Kommentar Schweizer Atomausstieg: Standhaft geblieben
Die Schweizer vertrauten eher nüchternen Argumenten als einfältigem Alarmismus. Der Volksentscheid gegen neue AKWs ist ein doppelter Gewinn.
D ie Sachlichkeit hat gesiegt über eine unsäglich dümmliche Kampagne. Nichts war den Gegnern der Schweizer Energiestrategie in den letzten Wochen zu dämlich gewesen, um Stimmung zu machen gegen die Energiepolitik der Regierung. Die Aussage, Haushalte müssten künftig pro Jahr „3.200 Franken mehr bezahlen und erst noch kalt duschen“, war da noch nicht einmal der Gipfel der Absurdität.
Ein Verbot von Bananen, Kaffee und Fleisch wegen des hohen Energieverbrauchs wurde als Schreckensvision beschrieben, ebenso wie ein Verbot der Weihnachtsbeleuchtung oder auch eine nur mehr wöchentliche Paketauslieferung der Post (um Sprit zu sparen). Mitunter klang das alles wie Satire. Jetzt ist klar: Bei der Mehrheit der Eidgenossen konnten diese Warnungen nicht verfangen.
Das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids ist nun ein doppelter Gewinn. Zum einen natürlich aus Sicht der Energiewirtschaft, die ein gutes Stück an Planungssicherheit gewonnen hat. Neue Atomkraftwerke wird es in der Schweiz nicht mehr geben, die alten werden – wenngleich aus Sicht von AKW-Gegnern viel zu spät – irgendwann vom Netz gehen. Die erneuerbaren Energien werden etwas mehr gefördert, die effiziente Nutzung von Energie wird an Bedeutung gewinnen. Das ist alles nichts Spektakuläres, aber es ist immerhin ein wichtiger Schritt.
Der zweite Sieg der jüngsten Abstimmung gilt der demokratischen Kultur der Schweiz. Mit massivem Geldeinsatz, mit auch für Schweizer Abstimmungskämpfe ungewöhnlicher Vehemenz hatten die Gegner der Energiewende versucht, noch auf den letzten Metern die Oberhand in der öffentlichen Debatte zu gewinnen.
Doch die Bürger blieben standhaft, vertrauten eher nüchternen Argumenten als einfältigem Alarmismus. Und machten damit deutlich: Selbst eine teure Kampagne kann in einer stabilen Basisdemokratie verpuffen. Auch das ist beruhigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen