könnte man die Hilfe gut heißen. Aber man hat sie, wie in Libyen, mit Extremisten allein gelassen und die Entstehung eines weiteren Gegners ermöglicht. Dies geschieht absichtlich, was man an etlichen Beispielen sehen kann. Kriege erfreuen die Waffenlobby.







    Man kann davon ausgehen, dass es sich mit Syrien ebenso verhält.



    Im Irak und dem Iran, wurden schneidige Diktatoren aufgebaut, von denen einer in Ungnade gefallen ist, der andere vom eigenen Volk gegen eine Religionsdiktatur ausgetauscht wurde.



    Wer glaubt ernsthaft, dass sich der Westen militärisch gegen Russland verteidigen muss, wo das Budget der USA in diesem Bereich zehnmal so hoch ist und das Deutschlands ungefähr das von Russland erreicht?

    Im 2. Weltkrieg sind 25 Millionen Russen umgekommen. Eine Opferzahl, die ein ernsthaftes, trauerndes, aber auch freudiges Gedenken an den Sieg mehr als rechtfertigt. Um die Zahl in eine Perspektive zu rücken: Im Vietnamkrieg starben circa 60 000 amerikanische Soldaten – schlimm genug. Aber das ist etwas weniger als 1/400.

  • Jedes Jahr zum 9. Mai das gleiche. Gewiss ist es ein schmerzhafter Prozess, aber Deutschland hat nunmal den Krieg, verloren hat. Die Nation, die es überfallen hat, die Nation, die die meisten Opfer zu beklagen hat, wird diesen Tag des Sieges auch im nächsten Jahr feiern, ob es Deutschland passt, oder nicht. Und es ist Russlands Sache, wie es diesen Tag gedenkt.

  • Was für ein Statement!



    Das muss so sein und auch so weitergehen, sonst gehen da einige Leute in den Knast, ggf. auch V.P.

  • "Es müsste sich öffnen, spielt aber mit der Drohung, die Welt aus den Angeln zu heben."



    Soll damit Russland gemeint sein? Ich hätte an jemand anders gedacht.

    Dennoch: Von hier aus vielen Dank an die Völker der SU für ihren Beitrag an der Niederlage Hitlerdeutschlands, den Artikel wie dieser zu schmälern versuchen.

  • 9G
    93649 (Profil gelöscht)

    „In den 27 Jahren seit Ende der Sowjetunion führte Moskau 19 Jahre lang Krieg. Ist es nicht dieser Militarismus, der andere auf Distanz hält? Und ist dies nicht auch der Grund, warum Moskau unfähig ist, in anderen Formen von Ökonomie, Staat und Gesellschaft zu denken?“

    Das trifft auf das Imperium USA noch mehr zu und kaum jemand nimmt Anstoß daran.

    • @93649 (Profil gelöscht):

      Es gibt aber einen gewaltigen Unterschied zwischen RU und den USA.

      Russland kann nur die militärische Karte spielen, um seinen Einfluß zu erhalten oder neuen zu erlangen. Es ist schlicht nicht in der Lage wirtschaftlich oder technologisch für seine Verbündeten attraktiv zu sein. Die Russische Wirtschaft hat ein BIP von 1,6 Billionen Dollar und ist damit schwächer als die von Kanada.

      Die USA hingegen sind die größte Volkswirtschaft der Welt mit einer Wirtschaftskraft von fast 20,5 Billionen Dollar und in vielen technologischen Feldern führend. Die Möglichkeiten, die Verbündete der USA haben, sind um x größer als die von RU.

      de.statista.com/st...ttoinlandsprodukt/

      • 0G
        05653 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        In der Statistik ist das Bip am Warenwert und nicht an den Waren bemessen ohne zu berücksichtigen, dass beispielsweise in China um ein Vielfaches günstiger produziert wird als in den USA. Übrigens beginnt man bei vergleichenden Statistiken zu Militärhaushalten diesen Fehler zu bereinigen. Hier findet ein Umdenken statt weg vom Geldwert eines Produkts hin zum Produkt selbst, wie es auch bereits bei statistischen Vergleichen im kalten Krieg der Fall gewesen ist.

        • @05653 (Profil gelöscht):

          Ja das ist mir bewusst, aber bevor ich jetzt hier das nächste Fass aufmache, hochgerüstete Nato böse, armes Russland schwach, die geben ja viel weniger aus, wollte ich mir das eigentlich nicht geben.

          Aber nun gut, alleine das Gehalt in der russischen Armee ist viel niedriger als in der Nato. Das Durchschnittseinkommen in Russland betrug 2017 39.144,- ₽, waren damals 594,- €.

          www.gtai.de/GTAI/N...n,did=1944192.html

          Die russische Armee zahlt sogar weniger, hier mal die aktuelle Gehaltstabelle.

          recrut.mil.ru/care...ial_guarantees.htm

          Mannschaftsdienstgrad russische Armee, Startgehalt wie in der Tabelle, 17.400,- ₽, das sind 237,43 € Startgehalt BW Schütze mit A3 2.277,- €, die Bundeswehr zahlt also das 9,5 fache, der Unterschied wird mit steigendem Dienstgrad kleiner, es bleibt aber trotzdem immer ein gewaltiger Abstand, das wird alles bei dem bloßen Gegenüberstellen von 2 Zahlen auch nicht berücksichtigt.

      • @Sven Günther:

        Richtig. Die Möglichkeiten der USA sind vielfältiger. 500.000 tote Kinder im Irak ohne einen Schuss abzufeuern sind eine Leistung, die kein anderes Land erbringen kann.



        Diese Fähigkeit diszipliniert ja selbst internationale Organisationen wie Den Haag, die die Anklage gegen die USA wegen deren Verbrechen in Afghanistan fallen lassen mussten. Die Niederlande wären den USA militärisch nicht gewachsen.



        Von solch eine Bedrohungsszenario ist Russland weit entfernt.

        • @luetzowplatz:

          Das macht Russland nicht um einen Jota attraktiver und wenn Sie mal menschliches Leid sehen wollen, ist die Chance dazu in Dagestan oder Tschetschenien wesentlich höher als in Arizona oder Texas.

      • @Sven Günther:

        Was für ein Armutszeugnis, dass die USA dann trotz ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Überlegenheit immer noch ihre schnöden, regulären Interventionskriege brauchen.

        • @Sandor Krasna:

          Darum wäre es mal wichtig, sich von den USA stärker zu emanzipieren, denn wirtschaftlich ist die EU bereits ein stärkerer Wirtschaftsblock als die USA.

          Wir lassen uns aber, immer wenn es hart auf hart kommt, wieder in die wesentlich schwächeren Einzelstaaten spalten. Auch Deutschland handelt nicht zum ersten mal antieuropäisch, etwa durch North Stream 2. Dann müssen auch in Deutschland unpopuläre Themen angegangen werden, etwa Rüstung, dann müssen wir uns selber verteidigen und auch unseren europäischen Bündnisstaaten glaubhaft versichern können, nicht auf die USA angewiesen zu sein.

          Dazu müssten hier aber mehr Leute mal weiter als bis zur eigenen Haustür denken und noch ein paar mal ihre Mitgliedschaft in verschiedenen Brücken und Freundschaftskreisen überdenken.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Sandor Krasna:

          Das Schimme ist: Die US-Amerikaner werden sie immer brauchen. Wenn nicht ein kleiner Nordkoreaner ...

          Doch das ist nur am Rande eine politische Frage. Das Hauptthema ist Selbsthass, der nach außen gerichtet wird. Horst Eberhard Richter, ein kluger, friedfertiger (leider verstorbener) Mann könnte ganze Arien dazu singen.