Kommentar SPD vor der Europawahl: Macht geht vor Debatte
Die SPD hätte angesichts der rechten Regression der Union gute Voraussetzungen bei der Europawahl. Allerdings nur auf den ersten Blick.
D ie SPD vor der Europawahl erscheint wie ein Vexierbild. Schaut man geradeaus sieht man: eine Spitzenkandidatin, die unangestrengt das Europäische verkörpert. Katharina Barley kann das Reflexive besser als Bierzelt und Parteiprosa – und passt damit in die Zeit. Der Aufstieg der Rechtspopulisten beschert der SPD ein dankbares Feindbild und sinnstiftendes Selbstbewusstsein. Und die zentralen Forderungen – europaweite, regional angepasste Mindestlöhne und Besteuerung von Digitalkonzernen – sind einleuchtend. Die EU darf nicht bloß der deutschen Exportindustrie und gut Ausgebildeten nutzen.
Zudem ist in Berlin die Post-Merkel-Zeit angebrochen. Kramp-Karrenbauer ist europapolitisch, freundlich gesagt, ohne Ehrgeiz. Der neue Junge-Union-Chef wirkt wie ein Zeitreisender, den es aus den 70er Jahren nach 2019 verschlagen hat. Auf der Folie der rechten Regression der Union wirkt die SPD strahlend.
Wenn man dieses Bild etwas kippt, sieht die Sache anders aus. Ist der Linksschwenk der SPD dauerhaft ist oder nur ein aus Not geborenes rhetorisches Manöver? Andrea Nahles umjubelte Ankündigung, die SPD werde bei der Grundrente keinen Kompromiss mit der Union eingehen, schürt die Zweifel eher. Denn genau das wird die SPD schon bald tun – es sei denn sie jagt die Große Koalition in die Luft. Und das will niemand in der Parteispitze. Auch Udo Bullmanns Versprechen, nach der Europawahl nicht wie üblich im Hinterzimmer eine Große Koalition mit der EVP auszudealen, (falls es dazu noch reicht) kann man glauben – oder auch nicht.
Zweifel schürt auch die gespenstisch geräuschlose Art wie der Parteikonvent Olaf Scholz kalte, skeptische Realpolitik in Sachen Digitalsteuer und die hochfliegenden Ziele der Partei in Formelkompromissen verbuddelte. Es gab darüber noch nicht mal eine Debatte. Der Konvent war eine halbe Stunde früher als geplant zu Ende.
Stimmt schon: Eine scharfe Kontroverse mit dem Finanzminister über die Digitalsteuer wäre als Wahlkampfauftakt suboptimal gewesen. Aber das ist die Logik einer Regierungspartei: Macht geht vor Debatte. Skeptische Ex-SPD-WählerInnen gewinnt man so kaum zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung