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Kommentar Reaktionen auf BeckRette sich, wer kann

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Nach Volker Becks Amtniederlegung sind viele Grüne schnell auf Distanz gegangen. Doch diese Vorsicht wirkt wenig souverän.

Volker Beck auf einer russischen Demo für die Rechte Homosexueller, 2006. Foto: dpa

P arlamentarier müssen weder leuch­tende Vorbilder sein noch einen moralisch besonders anspruchsvollen Lebenswandel vorweisen können. Das ist eine Erwartung, der etwas Vordemokratisches anhaftet. In diesem Weltbild ist der oder die Abgeordnete Repräsen­tantIn einer tadellosen staatlichen Autorität, der Obrigkeit.

Wahrscheinlich sind Abgeordnete so, wie das politische Geschäft organisiert ist, als Moralhelden sogar besonders wenig brauchbar. Wie Schauspieler oder Börsenmakler stehen sie unter enormem Druck. Das fördert in der Regel eher unerfreuliche als angenehme Eigenschaften. Wer auf dieser Bühne dauerhaft mitspielen will, braucht Ellenbogen, Narzissmus, gute Nerven. Und: Politik macht anfällig für Sucht, vor allem nach öffentlicher Aufmerksamkeit.

Andererseits haben Parlamentarier eine besondere Pflicht zur Gesetzestreue. Denn sie selbst machen die Gesetze. Daher sollten sie sich auch bitte daran halten.

Dass sich der Grüne Volker Beck in seiner dürren Erklärung rühmt, stets eine liberale Drogenpolitik vertreten zu haben, ist keine kluge Taktik – jedenfalls, wenn es wirklich um Crystal Meth geht. Er setzt eher auf rabiate Vorwärtsverteidigung als auf Gesten der Zerknirschung. Aber für Urteile ist es zu früh.

Wir wissen nicht, ob Beck gelegentlich harte Drogen nimmt oder ob er abhängig ist. Wir wissen nicht, ob er regelmäßig ein kriminelles Milieu finanziert hat oder nur mal etwas ausprobieren wollte. Bei Drogenmissbrauch kommt es aber genau darauf an.

Manche Grüne sind ziemlich schnell auf Distanz zu Beck gegangen. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Wahlkampf, sieht ein „schweres Fehlverhalten“ – das, wie er betont, keineswegs typisch für die Grünen sei. Offenbar hat Kretschmann das Desaster des letzten Bundestagswahlkampfs vor ­Augen, als die Partei lange keine brauchbare Haltung zu den Pädophilie-Vorwürfen fand. Also lieber sofort auf Distanz gehen – und ja die Assoziationskette Pädosex–Drogen–Grüne–Berlin vermeiden, die in Schwarzwalddörfern womöglich für Verstörung sorgen könnte.

Diese Vorsicht wirkt wenig souverän. Sie unterschätzt die Fähigkeit der Gesellschaft zu Differenzierung und Selbstaufklärung. Und sie hat angesichts der vagen Faktenlage etwas Übereiltes.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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10 Kommentare

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  • Dass einige Grüne sofort auf Distanz gehen, ist ohne Zweifel schäbig. Ich frage mich nur, warum Beck so schnell zurück trat. Was war sein persönlicher Grund ? Der Partei nicht zu schaden setzt voraus, dass er selbst moralische Ansprüche an sich stellte oder seine Überarbeitung mit dem Drogenfund einen persönlichen Dammbruch forderte, der von ihm nur mit einer Droge bisher aufgehalten werden konnte (Abhängigkeit nur vermutlich).

    Ist es vll so, dass Beck die Einschätzung von Herrn Reinecke über die geforderte Entmoralisierung von Politikern so jetzt gar nicht (mehr) teilen würde ?

    Für eine Liberalisierung von Drogen kann man auch sein, wenn man, um seinen Alltag bestreiten zu können, darauf angewiesen ist. Ein Beck nach dem Rücktritt könnte demnach ein ganz anderer als zuvor sein. Im Fall des dauernden Gebrauchs einer euphorisierenden Droge, unter deren Einfluss Mitmenschen schnell mal überfahren werden, kann ich die Ablehnung des Konsums nicht als vordemokratisch abtun und ich halte diese Freiheit für die komplette Fehlinterpretation von Demokratie.

    Was in V. Beck vorging/-geht werden wir evtl später von ihm noch erfahren, aber es könnte durchaus dem entgegen laufen , was der Artikel vermitteln will. Diese sehr generalisierte Einschätzung halte ich für verfrüht.

  • "Parlamentarier müssen weder leuchtende Vorbilder sein noch einen moralisch besonders anspruchsvollen Lebenswandel vorweisen können. Das ist eine Erwartung, der etwas Vordemokratisches anhaftet. In diesem Weltbild ist der oder die Abgeordnete RepräsentantIn einer tadellosen staatlichen Autorität, der Obrigkeit."

     

    Das ist doch mal ein wirklich guter Beitrag zum "Thema" (des Tages).

    • @Hanne:

      Und auch das ist ein Aussage, die eher erklärend als anklagend wirkt und sich nicht auf eine Person beschränkt, sondern auf unsere Gesellschaft und ihre Anforderungen:

       

      "Das fördert in der Regel eher unerfreuliche als angenehme Eigenschaften. Wer auf dieser Bühne dauerhaft mitspielen will, braucht Ellenbogen, Narzissmus, gute Nerven. Und: Politik macht anfällig für Sucht, vor allem nach öffentlicher Aufmerksamkeit."

  • "...Diese Vorsicht wirkt wenig souverän. Sie unterschätzt die Fähigkeit der Gesellschaft zu Differenzierung und Selbstaufklärung. Und sie hat angesichts der vagen Faktenlage etwas Übereiltes...."

     

    Klar - "Er war Lehrer - &

    Sie schnitt die Kartoffeln -

    Auch mit dem Messer.";))

    kurz - Seine angstgesteuerte -

    Inhaltliche unsolidarische Entgleisung -

    Spiegelt sich vortrefflich & entlarvend

    In seinem Sprachmüll wider.

    Na Mahlzeit.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Aktuell haben die Grünen in BaWü die CDU deutlich abgehängt (ARD-Deutschlandtrend von heute). Dass Kretschmann diesen Vorsprung jetzt, 10 Tage vor der Wahl, nicht aufs Spiel setzen möchte, ist klar.

      Seine sprachlichen Antidrogenkampfmittel aber spotten jeder Beschreibung und schaden dem Ansehen der Partei wahrscheinlich mehr als Becks Drogenfund.

       

      Für morgen erwarte ich vom großen bösen Wadenbeißer & Loser Guido schlimme Tritte gegen seinen immer übermächtiger werdenden Gegner.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Ja ja - Die - Parteisoldaten

        Tun niemand nich verraten

        Laut klappern ihre Spaten

        So hamsese nich & nich im Ohr

        Der heulend alt Erinnyen-Chor -

        Kretschi Palmer Kuhn sei Fritze

        Dess is enn ahle ahle Mütze

        De sann nich sozial - Nee fürs Kapital!

  • "Wer auf dieser Bühne dauerhaft mitspielen will, braucht Ellenbogen, Narzissmus, gute Nerven. Und: Politik macht anfällig für Sucht, vor allem nach öffentlicher Aufmerksamkeit."

     

    Spannende These. Kann aber nicht stimmen. Konsum und Sucht sind nicht so einfach zu externalisieren. Herr Beck hat da schon eine eigene Verantwortung.

     

    Spannend ist doch eher die Frage, wie unabhängig war er in seiner Haltung u Drogen generell. Schliesslich haben wir gegenwärtig eine intensive Liberalisierungsdiskussion - von Grünen und Linken angetrieben.

     

    Es will ja hier auch niemand, dass die Waffenlobby über die Haltung Deutschlands zu Waffenexporten entscheidet ...

  • " Sie unterschätzt die Fähigkeit der Gesellschaft zu Differenzierung und Selbstaufklärung."

     

    Hat die Gesellschaft nicht erst Anfang des Jahres (und noch immer spricht man von "nach Köln") deutlich gemacht, dass große Teile davon eben nicht zu Differenzierung und Selbstaufklärung fähig ist? Auch jetzt spricht alle Welt von Crystal Meth weil sie's der Bild glaubt.

    • @LeSti:

      Man möchte meinen es ist schon das Sommerloch, wenn ein paar Körner illegale Substanz etliche deutsche Journalisten zum schreiben motivieren. Als wären immernoch alle bibeltreu und hätten nie gesündigt, Antiantichristen ihr!

      • @TV:

        wir sind halt so erschöpft von der *flüchtlingscrise*, dass wir uns auf jeden aufreger stürzen