Kommentar Reform der Pflege: Erst pflegen, dann zahlen
Eine bizarre Vorstellung der schwarz-gelben Regierung, die Pflegeversicherung privatisieren zu wollen - und die Pflegenden dann auch noch auf den Kosten sitzen zu lassen.
D as ist sehr schön, dass die neue Familienministerin von der CDU die Dringlichkeit erkennt, mit der pflegende Angehörige beruflich entlastet werden müssen.
Die gängigen demografischen Daten mögen noch so umstritten sein - drei parallele Entwicklungen verschärfen die Lage der Pflege eindeutig: Erstens wächst der Anteil der Pflegebedürftigen an der Bevölkerung, zumindest solange Alzheimer und Co medizinisch noch nicht im Griff sind. Zweitens schrumpft der Anteil der potenziell Pflegenden; denn es gibt immer weniger "Nur-Hausfrauen", die in die Betreuung der Alten einsteigen, kaum dass die Kinder aus dem Haus sind. Stattdessen - Stichwort Rente mit 67 - werden immer mehr Menschen lange lohnarbeiten müssen, ergo nicht für Eltern und Schwiegereltern da sein. Drittens ist die Pflegeversicherung weiterhin krass unterfinanziert, daran hat die "Reform" von 2007 nur wenig geändert.
Doch welche Folgerung zieht nun Kristina Schröder daraus? Sie schlägt vor, dass Pflegende für drei Viertel ihres Lohns auf eine halbe Stelle gehen, um später für drei Viertel wieder Vollzeit zu arbeiten. Für CDU-Verhältnisse ist dies insofern ein Fortschritt, als die Union sich noch 2007 gegen jede Unterstützung Pflegender gestemmt hat, sofern dies deren Arbeitgeber betroffen hätte. Setzt Schröder sich durch, müsste ein Arbeitgeber immerhin eine - igitt - Teilzeitstelle einrichten.
Ulrike Winkelmann ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.
Doch was Schröder für den Pluspunkt ihres Vorschlags hält, ist in Wirklichkeit sein größter Mangel: Steuergeld ist nicht dafür vorgesehen. Es ist eine bizarre Vorstellung der schwarz-gelben Regierung, die Pflegeversicherung privatisieren zu wollen - und die Pflegenden dann auch noch mit den Kosten ihres Arbeitsausfalls allein zu lassen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis klar war, dass weibliche Berufstätigkeit die Kindererziehung zu einer gesellschaftlich mitzufinanzierenden Aufgabe macht. Es darf keinesfalls ebenso lange dauern, bis dies auch für die Pflege gilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“