Kommentar Reaktionen auf Beck: Rette sich, wer kann
Nach Volker Becks Amtniederlegung sind viele Grüne schnell auf Distanz gegangen. Doch diese Vorsicht wirkt wenig souverän.
P arlamentarier müssen weder leuchtende Vorbilder sein noch einen moralisch besonders anspruchsvollen Lebenswandel vorweisen können. Das ist eine Erwartung, der etwas Vordemokratisches anhaftet. In diesem Weltbild ist der oder die Abgeordnete RepräsentantIn einer tadellosen staatlichen Autorität, der Obrigkeit.
Wahrscheinlich sind Abgeordnete so, wie das politische Geschäft organisiert ist, als Moralhelden sogar besonders wenig brauchbar. Wie Schauspieler oder Börsenmakler stehen sie unter enormem Druck. Das fördert in der Regel eher unerfreuliche als angenehme Eigenschaften. Wer auf dieser Bühne dauerhaft mitspielen will, braucht Ellenbogen, Narzissmus, gute Nerven. Und: Politik macht anfällig für Sucht, vor allem nach öffentlicher Aufmerksamkeit.
Andererseits haben Parlamentarier eine besondere Pflicht zur Gesetzestreue. Denn sie selbst machen die Gesetze. Daher sollten sie sich auch bitte daran halten.
Dass sich der Grüne Volker Beck in seiner dürren Erklärung rühmt, stets eine liberale Drogenpolitik vertreten zu haben, ist keine kluge Taktik – jedenfalls, wenn es wirklich um Crystal Meth geht. Er setzt eher auf rabiate Vorwärtsverteidigung als auf Gesten der Zerknirschung. Aber für Urteile ist es zu früh.
Wir wissen nicht, ob Beck gelegentlich harte Drogen nimmt oder ob er abhängig ist. Wir wissen nicht, ob er regelmäßig ein kriminelles Milieu finanziert hat oder nur mal etwas ausprobieren wollte. Bei Drogenmissbrauch kommt es aber genau darauf an.
Manche Grüne sind ziemlich schnell auf Distanz zu Beck gegangen. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Wahlkampf, sieht ein „schweres Fehlverhalten“ – das, wie er betont, keineswegs typisch für die Grünen sei. Offenbar hat Kretschmann das Desaster des letzten Bundestagswahlkampfs vor Augen, als die Partei lange keine brauchbare Haltung zu den Pädophilie-Vorwürfen fand. Also lieber sofort auf Distanz gehen – und ja die Assoziationskette Pädosex–Drogen–Grüne–Berlin vermeiden, die in Schwarzwalddörfern womöglich für Verstörung sorgen könnte.
Diese Vorsicht wirkt wenig souverän. Sie unterschätzt die Fähigkeit der Gesellschaft zu Differenzierung und Selbstaufklärung. Und sie hat angesichts der vagen Faktenlage etwas Übereiltes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte