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Kommentar Russlands NGO-GesetzAngst vor der Freiheit der Anderen

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Das Gesetz über „unerwünschte Organisationen“ bedroht die Zivilgesellschaft. Auf dem Spiel steht jedoch mehr: der Anstand.

Demonstration für freie Meinungsäußerung im November in Moskau. Foto: dpa

R ussland schottet sich in rasantem Tempo weiter ab. Am Wochenende unterzeichnete Präsident Wladimir Putin das Gesetz über „unerwünschte Organisationen“, das ausländischen NGOs in Russland jederzeit die Arbeit verbieten kann. Illusionen sind fehl am Platze. Ein für allemal will Moskau den Kontakt zu Initiativen kappen, die sich Freiheit und Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Doch nicht der Westen in toto ist Adressat. Kontakte zu rechtspopulistischen und faschistoiden Einrichtungen baut Moskau zielstrebig aus. Auch antieuropäische Meinungsmacher erfahren stete Aufmerksamkeit und Förderung.

Tatsächlicher Gegner des Gesetzes ist Russlands Zivilgesellschaft. Es ist die Angst vor der Freiheit der Anderen, die den Kreml treibt. Die Furcht vor einem Subjekt, das sich Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt und den Mut auch im Angesicht erdrückender Übermacht nicht verliert. Das treibt die machthabenden Zyniker um.

Doch in Russland steht längst Zivilität als solche auf dem Spiel. Nach der Niederlage im Eishockey WM-Finale verließ das russische Team das Feld noch vor dem Abspielen der Hymne des kanadischen Siegers. Ein Minimum an Regeln wird nicht mehr eingehalten. Demnächst könnte als Verräter gelten, wer dem Sieger noch Achtung erweist, meinte einer der wenigen schockierten Beobachter.

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Eishochey WM-Finale

Die russischen Spieler verlassen das Feld.

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Vor dieser Entwicklung ist das Einreiseverbot des CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann zwar eine unschöne Geste, aber nicht viel mehr als eine Retourkutsche für westliche Sanktionen. Auch russische Politiker müssen in der EU und den USA vorerst draußen bleiben. Im russischen Rechtsverständnis, das auf der Prämisse des ewigen Opferstatus fußt, ist dies nichts anderes als die Wiederherstellung von Gerechtigkeit. So erklärt sich Russland auch die Annexion der Krim. Da treffen zwei Welten aufeinander, die mehr trennt als nur abweichende Rechtsauslegungen.

Zugegeben, darüber müsste man reden. Wellmanns Ausschluss ist – wenn kein bürokratisches Versehen – jedoch ein Signal: kein Bedarf an Gesprächsaufnahme.

Vielleicht sollte Europa den Wunsch ernst nehmen und sich mal zurückziehen. Ewig betteln versaut die Haltung. Bis der Nasenring schmerzt, an dem China den Bären durch die Manege dirigiert.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.
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4 Kommentare

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  • Mal ein Gegenbeispiel: In München sitzt ein Ableger des ukrainischen "rechten Sektors", in Kairo gibt es eine Filiale der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Und in den USA sind die Gesetze für ausländische NGO's auch so zwanghaft, womit sich Putin herausredet.

     

    Es hat zumindestens was logisches, dass in einem riesen Land wie Russland die oberen Kontrollieren wollen, was bei ihnen passiert.

     

    Ausserdem habe ich woanders gelesen, dass es in Russland nicht so stark um Individualrechte, Putin sprach sogar mal von einer "liberalen Zensur" bei Homorechten und anderen humanistischen Errungenschaften, sondern offenerere Interessenpolitik geht.

     

    Ich find den Artikel nicht gut, weil das Ableiten vom Verhalten einer Eishockeymann auf die gesamtrussische Rechtssprechung schon was von einem Horoskop hat, das ist wie von Hillary Clintons Garderobe auf die Aussenpolitik zu schließen, solche Macken westlicher Journalisten lese ich nicht gern - und nebenbei bleibt die These dass Russland "immer" "Opfer" ist und "Gerechtigkeit" sucht... unbewiesen.

     

    Es wäre nett, wenn einige Literaturangaben so eine Meinung unterstützen, wenn ich einen schlechten Tag hab, neige ich selbst dazu, die Meinungen einiger Redakteure widerzugeben und stehe dann blöd da, bei einem Ansatz von nachfragen.

  • Warum begreifen Länder wie Russland nicht, dass sie sich damit ganz fürchterlich selbst ins Knie schießen? Das einschränken der Zivilgesellschaft hat noch nie etwas Gutes bewirkt. Ganz im Gegenteil hängt es sich damit im internationalen Vergleich selbst ab. Dieses Gesellschafts Modell ist total unattraktiv, um intelligente Menschen und Unternehmen zu halten bzw. anzulocken. Gerade im internationalen Wettbewerb verlieren diese Länder als erstes.

  • "Ein Minimum an Regeln wird nicht mehr eingehalten. Demnächst könnte als Verräter gelten, wer dem Sieger noch Achtung erweist, meinte einer der wenigen schockierten Beobachter."

     

    Ein solches Land sollte keine Sportlichen Großereignisse ausrichten dürfen. Die Fußball WM 2018 muss verlegt oder boykottiert werden. Leider ist Blatter ein Putinist, wie er im Buche steht. Daher: UEFA raus aus der FIFA!

    • @Dhimitry:

      Blatter ist nur die korrupte Spitze eines Eisberges. In der Tat wäre es vermutlich nie zu einer Vergabe der WM an Russland oder Katar gekommen, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre.