Kommentar Regierungsbildung in Italien: Schwachbrüstig gen Brüssel brüllen
Die Italiener haben bei der Wahl auf zwei populistische Parteien gesetzt. Wollen die rechte Lega und die 5 Sterne zusammen regieren, wäre es ein Seiltanz.
N och ist der Regierungspakt zwischen dem Movimento5Stelle (M5S) unter Luigi Di Maio und Matteo Salvinis rechtspopulistischer Lega nicht in trockenen Tüchern. Noch könnte das Übereinkommen auf der Zielgeraden scheitern, am Personaltableau und vorneweg an der Frage, wer denn nun Ministerpräsident werden soll.
Wenigstens in den Sachfragen, so scheint es, sieht keine der beiden Parteien unüberwindbare Hindernisse. Italien könnte so zum zweiten Mal seit 1994 zum politischen Laboratorium werden. Damals wurde Silvio Berlusconi Regierungschef und Europa schaute mit einer Mischung aus Befremden, Entsetzen und auch ein wenig Amüsement nach Rom.
Diese Reflexe dürften sich jetzt wiederholen. Schließlich steht erstmals in Westeuropa eine Regierung ins Haus, die ausschließlich von Parteien des Anti-Establishment-Protests gebildet wird. Auf der einen Seite steht das vom Komiker Beppe Grillo gegründete M5S, das „die Bürger“ gegen die aus seiner Sicht korrupten und unfähigen Altparteien vertreten will. Und auf der anderen Seite ist da die Lega, die unter Salvini den Zusatz „Nord“ aus ihrem Namen gestrichen hat. Eine Partei, die sich nach dem Vorbild des französischen Front National als stramm rechtsnationalistische Kraft gegen Immigranten, gegen die EU, für die brav arbeitenden Italiener aufgestellt hat.
Dass es so weit kommen kann, entspricht durchaus der Protestlogik, die am 4. März bei den Parlamentswahlen zum Tragen kam: 32,7 Prozent der Italiener stimmten für das M5S, 17,4 Prozent für die Lega – eine absolute Mehrheit also für Parteien, die alles neu, alles anders zu machen versprechen.
Fantasieversprechungen nach Nord und Süd
Was aber würde neu und anders? Steuern, Sozialleistungen, Immigranten, Europa: Dies sind die Kapitel, bei denen sich Di Maio und Salvini zusammen raufen müssen. Die Lega hat im Wahlkampf eine Flat tax, einen einheitlichen Einkommensteuersatz von 15 Prozent zu einem ihrer zentralen Versprechen gemacht und damit vor allem im Norden des Landes Stimmen abgeräumt. Das ist für die Bezieher mittlerer und hoher Einkommen durchaus attraktiv – mit dem kleinen Problem allerdings, dass der Spaß schon bei einem Steuersatz von 23 Prozent staatliche Mindereinnahmen von 40 Milliarden Euro jährlich bedeuten würde.
Milliardenschwer würde die Belastung des Staatshaushalts auch durch jene Kernforderung, mit der das M5S seinerseits vor allem im Süden Italiens triumphieren konnte: das „Bürgereinkommen“. Recht besehen handelt es sich da keineswegs um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern um eine Arbeitslosensicherung, die bei 780 Euro monatlich liegen soll. Die vorsichtigsten Schätzungen sehen hier Kosten von etwa 15 Milliarden Euro jährlich.
Schon ein Einstieg in diese beiden Reformen hat das Zeug, sofort einen Konflikt mit Brüssel über die Defizitziele Italiens zu eröffnen. Konfliktbereitschaft ist bei den beiden potentiellen Regierungsparteien durchaus da, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Die Fünf Sterne haben schon im Wahlkampf ihre Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro aufgegeben, Di Maio verkündete sogar: „Unser Haus ist Europa“. Ein Europa allerdings, in dem eine Fünf-Sterne-Regierung härter als ihre Vorgänger verhandeln wolle. Salvini dagegen zog mit der Forderung in den Wahlkampf, perspektivisch einen mit anderen europäischen Partnern abgestimmten Ausstieg aus dem Euro anzustreben. Und die Defizitziele? Die müsse Italien zur Not ignorieren.
Eine radikale Wende versprechen beide Parteien auch bei der Einwanderungspolitik. Revision des Dublin-Abkommens, deutliche Beschleunigung der Asylverfahren, schnelle Abschiebung von Migranten ohne Aufenthaltstitel sind die Stichwörter, auf die sich M5S und Lega wohl einigen können.
Merkel und Macron ginge ein Partner verloren
Rhetorisch lassen so M5S und Lega sowohl bei der Fiskalpolitik als auch auch bei der Einwanderung die Muskeln Richtung Brüssel spielen – doch ein Drehbuch für die mögliche Konfrontation in Europa ist nicht zu sehen. Sicher ist nur, dass sowohl Emmanuel Macron als auch Angela Merkel mit einem Kabinett Di Maio-Salvini ein möglicher Partner verloren ginge. Der Rest hängt an der Frage, wie weit die neue Regierung in Rom zu gehen bereit ist. Und diese Frage stellt sie vor ein kräftiges Dilemma.
Das Dilemma nämlich, ob sie sich zu Hause tatsächlich als Regierung des radikalen Neuanfangs inszenieren und auch teure Wahlversprechen schnell angehen will. Das Risiko liegt auf der Hand. Ein Frontalzusammenstoß mit der EU dürfte „die Märkte“ hellhörig werden lassen, könnte den Zinsabstand zu Deutschland, schnell von gegenwärtig 1,3 Prozent auf 5 oder 6 Prozent treiben. Das würde die Regierung als Ursache von Chaos und Niedergang dastehen lassen, die Wirtschaft erschüttern und Europa in eine schwere Krise schlittern lassen.
Als Alternative bliebe der Weg des vorsichtigen Einstiegs in die Reformen – , ein kleines bisschen Steuersenkung, ein kleines bisschen Grundsicherung. Das ließe sich womöglich mit der EU-Kommission abstimmen. Aber auch mit den eigenen Wählern? Die könnten sich schnell verraten sehen – im Süden Italiens waren geradezu messianische Erwartungen mit dem Votum für die Fünf Sterne verbunden. Dem Triumph könnte so schnell der Kater folgen. Sowohl Di Maio als auch Salvini steht ein wahrer Seiltanz bevor.
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