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Kommentar SchleierfahndungZwischen Praxis und Gesetz

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Problem verdachtsunabhängiger Polizeikontrollen muss sachlich diskutiert werden. Stattdessen verflacht die Debatte im Wahlkampf.

Freund der Überwachung: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann Foto: dpa

B ei der Innenministerkonferenz in Dresden soll auch über die Schleierfahndung gesprochen werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hat gefordert, dass auch Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen die Schleierfahndung einführen sollen, sonst bestehe eine „eklatante Sicherheitslücke“.

Es geht also nicht um ein Bundesgesetz, sondern um Landesgesetze in nur drei Bundesländern. Und dabei ist natürlich bemerkenswert, dass die Forderung nach Bundeseinheitlichkeit ausgerechnet aus Bayern kommt – wo man sonst soviel Wert auf Eigenständigkeit der Länder legt.

Aber die Diskussion zeigt auch, dass es nicht mehr um eine fachliche rechtspolitische Diskussion geht, sondern nur noch um abstrakte Bekenntnisse im beginnenden Bundestagswahlkampf: Bist Du für oder gegen Schleierfahndung?

Die Verflachung der Diskussion beginnt schon mit dem unklaren Gebrauch des Wortes „Schleierfahndung“. Ursprünglich ging es um anlasslose Polizeikontrolle in Grenznähe. Als Ersatz für den Wegfall der EU-Binnengrenzen darf zum Beispiel die Bundespolizei in einem Korridor von 30 Kilometern jenseits der Grenze jeden anhalten und nach seinen Papieren fragen. Bayern hat dies auch seiner Landespolizei erlaubt, andere Länder wie Rheinland-Pfalz halten das nicht für erforderlich.

Unterschiedliche Konstellationen

Nun wird aber auch von Bremen und Berlin die Einführung der Schleierfahndung gefordert, die ersichtlich keine Grenzen zu anderen EU-Staaten haben. Es geht inzwischen also offensichtlich um die generelle Möglichkeit zu verdachtsunabhängigen Kontrollen, die es zum Beispiel auch in Rheinland-Pfalz gibt. Deshalb wird Rheinland-Pfalz trotz fehlender Schleierfahndung von Herrmann nicht angegriffen.

Was aber ist inhaltlich von der Forderung nach „Schleierfahndung“ zu halten? Und sind solche verdachtsunabhängige Kontrollen auch rechtlich zulässig? Dabei sind drei Konstellationen zu unterscheiden.

Die eigentliche Schleierfahndung in Grenznähe ist nur zulässig, solange sie nicht den Charakter von systematischen Grenzkontrollen hat. Sonst wäre der Sinn von offenen EU-Grenzen faktisch ausgehebelt. Die EU-Kommission hatte bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

Dieses wurde im Februar 2017 jedoch eingestellt, nachdem die Bundesregierung im Anwendungserlass zum Bundespolizeigesetz klarstellte, dass die Schleierfahndung „unregelmäßig“ ist und „nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen“ haben darf.

Racial profiling findet statt

Außerdem darf die Bundespolizei und die Landespolizei in vielen Ländern auch auf wichtigen Verkehrswegen oder generell im öffentlichen Raum verdachtsunabhängig kontrollieren, um Straftaten und andere Gefahren zu verhindern. Hier wird von Kritikern die Gefahr gesehen, dass Racial Profiling stattfindet. Das ist aber eher ein Problem der Praxis als des Gesetzes.

Die Polizei weist von sich, dass sie nur nach der Hautfarbe gehe. Racial Profiling wäre hier auch eindeutig rechtswidrig. Stattdessen stellt die Polizei auf Lagebilder und polizeiliches Erfahrungswissen ab. Wenn es viele Einbrüche durch reisende osteuropäische Banden gibt, dann will sie einen „osteuropäisch aussehenden“ Mann, der spähend durch ein Einfamilienhaus-Viertel läuft, kontrollieren können.

Völlig anlasslos agiert die Polizei hier nicht. Die Kontrolle aller vermeintlichen Osteuropäer in einer Fußgängerzone ließe sich so aber nicht rechtfertigen. Vermutlich wird auch die in der neuen schwarz-gelben NRW-Koalition vereinbarte „strategische Fahndung“ auf eine solche Unterscheidung hinauslaufen.

Rassismus hoffähig gemacht

Eindeutig am problematischsten sind verdachtsunabhängige Kontrollen zur Verhinderung und Aufdeckung unerlaubter Einreise, wie sie zum Beispiel der Bundespolizei erlaubt ist. Hier wird nun wirklich nach Äußerlichkeiten kontrolliert und in aller Öffentlichkeit der Rassismus hoffähig gemacht. Auch wer als Deutscher geboren wurde oder längst eingebürgert ist, muss sich wegen seines „untypischen“ Aussehens im Zug immer wieder kontrollieren lassen.

Das signalisiert allen Beteiligten faktisch immer wieder, wie ein „typischer Deutscher“ auszusehen hat und wer eben nicht selbstverständlich dazu gehört. Der Schaden für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist viel höher als der etwaige polizeiliche Nutzen. Zumindest diese Art der anlasslosen Kontrolle gehört abgeschafft. Aber darüber wird bei der Innenministerkonferenz leider nicht diskutiert.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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4 Kommentare

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  • Der Autor dieses Artikels bringt einen wichtigen Vorschlag, dass die verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen diskutiert werden müssen. Das sollte unsere Gesellschaft wirklich tun!

     

    Man sollte die sogenannte Schleierfandung auf Unternehmen ausweiten bzw. bei Unternehmen anwenden!

     

    Gibt es gründe dafür? Gebe es einen Nutzen für die Gesellschaft?

     

    Nehmen wir einfach ein Unternehmen aus Bayern als Beispiel, nämlich Eon.

     

    Milliardenstrafe für die "Ausbeuter". Illegale Absprachen kammen den deutschen Gasversorger Eon und Gas de France teuer zu stehen. Die EU-Kommission verhängte eine Strafe von 1,1 MILLIARDEN EURO.

    http://www.taz.de/!5160153/

     

    Wenn nicht die Europäische Kommission die Strafe auferlegt hätte, sondern eine Behördeninstanz aus Deutschland, dann hätten wir 1 Milliarde an öffentlichen Gelder mehr. Die staatlichen Ausgaben in so einer Höhe hätten allen Menschen in Deutschland zu Gute kommen können!

  • „Der Schaden für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist viel höher als der etwaige polizeiliche Nutzen.“

     

    Das ist der entscheidende Punkt neben den weiteren in diesem Artikel aufgeführten rechtlichen Aspekten.

     

    Die Unschuldsvermutung ist eine der wichtigsten Merkmale eines Rechtsstaates. Rechtsstaatlichkeit prägt das Grundgesetz und ist durch die Ewigkeitsklausel verewigt. In dem „Polizeiland“ Türkei zum Beispiel funktioniert diese gar nicht mehr.

     

    In Berlin hat etwa jeder Vierte Migrationhintergrund. Schleierfandung würde sehr hohe Kosten für den Steuerzahler bringen und die Gesellschaft in Gruppen entzweien.

     

    Was wollen wir haben? Vielfalt und Rechtstaatlichkeit oder Polizeistaat und Diskriminierung?

  • Ich habe eine ernstgemeinte Frage an den Autor. Kontrollen zur Verhinderung unerlaubter Einreise begründen sich doch wie andere Kontrollen auch auf Erfahrungen der Polizei, STatistiken und "common sense". Was schlagen sie denn vor, wie man unerlaubte Einreise verhindern sollte? Mal realpolitisch gesehen, und nicht in der Bubble von linksträumerischer Weltsicht. Alle kontrollieren? Geht nicht. Dazu ist schleierfahndung nicht da. Konkret auf Erfahrung basiert? "Rassistisch" (aber funktioniert.)... Ich werd nicht schlau, bitte um Aufklärung :)

    • @Nö Ne:

      Wenn wir kein Grundgesetz hätten und kein Mitglied der EU wären, dann gebe es kein Problem mit der sogenannten "Schleierfandung". Dann könnten alle Grenzen und Menschen problemlos überwachen überwacht werden. Übrigens gab es Grundgesetz bei uns nicht immer. Es gab einen bestimmten Grund, warum so eine „Verfassung“ bei uns eingeführt wurde. Das hat etwas mit dem Zweiten Weltkrieg und natürlich mit den einhergehenden mit Menschenrechtsverletzungen zu tun gehabt. Und gerade das Land Bayern hat ja gegen die Einführung des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland gestimmt.