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Kommentar SicherheitskonferenzStell dir vor, es ist ...

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Auf der Sicherheitskonferenz in München sind alle damit beschäftigt, anderen die Schuld zuzuschieben. Sie reden vom Frieden – aber der Krieg ist längst da.

Ein bisschen Frieden wäre schön. Foto: dpa

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ beginnt ein 80 Jahre altes Gedicht des US-Amerikaners Carl Sandburg, das Ministerin von der Leyen vergangene Woche in einer ZDF-Talkrunde zum Syrienkonflikt fälschlicherweise Bertolt Brecht zuschrieb. In den 80er Jahren wurde diese Gedichtzeile zum populären Slogan der Friedensbewegung.

„Stell dir vor, es ist Krieg und alle machen mit – obwohl sie gleichzeitig ihren Willen zu Frieden und Kooperation behaupten.“ Das wäre der passende Titel für die Münchner Unsicherheitskonferenz vom Wochenende gewesen. Man muss ja nicht ganz so weit gehen wie Russlands Ministerpräsident Medwedjew und der israelische Verteidigungsminister Jaalon, die in München beide die Gefahr eines dritten Weltkrieges an die Wand malten.

Die Fortsetzung und Eskalation des Syrienkrieges demnächst auch mit direkter Beteiligung der Streitkräfte Saudi-Arabiens, der Türkei und anderer Nachbarstaaten, das Wiederaufflammen der Kampfhandlungen in der Ukraine und ein erneuter Kalter Krieg zwischen der Nato und Russland mit verstärkter Aufrüstung und atomarer Abschreckung auf beiden Seiten – all diese leider sehr wahrscheinlichen Aussichten für die nahe Zukunft sind schon düster genug. Diese Konferenz war geprägt von einseitigen Schuldzuweisungen aller an den genannten Konflikten beteiligten Akteure – vor allem an die Adresse Russlands.

Den dreisten Falschbehauptungen Moskauer Regierungspolitiker über die Ziele und Auswirkungen der russischen Bombardements in Syrien entsprach die ebenso dreiste Arroganz, mit der der republikanische US-Senator McCain in seiner Attacke auf Russland, der zugleich die große Mitverantwortung seines Landes für die Konflikte im Nahen Osten unterschlug, insbesondere für das Entstehen des „Islamischen Staates“.

Die Konferenz war geprägt von Schuldzuweisungen – vor allem an Russland

Neben den noch am Freitag entstandenen leisen Hoffnungen, zumindest auf eine Feuerpause in Syrien, platzten auf dieser Konferenz aber auch die letzten Kalküle der Regierung Merkel für eine baldige Entlastung in der Flüchtlingsfrage. Das lässt Schlimmes befürchten bis hin zu einem Sturz der Kanzlerin, für welchen Fall sich von der Leyen bereits als Nachfolgerin warmläuft.

„... dann kommt der Krieg zu euch“, geht das Gedicht von Carl Sandburg weiter. Der Krieg ist längst da.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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8 Kommentare

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  • Herr Zumach,

    inwiefern genau hat die USA mitverantwortlich "insbesondere für das Entstehen des „Islamischen Staates“."?

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Der Krieg ist längst da."

     

    Er war nie weg, auch wenn er jetzt im "freiheitlichen" Wettbewerb die Geschicke der SCHEINBAR unabänderlichen faschistischen Welt- und "Werteordnung" mit "Entwicklungshilfe" und Waffenhandel, mit "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei", mit TTIP und Tittitainment globalisiert, konfusioniert, spaltet und letztendlich der atomaren Apokalypse entgegentreibt - der ganz normale Stumpf-, Blöd- und Wahnsinn im geistigen Stillstand und systematisch-gebildeter Suppenkaspermentalität auf stets systemrationaler Schuld- und Sündenbocksuche, seit der "Vertreibung aus dem Paradies" (erster und bisher EINZIGE geistige Evolutionssprung OHNE ...)!

  • Die Politik lebt von der Vergesslichkeit der Menschen und insbesondere der Journalisten. Die russische Regierung praktiziert in Syrien die gleiche Politik wie einst die USA in Vietnam. Man erinnere sich, während in Genf Verhandlungen zwischen Nordvietnam und den USA über einen Frieden stattfanden, ließ Nixon kurz vor Weihnachten 1972 massive Bombenangriffe auf Hanoi und Haiphong fliegen -um die kommunistische Regierung unter Druck zu setzen. In einem Artikel der WELT vom 3.12.2008 findet sich dazu folgendes Zitat des damaligen US-Präsidenten Nixon: "Wir werden sie bombardieren. Über Weihnachten wird so richtig was los sein, und am 3. Januar kommt dann der Weihnachtsrückzug." Was lehrt uns das für Syrien und die Rolle Russlands? So lange Putin und andere glauben, in Syrien militärisch siegen zu können, lassen sie weiter kämpfen So funktioniert Politik im Krieg - auch 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg.

    • @Philippe Ressing:

      Wir wissen alle, wie die Sache ausgegangen ist. Bereits im Januar 1973, wenige Wochen nach dem sinnlosen Bombardement, standen erstmals seit 100 Jahren keine fremden Truppen mehr in Vietnam.

       

      Für dieses Ergebnis wurden nach heutigem Wert 548 Milliarden US-Dollar und 58.220 US-Soldaten verheizt – mehr als die Hälfte davon jünger als 21 Jahre. 153.303 US-Soldaten wurden verwundet. Über 40.000 US-Soldaten wurden heroinabhängig. 330.000 waren nach der Heimkehr arbeitslos. Über 300.000 Veteranen wurden straffällig und inhaftiert. Unter anderem deswegen, weil 478.000 Veteranen an voller und weitere 350.000 an partieller PTSD gelitten haben (und teilweise bis heuite leiden). Unter Afroamerikanern, Hispanics und durch Kriegsverletzungen Behinderten waren die Anteile besonders hoch, liest man.

       

      Dass außerdem jeder achte Vietnamese mit seinem Leben gezahlt hat für den "Sieg", ist vermutlich auch kein großer Trost gewesen für Richard Milhous Nixon. Dass es nämlich etwa viermal so viele Zivilisten wie Soldaten unter den Opfern gab, hat ihn außerhalb der USA die "Heimatfront" gekostet.

       

      Putin kennt die Zahlen, schätze ich. Vermutlich weiß er sogar, dass auch die Zerstörung von Ben Tre den Ort nicht "retten" konnte vor "den Kommunisten". Er glaubt wohl einfach, dass 2016 nicht 1973 ist. Vermutlich hat er damit sogar recht.

  • Wer im Glashaus sitzt...!

     

    Nein, das Gedicht von Carl Sandberg geht NICHT weiter. Schon gar nicht mit "..dann kommt der Krieg zu euch". Der Satz: "Sometime they’ll give a war and nobody will come", den Sandberg einem kleinen Mädchen angesichts ihrer ersten Truppenparade in den Mund legt, ist der letzte des Original-Gedichts. Und wer das Gedicht gelesen hat, der weiß auch, wieso.

     

    Der dämliche Zusatz stammt von einem Menschen, dessen Name leider nicht überliefert wurde. Und was Brecht angeht, so hat der überhaupt sehr gern "dem Volk aufs Maul geschaut", auch und gerade dann, wenn es seinen Namen für sich behalten hat. Brecht hat Dinge, die er irgendwo gefunden hat, neu ausgelegt, verfremdet. Das Copy-Right war ihm egal.

     

    Im Übrigen war bei Brecht nicht von Krieg die Rede, sondern vom Kampf. Gemeint war damit kein Krieg um Macht und Einfluss wie in Syrien, sondern der Kampf der Betrogenen um ihre Rechte. Dass Frau von der Leyen den Unterschied nicht kapiert, wundert mich nicht. Vermutlich hat sie Brecht so wenig gelesen wie Sandberg - und wie Andreas Zumach.

     

    Übrigens: Sandberg stellt am Anfang seines Gedichtes eine rhetorische Frage, die ich Frau von der Leyen auch gern stellen würde: "The first world war came and its cost was laid on the people. The second world war — the third — what will be the cost. And will it repay the people for what they pay?... "

     

    Wir kennen die Antwort inzwischen: Nein, werden sie nicht.

     

    Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin - dann müssen die, die den Krieg wollen, zur Abwechslung mal selber zahlen.

  • "Das lässt Schlimmes befürchten bis hin zu einem Sturz der Kanzlerin, für welchen Fall sich von der Leyen bereits als Nachfolgerin warmläuft."

     

    Herr Zumach, Sie machen mir Angst.

  • Ja, die Frau von der Leyen muß doch erst mal ihr Praktikum bei der Bundeswehr absolvieren. Dat geht nicht.

    tztztztztztztz....

    Hans-Ulrich Grefe

  • Von der Leyen ist überhaupt "fälschlicherweise". Trieft der doch aus allen Poren. Armes Deutschland.