Kommentar Radverkehr: Die Politik fährt hinterher
Die Zahl der Fahrradfahrer in Deutschland nimmt weiter zu. Die Autolobby bekämpft jeden Versuch, den Platz auf den Straßen gerechter zu verteilen.
D er Radverkehr erlebt derzeit eine rasante Entwicklung. Denn neue technische Entwicklungen vergrößern den Einsatzbereich des Fahrrads immer weiter: Elektromotoren steigern die Streckenlänge und Höhendifferenz, die sich bequem per Rad bewältigen lässt. Schicke Lastenräder ermöglichen den problemlosen Transport von Kindern oder Großeinkäufen. Spezielle Räder für SeniorInnen erleichtern die Nutzung auch in fortgeschrittenem Alter. Und neue Technik wie Navigationsgeräte oder wartungsarme Schaltungen und Lichtanlagen machen Radfahren sicherer und attraktiver.
Auf den Straßen bleibt das nicht ohne Wirkung: Die Zahl der FahrradfahrerInnen nimmt seit Jahren stetig zu – so sehr, dass sich an viel befahrenen Kreuzungen regelrechte Fahrradstaus bilden. Denn während die Technik boomt und die Menschen sie nutzen, bleibt die Politik lahm. Als Fortschritt gilt es hierzulande schon, wenn zwei Autospuren etwas enger gemacht werden, um daneben einen schmalen Radstreifen aufmalen zu können; falls dieser gerade mal nicht zugeparkt ist, können sich FahradfahrerInnen dort in dichtem Abstand von Autos überholen lassen.
Angemessen wäre hingegen ein großer Wurf, der der wachsenden Rolle des Radverkehrs wirklich gerecht wird – und der zunehmenden Vielfalt von unterschiedlich schnellen Rädern. Eigene Spuren, die diesen Namen verdienen und auch konsequent freigehalten werden, für wichtige Strecken eigene Straßen, dazu ausreichende und bessere Abstellmöglichkeiten: Das alles lässt sich jederzeit umsetzen – aber nur, wenn den Autos dafür konsequent Fahrspuren und Parkplätze weggenommen werden.
Dass die Hamburger Grünen eine neue Fahrradpolitik im Koalitionsvertrag festschreiben wollen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch insgesamt mangelt es den Verantwortlichen bisher meist an Mut, denn die Autolobby wehrt sich aggressiv gegen jede gerechtere Verteilung des knappen Raums für den Verkehr. Schließlich ist bisher jeder zweite Autofahrer Mitglied im Lobbyverein ADAC – während das Pendant für Fahrräder, der ADFC, nur von jedem 50. Radfahrer unterstützt wird.
Nicht nur diese Zahlen zeigen: Damit all die neuen Fahrräder überall und schnell den Platz bekommen, der ihnen zusteht, müssen die NutzerInnen ihre Anliegen mit deutlich mehr Nachdruck vertreten als bisher.
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