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Kommentar Sarrazin-AusschlussverfahrenNotwehr gegen ein Geschäftsmodell

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Für den Islamhasser Sarrazin ist seine SPD-Mitgliedschaft ein Marketingtrick. Konsequent, dass die Partei erneut versucht, ihn rauszuwerfen.

Auch in seinem neuesten Buch, „Feindliche Übernahme“, zieht Sarrazin gegen Werte der SPD zu Felde Foto: dpa

T hilo Sarrazin und die SPD, das hat etwas von „Täglich grüßt das Murmeltier“. Zweimal hat die Partei vergeblich versucht, den notorischen Rechtsausleger und Islamhasser vor die Tür zu setzen. Zweimal ist sie an den hohen Hürden eines Parteiausschlusses gescheitert. Dennoch ist es richtig, dass der SPD-Vorstand nun einen dritten Versuch unternimmt. Wer so klaustrophobisch denkt und spricht wie Thilo Sarrazin, hat in der SPD nichts zu suchen.

Die einst so stolze Sozialdemokratie trat stets dafür ein, dass der Mensch frei und zur Emanzipation fähig ist. So waren die sozialdemokratischen Bildungsreformen der 70er Jahre von der Idee beseelt, dass jeder und jede den Aufstieg schaffen kann, wenn er oder sie gefördert wird. Sarrazins krude Weltsicht, dass Intelligenz im Wesentlichen vererbt wird, spricht diesem Gedanken Hohn. Ginge es nach ihm, bliebe das Migrantenkind aus einer armen, bildungsfernen Familie an seinem angestammten Platz, nämlich unten. Dumm geboren, dumm geblieben, dumm gestorben.

Auch in seinem neuesten Werk, „Feindliche Übernahme“, zieht Sarrazin gegen Werte der SPD zu Felde. Er zeichnet das düstere Bild eines Islam, der die westliche Welt samt ihrer liberalen Werte unterwerfen möchte. Die SPD aber fühlte sich immer der internationalen Solidarität und dem Wert der Arbeit verpflichtet. Deshalb ist sie die politische Heimat vieler Muslime, die in Deutschland hart für die Zukunft arbeiten, für die eigene oder die ihrer Kinder. Sarrazin wertet sie pauschal ab. Die SPD-Spitze darf nicht dulden, dass ein prominentes Mitglied ganze Gruppen diffamiert.

Für Sarrazin ist die SPD-Mitgliedschaft ein erfolgreicher Marketingtrick. Rechte Thesen wirken überraschender, wenn sie ein Mitglied einer Partei links der Mitte vorträgt – siehe Boris Palmer. Sarrazin wurde auch deshalb so bekannt, weil er sich mit seinen dystopischen Überfremdungsthesen gegen die eigenen Leute profilierte. Ein Sozialdemokrat, der gegen Muslime wettert, das triggert den medialen Betrieb – ein CSUler erntete nur Achselzucken. Die SPD hat natürlich das Recht, sich gegen dieses durchschaubare Geschäftsmodell zu wehren.

Eigentlich kann man der SPD-Spitze nur den Vorwurf machen, dass ihre Initiative reichlich spät kommt – und dass frühere Ausschlussversuche am eigenen Dilettantismus scheiterten. Es ist acht Jahre her, dass der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel einen leidenschaftlichen Beitrag verfasste, warum die SPD einen wie Sarrazin nicht dulden dürfe. Sarrazin durfte bekanntlich bis heute Genosse bleiben.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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5 Kommentare

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  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Sarrazins krude Weltsicht, dass Intelligenz im Wesentlichen vererbt wird, spricht diesem Gedanken Hohn."

    Ganz so einfach ist der Sarazin da nicht zu packen, die These nicht so krude wie es der Autor gerne hätte. Dass Intelligenz eine wesentliche genetische Komponente hat, ist sehr plausibel:

    "The heritability of IQ for adults is between 57% and 73%[6] with some more-recent estimates as high as 80%[7] and 86%.[8] Genome-wide association studies have identified inherited genome sequence differences that account for 20% of the 50% of the genetic variation that contributes to heritability.[9]"

    en.wikipedia.org/w...Heritability_of_IQ

    Wofür es nach meinem Kenntnisstand keine ausreichenden Belege gibt, ist eine Variation der durchschnittlichen Intelligenz die mit den Herkunftsregionen der Menschen korreliert ist.

    [7] Plomin, Robert, and Ian J. Deary. "Genetics and intelligence differences: five special findings." Molecular psychiatry 20.1 (2015): 98-108.



    [8] Panizzon, Matthew S., et al. "Genetic and environmental influences on general cognitive ability: Is g a valid latent construct?." Intelligence 43 (2014): 65-76.



    [9] Plomin, Robert (8 January 2018). "The new genetics of intelligence". Nature Reviews Genetics. 19 (3): 148–159. doi:10.1038/nrg.2017.104. PMC 5985927. PMID 29335645. Retrieved 19 January 2018.

  • Welche Partei links der Mitte?

  • So manche Meinung gehört verboten. Natürlich geht das nicht, wenn man auf der Seite der Meinungsfreiheit kämpft, aber man kann demjenigen immerhin das Forum verbieten, ihn mundtot machen. Die SPD arbeitet sich daran ab, mit butterweichen Prinzipien und verlogemer Diskussionsfaulheit. So kommt man in die Schlagzeilen, löst aber das vermeintliche Problem nicht, im Gegenteil.

  • Was wäre, wenn ein SPD-Politiker ein kritisches Buch über die katholische Kirche geschrieben hätte? Müsste man ihn dann auch rauswerfen?

    Religionskritik war mal eine Sache der Linken. Heute sind es gerade Linke, die sich berufen fühlen, ein reaktionäres Hirngespinst wie den Islam vor Kritik zu schützen [...] Darin zeigt sich wieder mal der Tribalismus der postmodernen Linken.

    Kommentar gekürzt. Bitte verzichten Sie auf pauschale Diffamierungen. Danke, die Moderation

    • @Thomas Friedrich:

      Da haben Sie völlig recht. In meiner Wahlheimat gibt es tatsächlich noch eine Antifa Gruppe, die unter Anderem auch Flugblätter mit Überschriften wie "Kein Gott, kein Staat, kein Kalifat" verteilt. Das wird hier kontrovers diskutiert und von vielen Linken garnicht gerne gesehen.

      Meiner Meinung nach hängen viele Reflexe in diesem Bereich auch mit einer ausgeprägten Abneigung gegen alles was westlich ist und mit der Kolonialgeschichte in Zusammenhang gebracht werden kann.