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Kommentar SiedlungspolitikIsraelis denken anders

Kommentar von Susanne Knaul

Die meisten Israelis wissen nicht, wie der Siedlungsbau die Palästinenser beeinträchtigt. Das Mantra der ungeteilten jüdischen Hauptstadt ist Desinformation.

Don't touch: Jüdische Siedlung Maale Adumim im Westjordanland. Bild: reuters

W as Benjamin Netanjahu wohl meint, wenn er sagt, er fühle sich dem Frieden verpflichtet? Wen will er davon überzeugen, dass er bei der Entscheidung über den Neubau mehrerer Tausend Wohnungen für Israelis im Westjordanland ein reines Gewissen hat? Was in New York und Straßburg schwierig zu verstehen ist, funktioniert zu Hause ganz gut. In Israel glaubt man gern, was Botschafter Ron Prosor den UN-Staaten verkündete: „Die Siedlungen sind kein Hindernis für den Frieden.“

Man habe es schließlich versucht, so das Argument. Auch als Netanjahu den Siedlungsbau für zehn Monate auf Eis legte, sei man mit den Palästinensern keinen Schritt weitergekommen, was leider stimmt. Die Mehrheit der Israelis erkennt nicht, dass mit jedem neuen Haus auf palästinensischem Land die Zwei-Staaten-Lösung utopischer wird und Platz macht für den binationalen Staat, den im Grunde keiner will.

Die Mehrheit der Israelis weiß nicht, wie unmittelbar fast jeder Neubau das Leben der Palästinenser beeinträchtigt. In Bethlehem wird seit Jahren nur noch vertikal gebaut, weil die Stadt umzingelt ist von Siedlungen. Givat Hamatos, wo demnächst 2600 Wohnungen entstehen sollen, ist eine davon. Die Mehrheit der Israelis weiß auch nicht, dass die in Beit Safafa geplante Straße „nur für Siedler“ die palästinensischen Bürger der Stadt von Kindergärten und Läden abschneidet, die heute noch einen Fußweg entfernt sind.

Bild: privat
SUSANNE KNAUL

ist Korrespondentin der taz in Jerusalem.

Unterschätzte Religion

Die gezielte Fehl- und Nichtinformation der israelischen Bevölkerung paart sich mit der verbreiteten Haltung, dass etwas nicht stimmt, wenn Juden zwar in Manhattan oder Berlin leben dürfen, aber ausgerechnet dann ins Schussfeuer der internationalen Kritik geraten, wenn sie im biblischen Eretz Israel bauen, dem Land, das laut Altem Testament Gott selbst einst Abraham versprach.

„Wir werden uns von niemandem verbieten lassen, in unserer Hauptstadt zu bauen“, sagt Netanjahu. Warum sollte er. Kein Regierungschef würde sich hineinreden lassen, wenn es um die Planung der Stadt geht, in der die Regierung ihren Sitz hat. Jerusalem hingegen gilt nur in den Köpfen der Israelis als Hauptstadt. Für den Rest der Welt besteht hier unverändert Klärungsbedarf.

Das Mantra der ungeteilten, ewig jüdischen Hauptstadt ist Teil der kollektiven Gehirnwäsche. Jerusalem nicht zu teilen, wäre nicht nur demografisch unklug für den Judenstaat mit demokratischen Ambitionen. Von der Uni auf dem Skopusberg abgesehen und dem Justizministerium, das in Ostjerusalem beherbergt ist, zieht es nur israelische Extremisten in die palästinensische Hälfte. Selbst in die Altstadt trauen sich viele Israelis nicht.

Netanjahus Politik verkauft sich gerade im Wahlkampf gut. Auf innenpolitischen Widerstand braucht in New York niemand zu hoffen. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne allein mit Abmahnungen auf die Politik in Jerusalem Einfluss nehmen.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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13 Kommentare

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  • CR
    Christine Rölke-Sommer

    @Oma Kruse

    liebe oma! meinst du nicht, dass man sich eine stadt auch ganz ohne mauer teilen kann?!

     

    hätte zur voraussetzung, dass man aufhört, boden zu sakralisieren und völkisch aufzuladen. dann sollte das ganz problemlos gehen.

     

    dass Israelis außer zum beten oder schwerbewaffnet nicht gern in die altstadt gehen - hat mit dämonisierung nix mit gurnix zu tun. war schon vor 30 jahren so.

    was die israelische militärpräsenz dort anrichtet, wird man aber erst merken, wenn endlich die touristen und pilger ganz wegbleiben.

  • DP
    Daniel Preissler

    @Oma Kruse

    Darf ich Ihrem Vergleich mit 1989 entnehmen, dass Sie für die Ein-Staats-Lösung eintreten? Vermutlich läuft's darauf ohnehin hinaus. Dass Sie das anerkennen wundert und freut mich.

    Grüße, DP

  • OK
    Oma Kruse

    Ich bin in Berlin aufgewachsen und war sehr glücklich, die Mauer fallen zu sehen. Jerusalem war zwischen 1948 und 1967 geteilt, warum Frau Knaul dort nun wieder eine Mauer errichten möchte, bleibt wohl ihr Geheimnis.

     

    Der Artikel ist jedenfalls eine üble Hetze gegen den Staat Israel und seine Bürgerinnen und Bürger aller Ethnien und Religionen. Wird Zeit, dass sich die Taz eine Israel-Korrespondentin mit mehr Distanz und besserer Kompetenz zulegt!

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Wie die Welt es herbei sehnt, eine Stadt in zwei Hälften teilen zu können und einen neuen Terrorstaat in ihrer Mitte aufzunehmen.

    Aber wenn schon die ignoranten Israelis nicht wissen, was sie mit dem Siedlungsbau anrichten ... gut, dass wenigstens der Rest der Welt dies beurteilen kann.

    Unvergessen bleibt das Verbrechen, Häuser in Gilo zu bauen. Huch? Auf jüdischem Grundbesitz? ... wen interessiert's? Siedlung ist Siedlung. Und wir alle wissen, dass Siedlungen das Friedenshindernis sind.

  • P
    Perdita

    Die Zweistaatenlösung ist tot, und das ist gut so. Niemand braucht einen weiteren arabischen Staat, in dem autoritäre Korrumpanten mit religiösen Extremisten um die Macht kämpfen.

     

    Viele Israelis sind arabischer Herkunft. Nicht die Mehrheit, aber einige. Es gibt arabische Abgeordnete in der Knesset. Straßenschilder in Isreal sind auf Hebräisch, Arabisch und Englisch.

     

    Welcher Teufel müsste mich reiten, als arabischer Palästinenser nicht in Israel leben zu wollen?

     

    Daher braucht es eine Einstaatenlösung: Israel als gemeinsamer Staat für alle im Nahen Osten. Dann zeigt sich nämlich endlich auch, wer das echte Problem ist: religiöse Radikale und korrupte Machtpolitiker auf beiden Seiten.

  • H
    Harald

    Doppelstandard:

    "Jerusalem hingegen gilt nur in den Köpfen der Israelis als Hauptstadt. Für den Rest der Welt besteht hier unverändert Klärungsbedarf."

     

    Delegitimierung:

    "Das Mantra der ungeteilten, ewig jüdischen Hauptstadt ist Teil der kollektiven Gehirnwäsche. Jerusalem nicht zu teilen, wäre nicht nur demografisch unklug für den Judenstaat mit demokratischen Ambitionen."

     

    Dämonisierung:

    "Von der Uni auf dem Skopusberg abgesehen und dem Justizministerium, das in Ostjerusalem beherbergt ist, zieht es nur israelische Extremisten in die palästinensische Hälfte. Selbst in die Altstadt trauen sich viele Israelis nicht."

  • V
    vic

    Ganz schön mutig, Frau Knaul. Auch und gerade in der taz.

  • IQ
    Ignaz Quadratwurzel

    Dazu passt, dass der Sicherheitsrat getagt hat und die USA nicht gewillt waren „unhelpful“ zu sein, wie sie es nennen,

    dabei hätten sie dem von Frau Kaul angesprochenem Denken in Tel-Aviv auf die Sprünge helfen können.

     

    Der Weltsicherheitsrat ist durch einen Einspruch der USA, was die sich dabei wohl gedacht haben,

    daran gehindert worden, einstimmig die neuen Siedlungsbaupläne in und um Ostjerusalem herum zu verurteilen.

    „4 of 15 UNSC members slam Israeli settlement plans; US mum“

     

    http://www.jpost.com/LandedPages/PrintArticle.aspx?id=296634

    meldete etwa die Jerusalem Post.

     

    Dabei nannten die USA nicht etwa Differenzen in den Auffassungen über die Illegitimität dieser „Siedlungspläne“, sondern gaben an, es nicht für hilfreich zu halten, die Verurteilung derzeit in einer Sicherheitsratresolution zu formulieren.

     

    „...did not think it would be “helpful at this point” to put the condemnation of settlement construction into a Security Council resolution“.

     

    Das hört sich trotzdem „gut“ an, dennoch waren auch die davon abweichenden Vorstellungen aus Paris, Lissabon, London und Paris einen Tick inkonsequenter, also weniger hilfreich für die „nachdenkenden“ Einwanderer, als etwa die Stellungnahmen Indiens, Süd-Afrikas und Brasiliens.

     

    Diese Länder stellten fest, alle bisherig schon erstellten Siedlungen in den besetzten Gebieten müssten aufgelöst werden und dies nicht im Zuge irgendwelcher Verhandlungen, sondern reinweg in Pflichterfüllung gegenüber dem internationalen Recht.

    „...not only must settlement construction be frozen, but that “settlements must be dismantled and the occupation must end,” not as “a concession to be made in the course of negotiations” but rather as “an obligation under various [security Council] resolutions and international law.”

     

    Dies sollte Abbas berücksichtigen: Nicht über Dinge sinnloserweise verhandeln, die reine Pflichtaufgaben des Staates sind, der sich „Israel“ nennt.

  • H
    Hund

    http://taz.de/Die-Wahrheit/!107442/

     

    Daran sollte sich die "Jerusalem-Korrespondentin" (für was braucht die TAZ bitte Korrespondenten in Jerusalem, wenn die dann doch den selben Unsinn wie in Dierkes in Duisburg schwafeln?) mal besser orientieren.

  • I
    I.Q

    Nein, sie denken nicht anders, sie haben es nur schwerer, mit dem Denken anzufangen.

     

    Vor ca. einer Woche brachte der DLF ein Feature über das Friedensdorf Neve-Schalom.

    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dasfeature/1916135/

     

    Dort gab eine der Gründerinnen an, selbst Ende der siebziger Jahre aus der Schweiz nach Israel emigriert zu sein und dann völlig überrascht festgestellt zu haben, dass dort auch noch „Araber“ lebten.

     

    Solche Aussagen illustrieren, was sich in den Köpfen der israelischen Einwanderungsgesellschaft über die Existenz der Palästinenser abspielt.

     

    Und wie soll dem Netanjahu geholfen werden, wenn man in Berlin und den hiesigen Medien "Jerusalem" als Hauptstadt "Israels" ausgibt?

     

    Es ist bedeutsame, dass sich die Merkwürden aus Berlin und anderen europäischen Städten, den USA mal ganz zu schweigen, nicht zu schade sind, sich bestenfalls in Schweigen auszubreiten, wenn der zionistische Anspruch auf palästinensisches Land, auf die Heimat der Palästinenser zuzugreifen, ausposaunt wird.

     

    Denn im innerisraelischen Meinungszirkus besteht kaum die Möglichkeit, sich der staatlichen, gesellschaftlichen Gehirnwäsche zu entziehen, die Grundlage der Staatsgründung, wie auch der Masseneinwanderungen sind.

     

    Die Konsequente Einforderung der Einhaltung des Völkerrechts, aller UN-Resolutionen und des Menschenrechtes durch die Staaten, die bislang Israel stützen könnten Abhilfe schaffen.

  • W
    Weinberg

    Oh Herr, vergib Benjamin u. Co, denn sie wissen nicht was sie tun!

     

    Es ist davon auszugehen, dass den Israelis ihre Siedlungspolitik in absehbarer Zeit bitterböse auf die Füße fallen wird.

  • R
    RedHead

    Die Palästinenser haben bisher jede Gelegenheit, Israels Siedlungsbau in Rahmen von Friedensverhandlungen zu stoppen verstreichen lassen und sich stattdessen auf eine hoffnungslose militärische Auseinandersetzung fixiert. Auch die Räumung von Siedlungen im Gazastreifen wurde durch Raketenbeschuss quittiert. Israel konnte daraus lernen, dass ein Entgegenkommen in der Frage des Siedlungsbaus keinen Schritt weiter in Richtung Frieden führt, im Gegenteil betrachten ihre Feinde so etwas als militärischen Sieg und damit als Motivation die militärische Auseinandersetzung fortzusetzen. Angesichts dieser Fakten ist es unverständlich, wie man ohne antisemitische Motivation nun einseitig Forderungen an Israel stellt, sie sollen in der Siedlungsbaufrage Zugeständnisse machen. Das soll Frieden bringen, obwohl die Judenhasser deutlich gezeigt haben, dass sie höchstens an der Art Frieden Interesse haben, bei der am Ende keine Juden mehr da sind? Ich sehe es ganz pragmatisch: Die Palästinenser sind zum Glück militärisch zu schwach, um Israel zu besiegen. Wenn denen der Stopp des Siedlungsbaus so wichtig ist, dann sollten das keine "Nahostexperten" aus Deutschland diskutieren, sondern sie sollten es selbst als Verhandlungsforderung in Friedensverhandlungen einbringen. Dann werden sie aber auch die Existenz des Staates Israels anerkennen müssen und sich am Ende auf eine genaue Grenzlinie einigen. Sie wollen aber Israels Existenz nicht anerkennen, also gibt es im Umkehrschluss auch keinen Grund den Siedlungsbau zu stoppen. Die Palästinenser sind im Zugzwang. Sollte es mal ein akzeptables Friedensangebot geben, dass daran scheitert, dass Israel den Siedlungsbau nicht zur Diskussion stellt, dann ist die Kritik wie sie im Kommentar von Frau Knaul geäußert wurde angemessen. Es liegen aber völlig andere Voraussetzungen vor.

  • HB
    Heinz Boxan

    Netanjahu schafft es. Konsequent verheizt er die Sympathie für “sein“ Land. Die wohl gesonnenen Israeli sind zu bedauern und haben dies nicht verdient.

     

    inribonax