Kommentar Razzien bei Netzaktivisten: Gezielte Einschüchterung
Bewaffnete Polizisten durchsuchen die Wohnungen „Zwiebelfreunde“, obwohl sie Zeugen sind. Dass sie nicht vorgeladen wurden, ist skandalös.
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M an muss es sich so vorstellen: Die Polizei steht bei Ihnen vor der Tür. Hausdurchsuchung. Warum? Sie sind Mitglied in einem Verein, der Spenden für Google sammelt. Und auf einem Blog, auf dem zu Protesten gegen einen AfD-Parteitag aufgerufen wird, steht eine Gmail-Adresse als Kontakt – dann werden Sie doch wohl wissen, wer diesen Blog betreibt?
Natürlich nicht. Genauso wenig, wie die Mitglieder des Vereins „Zwiebelfreunde“ das wissen müssen, denen genau das passiert ist, nur dass der Provider nicht Google, sondern Riseup heißt. Schon dass die Mitglieder in dem Verfahren wegen des Aufrufs als Zeugen geführt werden, ist fragwürdig. Dass Zeugen nicht vorgeladen werden, sondern bewaffnete Polizei ihre Wohnungen durchsucht, ist skandalös.
Für die Entscheidung der bayerischen Polizei gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Keine indes lässt auf ein besonders rechtsstaatliches Selbstverständnis der Behörde schließen. Aktionismus könnte ein Grund gewesen sein – weil man bei der Ermittlung der Blog-Urheberschaft keine Erfolge vorweisen konnte, wurden kurzerhand die Wohnungen von mühselig mit dem Verfahren in Zusammenhang gebrachten Personen durchsucht.
Für die bayerische Polizei wäre das noch eine der schmeichelhafteren Erklärungen. Weil im großen Maßstab auch Unterlagen des Vereins und anderer in den durchsuchten Räumen ansässiger Organisationen beschlagnahmt wurden, vermuten die Betroffenen noch einen anderen Zweck der Maßnahme: mehr über die Aktivisten selbst in Erfahrung zu bringen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass alternative Räume mit fadenscheinigen Begründungen durchsucht werden. Und seit dem G20-Gipfel vor einem Jahr haben die repressiven Maßnahmen gegen linke Infrastruktur deutlich zugenommen, gerade auch in kleineren Städten. Solange die Sicherheitsbehörden auch in diesem Fall nicht zur Aufklärung beitragen, müssen sie sich den Verdacht der gezielten Einschüchterung gefallen lassen.
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