Europawahlkampf in Thüringen: SPDler lädt Sarrazin zu Lesung ein
Der SPDler und Ex-AfD-Mann Oskar Helmerich will mit Hilfe von Thilo Sarrazin AfD-Wähler zurückzugewinnen. Parteikollegen sind entsetzt.
Sarrazin soll aus seinem vor einem halben Jahr erschienenen Buch „Feindliche Übernahme“ lesen. „Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“, lautet der Untertitel dieses von abendländischen Untergangsfantasien beherrschten Werks. Seit 2010 sein erstes Buch „Deutschland schafft sich ab“ erschien, hat die SPD mehrfach vergeblich versucht, ihr ungeliebtes Parteimitglied loszuwerden.
Führende Thüringer SPD-Vertreter kritisierten Helmerichs Einladung heftig. Sie sei ein „unabgesprochener Alleingang“, erklärte Landeschef und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee auf Twitter. „Ich distanziere mich ausdrücklich und scharf von ihm und den islamfeindlichen Aussagen Sarrazins.“
SPD-Innenminister Georg Maier sprach ebenfalls von einem „Alleingang“. Die Landtagsfraktion betonte, die geplante Veranstaltung sei weder mit der Landespartei noch mit der Fraktion abgesprochen.
Helmerich hingegen rechtfertigte die Einladung in der Thüringer Allgemeinen als „Maßnahme, die in das politische Konzept der Thüringer SPD passt, um Wähler zu werben, die zur AfD abgewandert sind“. Eine Parteiausschlussdebatte befürchte er nicht.
Mitbegründer der AfD in Thüringen
Die Einladung Sarrazins ist besonders brisant, weil der Anwalt Oskar Helmerich einer der Mitbegründer der AfD in Thüringen war. Als Antwort auf den Rechtstrend seiner Partei verließ er 2015 gemeinsam mit zwei weiteren Abgeordneten die AfD-Landtagsfraktion. Ein Jahr später trat er dann der SPD und ihrer Fraktion bei.
Seit im April 2017 die SPD-Abgeordnete Marion Rosin zur CDU wechselte, sichert Helmerichs Übertritt rot-rot-grünen Koalition in Thüringen die schmale Mehrheit von gerade mal einer Stimme im Landtag. Oppositionsführer Mike Mohring (CDU) wies darauf in der Debatte um die Sarrazin-Einladung ebenso genüsslich hin wie der AfD-Landessprecher Torben Braga. CDU-Fraktionssprecher Karl-Eckhard Hahn fragte, ob die Thüringer SPD Helmerich jetzt „die Scheidungsurkunde ausstellt“ und mutmaßte eine „erkaltete Liebe“ zum ehemaligen AfDler.
Wolfgang Tiefensee, SPD
Die aus Thüringen stammende Grünen-Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt regte statt der Lesung eine kritische Diskussion an. „Aber es schadet allen Demokraten, wenn Rassisten ein Bühne geboten wird, und vor allem schadet es denen, über die der Autor herzieht und mit denen wir friedlich zusammenleben wollen“, schrieb sie.
Der Thüringer Grünen-Fraktionsvorsitzende Dirk Adams richtete eine mahnende Botschaft an die SPD und forderte Klarheit. „Ein solcher ‚Wahlkampftermin‘ ist eine schwere Belastung für die Koalition von R2G“, erklärte er. Einige Stimmen auf Twitter unterstellten Helmerich gar, weiterhin ein „U-Boot“ der AfD zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen