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Kommentar Sächsische VerhältnisseArbeit am Gewissen der Mitte

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

Unsere Gesellschaft zeigt ihre Erbärmlichkeit in ethischer Orientierungslosigkeit. Das zu ändern, ist nicht allein Aufgabe der Politik.

Die Schutzsuchenden sind hier. Das Abendland kann jetzt seine zivilisatorische Reife zeigen Foto: dpa

D resden zeigt, wie es geht, ruft Lutz Bachmann jeden Montag den Pegida-Jüngern zu. Und Sachsen zeigt, wie es geht, wie Pogromstimmung geschürt wird, wie aus der Mitte des Volkes Volksterror wächst. Zuletzt das Dörfchen Clausnitz und das altehrwürdige Bautzen.

Die vielen Heimatvertriebenen, die bei uns ein menschenwürdiges Leben suchen, haben diesem so genannten christlichen Abendland die Maske vom Gesicht gezogen. Im Scheitern angesichts der Herausforderung des Flüchtlingszustroms, im Versuch der festungsartigen Abschottung gegen vermeintlich exogene Krisenherde offenbart sich die Erbärmlichkeit einer ethisch orientierungslosen Gesellschaft.

Sobald die einzig verbliebene Klammer eines mehr oder weniger üppigen materiellen Wohlstands bedroht ist, wirft das gewöhnliche Volk genau jene Werte über Bord, die es angeblich verteidigen will. Dann brennen Häuser, dann werden stammesfremde Menschen bedroht, dann brechen sich primitive Instinkte Bahn.

Sachsens christlicher Innenminister Markus Ulbig ahnt etwas und spricht von der „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“, diesen Hass aus den Köpfen zu vertreiben. Politiker werden das nicht schaffen. Auf die Köpfe, auf die es ankäme, haben sie keinen Einfluss mehr.

Deutliche Positionierung

Wer wie Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zwischen AfD-nahen Positionen und entschiedener Verurteilung menschenverachtender Exzesse laviert, muss sich darüber auch nicht wundern. Die AfD wiederum, zu der sich ein wachsender Teil der Haltlosen hingezogen fühlt, schweigt zum menschenverachtenden Mob.

Die Arbeit am Gewissen beginnt in der Mitte, in den „Kleinen Lebenskreisen“, wie Kurt Biedenkopf einst die eher biedermeierlichen Milieus bezeichnet hat. Kein Aufstand, aber eine deutliche Positionierung der Anständigen auch gegenüber Nachbarn und Kollegen. Zeigen, dass zumindest eine Mehrheit noch an Werte glaubt. Die gern sich empörenden Eliten tragen ebenfalls Verantwortung. Die Flüchtlingsfrage wird zum Testfall, ob von den aufklärerisch-zivilisatorischen Errungenschaften noch etwas geblieben ist, ob das alte Europa in seiner Substanz noch etwas taugt.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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16 Kommentare

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  • Nach all den Berichten über die rassistischen Ausfälle von Bevölkerungsteilen in Sachsen und anderswo, kommen mir diese Leute wie Zombies vor. Fremdgesteuerte Typen, rechte Augenhöhle ohne Durchblick, die mit dumpfen Gegröle, Arme schwenkend auf den Rest der Bevölkerung zu laufen, dass diese angewidert die Flucht ergreifen. Dabei merken sie nicht, dass sie die nützlichen Idioten für ihre AnführerInnen Höcke, v. Storch, Petry und Konsorten sind, um diese auf lukrative Abgeordneten Posten zu hieven mit Monatseinkommen in der Größenordnung von sechs- bis achttausend Euro plus Zulagen zur Altersversorgung, ca. 1600 Euro plus Bürozuschüsse. Dazu gibt es noch eine Wahlkampfkostenerstattung pro Wählerstimme. Pikant ist, dass diese finanzielle Unterstützung an die Parteien für ihre Tätigkeit im Rahmen des demokratischen Staatsaufbaus gewährt wird.

    Da, wo es sich lohnen würde, zu protestieren, wäre die Aufforderung an die Politik, endlich diese unsäglichen Schlupflöcher der Steuervermeidung multinationaler Unternehmen wie IKEA, Starbucks, Amazon, McDonald’s, Apple etc. zu schließen. Dies würde dem deutschen Staat jährlich bis zu 80 Milliarden Euro zusätzlich einbringen. (Quelle DIW) Gelder, die sinnvoll für alle Bürger verwendet werden könnten. Die brutale Rentenkürzung auf 43 % und geplante Verarmung von ganzen Bevölkerungsschichten wären damit überflüssig. Gleiches gilt für die unaufhaltsame Verteilung der Vermögen von unten nach oben. Ein Prozent der Deutschen besitzen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung. (Quelle ISW München, 18.02.2015). Da sollten die Kosten für Flüchtlinge „Erdnüsse“ dagegen sein.

  • Nicht verallgemeinern, Deutschland ist im Vergleich zu den Nachbarn ein Land des Willkommens. Um die Lage zu entschärfen muss man alles in geordnete Bahnen lenken.

    • @Ansgar Reb:

      Nicht relativieren!

       

      Deutschland hat aus seiner Mitte heraus das Potenzial, Millionen unschuldige Menschen zu vernichten, wie vor >70 Jahren bewiesen wurde. Es ist dies nicht als singulärer Fehltritt einer ansonsten integren Volkseele zu verstehen. Es ist der verdrängte, permanente Schatten.

  • Ich stimme Michael Bartsch zu. Wie überhaupt jede praktische Arbeit, wird auch die Arbeit am Gewissen dieser Nation vor allem an der Basis geleistet werden müssen. Da, wo echte Beziehungen bestehen zwischen echten Menschen. Da, wo Verlässlichkeit wirklich erlebbar ist und Vertrauen begründet - oder nicht.

     

    Dass sich viele Menschen ekeln vor der Biedermeierlichkeit der Milieus, denen sie selbst entstammen, verstehe ich. Niemand geht voller Begeisterung da hin zurück, wo er vor Jahren scheiterte. Man hat schließlich nicht umsonst alle Brücken abgebrochen hinter sich.

     

    Das alte Leben war einem zu eng. Eng ist es immer noch. Wahrscheinlich sogar enger. Man selbst ist ja gewachsen mittlerweile. Nur Mut also. Man kann auch besser scheitern. Immer noch besser, als wenn die Parallelweltensich endgültig stabilisieren und vollständig abschotten.

     

    Ja, es kann sein, dass sich "primitive Instinkte Bahn [brechen]", wenn man versucht, aufzuklären. Dann hat man sich nicht tief genug hineinversetzt in den, der einem gegenüber steht. Man hat seine Probleme nicht verstanden. Kein Mensch hat gerne Schwierigkeiten. Kein Mensch ist tatsächlich ins Scheitern verliebt. Wenn es den Progressiven gelingt, die Loser politisch zu qualifizieren, erreichen sie gleich zweierlei: Sie müssen, erstens, nicht mehr ganz alleine kämpfen und, zweitens, nicht mehr gegen viel zu viele ihrer eigenen Leute.

     

    Die "gern sich empörenden Eliten" dürfen mir gerne beweisen, dass sie nicht länger auf der falschen Seite stehen. Im Augenblick erwarte ich noch nichts von ihnen. Sie hatten ihre Chance. Sie haben sie erkennbar nicht genutzt. Das ererbte "Tafelsilber", die "aufklärerisch-zivilisatorischen Errungenschaften" haben sie nur meistbietend verhökert.

    • @mowgli:

      Psychologie liefert keine Rechtfertigung für Hass und kann gesellschaftliche Verwerfungen nicht reparieren.

       

      Die Bevölkerung spaltet sich. Die Fraktionen radikalisieren sich. In einigen Jahren wird man sich nur noch für Recht oder Rechts entscheiden können, dazwischen wird es nichts mehr geben. Besser, man tut es schon jetzt, zeigt klare Kante und bekennt sich zu konsequenten Maßnahmen. Denn das rechte Spektrum wird sich nicht bei Onkel Freud auf die Couch legen.

  • Dort scheinen ja Verhältnisse zu herrschen, denen man mit Gründen und Widerlegungen nicht beikommt.

     

    Es gibt wohl wenig Hoffnung: Man widerlegt eine Krankheit nicht.

    • @H.G.S.:

      Dort? Hm. Haben Sie jemals Äsops Fabel vom Fuchs und den Trauben gelesen, werteR H.G.S.?

       

      Bangemachen gilt nicht! Sie wollen doch wohl nicht als Drückeberger dastehen, oder? Also nur Mut: Ran an den Speck... - äh: an die sogenannte Mitte. Gern auch an ihr unteres Ende. Sie sollen keine Krankheit widerlegen. Sie sollen heilen. Also quatschen Sie nicht bänglich rum, sondern fassen Sie zu und teilen Sie!

      • @mowgli:

        Als ob Äsop es jemals mit Nazis zu tun gehabt hätte.

      • @mowgli:

        -?-"Sie sollen heilen" und "Fassen Sie zu"-?-

        ----

        Ähm-, Sie sitzen gerade beim Damenkränzchen und trinken lustig weg, viel süßen Likör? Wenn Ihr Blick wieder klarer geworden ist, finden Sie im Taz-Artikel, das von Ihnen nachgefragte "Dort?"

        unter folgenden Stichworten: „Dresden, Clausnitz, Bautzen, Sachsens christlicher Innenminister, Sachsens Ministerpräsident und Kurt Biedenkopf“

         

        Ich kann zwar nicht heilen, aber Aspirin bekämen Sie in der Apotheke.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    "Sobald die einzig verbliebene Klammer eines mehr oder weniger üppigen materiellen Wohlstands bedroht ist, wirft das gewöhnliche Volk genau jene Werte über Bord, die es angeblich verteidigen will."

     

    Genau darauf kommt es an. Es gibt zwei neuralgische Punkte, das Sicherheitsgefühl und der Wohlstand. Tastet man diese Punkte an verliert man jegliche Zustimmung bei der Masse. Und genau hier versagt die Politik jämmerlich. Durch das bloße Beschwören von Werten vermittelt man die unterschwellige Botschaft Sicherheit und Wohlstand würden wissentlich geopfert. Auf der Welle surfen die Rechtspopulisten und das ist das was auch die gemäßigten in der Mitte zum Umschwung bewegen kann.

     

    Es tut mir leid, dämlicher kann man Politik nicht betreiben. Oder frei nach Merkel und Käsmann: "Wer Angst vorm Islam hat sollte beten gehen" (hilft das?).

    Schlimmer noch, es wird noch empfohlen "sich an Terrorattacken zu gewöhnen" und die Kriminalität einiger Weniger im Namen der Werte hinzunehmen. Man kann die Leute auch darum anbetteln ihr bisheriges Wahlverhalten noch einmal zu überdenken...

     

    So etwas als linke Politik zu bezeichnen ist Hohn und Spott. Linke Politik war einmal cleverer, das bloße Beschwören von diffusen Werten ist nur noch dogmatisch und stumpfsinnig. Wir verlieren zusehends die Zustimmung und das liegt an unserer selbst auferlegten Handlungsunfähigkeit. "Weiter so" geht nur so lange es eine breite Zustimmung gibt und diese wird zunehmend bröckeln wenn die Werte des kleinen Mannes "Wohlstand und Sicherheitsempfinden" weiter unberücksichtigt bleiben. Erfolgreiche Politik moderiert, dogmatische Politik diktiert alte Rezepte.

     

    Clausnitz ist die aufplatzende Eiterbeule der Krankheit "Angst und Verunsicherung". Diese Krankheit wird derzeit nicht bekämpft sondern genährt. Wer das nicht versteht dem bleibt nur dazustehen und nach der Polizei zu rufen...

    • @32795 (Profil gelöscht):

      Sicherheit und Wohlstand sind keine Werte an sich. Beides wird erst im Verhältnis sichtbar.

       

      Vermutlich ist das der Grund dafür, dass die meisten wohlhabenden westdeutschen Großstädter sich bislang noch vornehm zurückhalten auf den Straßen und vor den Flüchtlingsheimen dieser Republik, obwohl ihre Moral kein Stück belastbarer ist als die der tumben Hinterwäldler aus der sächsischen Provinz. Die einen fühlen sich einfach sicherer und wohlhabender als die anderen, während sich die anderen ärmer und verunsicherter fühlen.

       

      Man vergleicht sich halt mit Leuten, die einem ähnlich zu sein scheinen. Dass irgendwo im Südsudan jemand noch ärmer ist als der durchschnittliche Hartz-IV-Empfänger hierzulande, hilft niemandem. Vor allem niemandem, der schon vor Jahren seine übersteigerten Vorwende-Hoffnungen darauf, im goldenen Westen wer zu werden, im akkurat eingezäunten Vorgarten begraben hat.

       

      Wenn es der selbsternannten Linken dieses Landes nicht bald gelingt, diesen Leuten halbwegs realistische Hoffnungen zu geben, sehe ich schwarz. Beziehungsweise braun.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Sehr guter Posting. Der Satz

         

        "...die meisten wohlhabenden westdeutschen Großstädter sich bislang noch vornehm zurückhalten auf den Straßen und vor den Flüchtlingsheimen dieser Republik, obwohl ihre Moral kein Stück belastbarer ist als die der tumben Hinterwäldler aus der sächsischen Provinz. Die einen fühlen sich einfach sicherer und wohlhabender als die anderen, während sich die anderen ärmer und verunsicherter fühlen."

         

        bringt's auf den Punkt.

        • @10236 (Profil gelöscht):

          "auf den Punkt bringen",

          tun´s doch eigentlich nur nüchterne Fakten? Die gibt´s im Zusammenhang mit obigem Taz-Artikel in erdrückender Anzahl.

           

          Aber in @Mowglis Beitrag ist leider nur von sowas wie - "vornehmer Zurückhaltung" und- "fühlen sich einfach"- die Rede. Und dass @Mowglis Beitrag mit „Vermutlich“ anhebt, haben Sie erst garnicht mit aufgeführt bzw. nicht mit kopiert.

           

          Dafür, dass Sie ansonsten jedesmal auf begrüßenswerte Weise, mit nüchternen Zahlen zu operieren verstehen, wundert man sich, über Ihr hier konkretes Ja rufen, zu einer Mutmaßung, für die man doch bitte Belege (Ihre Welt der gesicherten Zahlen) haben möchte?

    • @32795 (Profil gelöscht):

      -?-"So etwas als linke Politik zu bezeichnen"-?-

      ----

      An welcher Stelle Ihres Beitrages denn, taucht " linke Politik" auf??

      • @H.G.S.:

        Das war ja der "Witz". Nicht kapiert? Da ist noch gar keine "linke Politik". Die muss erst noch erfunden werden. Man hat vergessen, dass es einmal Räder gab. Das rächt sich nun.

        • @mowgli:

          Über "Witze kapieren" sollen, sollten Sie vll. vorher, mal gründlicher nachdenken?

           

          @sfischers Text nochmal, ganz einfach, auf die von mir angesprochene Lücke abzusuchen, ist Ihnen wohl zu anstrengend?