piwik no script img

Kommentar SchulverpflegungEssen ist ein Fall für Pisa

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

Ernährungssozialisation findet heute in Schule und Kita statt. Umso schlimmer, dass das dortige Angebot nur die Note „ungenügend“ verdient.

Den Jungs schmeckt's. Fehlen nur noch der Salat und das Gemüse: Essen in der Schulkantine Bild: imago/momentphoto/Killig

S ie nannte sich „Helena“ und hätte die Pisa-Studie für Kinderernährung werden können. Über Jahre hatten sich Wissenschaftler das Essverhalten von Jugendlichen in ganz Europa angesehen. Als sie 2011 ihre Studie vorstellten, war das Fazit bestürzend: „Jeder dritte Junge und jedes fünfte Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren sind übergewichtig, 6 Prozent sogar fettsüchtig“, erklärten sie. Die ungesunde Ernährung – zu viel Fette und Zucker, zu wenig Obst und Gemüse – habe bereits Folgen, mehr Herzerkrankungen und Altersdiabetes unter Jugendlichen.

Pisa schreckte Deutschland auf, der Bildungsnotstand wurde ausgerufen. Und was geschah nach „Helena“? Nichts. Das belegt die Studie, die Agrarminister Schmidt am Dienstag vorstellte nur neuerlich. Sie gleicht ihrer Vorgängerin fast aufs Komma. Sie stellt vor allem der Ernährung an den Schulen ein schlechtes Zeugnis aus.

Was Hänschen nicht gelernt hat, das lernt Hans nimmermehr. Der Spruch war es, der die Nation nach Pisa umtrieb. Aber Ernährung? Sie steht bis heute nicht im Lernplan. Doch sie müsste es.

Geschenkt, dass Kinder Pizza und Pommes am liebsten mögen. Halbwüchsige haben sich noch nie Sorgen gemacht, ob sie ihre Gesundheit gefährden. Wichtiger ist: Wie und wo erhalten Kinder die Grundlagen, um einmal Alternativen zu kennen? Um ihren Geschmack zu bilden – und mit Fett und Zucker umgehen zu können. Der familiäre Esstisch ist immer weniger der Ort dafür, sagen Wissenschaftler. Ernährungssozialisation findet heute in Schule und Kita statt. Darum ist es so schlimm, wenn Kinder dort abgespeist werden.

Warum Pisa Wirkung zeigte? Kurz gesagt: Eine ganze Menge von Schülern ließ sich motivieren, die Finnen in Mathe zu überflügeln. Kann man sie auch begeistern, besser essen zu wollen als Franzosen oder Italiener? Sie schmunzeln. Das ist das Problem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Wer für Kids kocht, weiß, dass Kinder nun einmal bestimmte Vorlieben haben: Pizza, Spaghetti, Pommes und dann kommt lange nichts. Was nützt es, Mengen von Gemüse anzubieten, das nachher niemand möchte? Salate gehen in der Regel auch noch gut oder frisches Obst. Aber vor allem: Es ist doch allemal besser, wenn ein Schulkind mittags eine warme Mahlzeit bekommt, anstatt sich am Kiosk mit Schnuckekram einzudecken. Wichtig ist, dass das Essen für alle erschwinglich ist. Was nützt es für 5 Euro ein bio-dynamisches Menü anzubieten und die sozial Schwachen gehen dabei leer aus? Das ist nämlich heute schon Realität an deutschen Schulen: Die Ansprüche werden immer höher geschraubt und die, die es am nötigsten haben, können es sich nicht mehr leisten. Aber das dürfte ja der Partei der moralisch und finanziell besser Betuchten egal sein.

  • Wenn man dann noch bedenkt, wie schlechte Essgewohnheiten mit weiteren negativen Kindheitsbedingungen korrelieren (http://www.acestudy.org/yahoo_site_admin/assets/docs/ACE_Reporter_-_Origins_and_Essence_-_German.127150747.pdf) und welche gesundheitlichen Folgen dies fürs Erwachsenenleben bedeutet (u.a. http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/krebs-ueberlebensraten-in-deutschland-und-anderen-laendern-im-vergleich-a-1004975.html), einschließlich der Folgekosten dieser so früh so falsch angelegten Ernährung, dann muss man sich schon wundern, dass dies alles noch immer so wenig kümmert. Das ist übrigens in Krankenhäusern nicht anders: dort sollen Sie gesund werden mit einer Kost, die mit „Fraß“ noch nett beschrieben ist. Aber wie sagte Herr Kauder gestern so schön?: „Wir müssen jetzt vor allem für die Wirtschaft da sein.“

  • Unsinn, Herr Kabisch. Ist es nicht. Ein „Problem“ ist es, wenn Leute NICHT schmunzeln, wenn sie einer Herausforderung begegnen (siehe Waage69). Dann nämlich geben sie entweder sofort auf, oder sie werden früher oder später brutal.

    • @mowgli:

      Danke für die Blumen!

  • Da ich im schulischen Umfeld arbeite, ist mir die Thematik bekannt. Es läuft so: Mensa-intern (also Leitung, Koch, Angestellte usw) ist man sich im Klaren darüber, daß das Essen höchstens Junkfood-Qualität hat, aber es soll ja auch billig sein, um die konkurrierenden Imbissbuden, Metzgereien usw. auszustechen. In der Öffentlichkeit aber wird der Fraß von denselben Leuten stets im vollen Brustton über den grünen Klee gelobt, ach unsere Schulkinder bekommen so ein vollwertiges Essen. Als ob man die Flintenuschi reden hört. Die Oberen von der Stadtverwaltung lassen sich all Jahr mal zum Mittagessen blicken und tun dann, ach wie super doch dieses Mensa-Essen ist und klopfen sich selber auf die Schulter für ihre Erfolgsstory. Aber das restliche Jahr über gehen sie zum Mittagstisch lieber in den Grünen Hirschen oder in die Linde. Und die Mensaleitung geht nach Hause und kocht sich selber was. So sieht´s aus und das dürfte überall im Schland ganz ähnlich ablaufen.

    • @Dudel Karl:

      ach ja, es ist ja alles so empörend schlimm in Deutschland...

      • @Waage69:

        Ich werde nicht aus patriotischen Gründen Fraß zum Essen erheben.

        • @Dudel Karl:

          Das ist ja mal ein Satz wie in Stein gemeißelt.