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Kommentar Proteste weltweitSommer der Wut

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

In Ländern wie Brasilien und der Türkei gehen die Gewinner des letzten Jahrzehnts auf die Straße. Sie wollen weiter von den Modernisierungen profitieren.

Die Sehnsüchte wachsen weltweit: Proteste in Brasilien. Bild: reuters

R evolutionen fressen bekanntlich ihre Kinder; heute aber fressen Kinder ihre Revolutionen. Erst in der Türkei, dann in Brasilien gehen die Gewinner des vergangenen Jahrzehnts auf die Straße, um genau jene Regierungen zum Teufel zu wünschen, deren Politik ihnen erst Spielräume gegeben hat. Die Anlässe der Massenproteste in Istanbul und Rio de Janeiro sind auf den ersten Blick und auch im Hinblick auf die Geschichte beider Länder banal: das Fällen von Bäumen für ein Immobilienprojekt hier, die Anhebung von Fahrpreisen im öffentlichen Nahverkehr dort.

Aber die Folgen stellen das gesamte Entwicklungsmodell infrage, auf dem die Beschleunigung der Globalisierung im 21. Jahrhundert und die Hoffnung von Milliarden auf den Aufstieg aus der Armut beruhen.

Erdogans AKP in der Türkei, Lulas PT in Brasilien, aber auch Reformer in Südafrika, Nigeria und zahlreichen anderen Schwellenländern von Venezuela bis Indonesien stehen für ein eindeutiges Projekt: den Bruch mit verknöcherten Diktaturen und das Einschwenken auf eine forcierte Modernisierung. In diesen Ländern entstehen ganze Millionenstädte schneller als in Deutschland eine U-Bahn-Linie, es breiten sich in einer nie da gewesenen Rasanz neue Technologien und der damit verbundene Anschluss an die Welt aus, es entstehen praktisch über Nacht neue Mittelschichten mit großen Ambitionen und Ansprüchen.

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Oft wird dies als chinesisches Modell analysiert, aber in Wahrheit ist China inzwischen ein Sonderfall, weil dort eine untypische politische Verknöcherung herrscht, während in den meisten Ländern der Bruch mit dem Alten zum Fundament der Modernisierung gehört.

Gerade deswegen stehen die Machthaber sofort in der Schusslinie, wenn die von ihnen geweckten Sehnsüchte nicht erfüllt werden. Die wuchernden Metropolen der Schwellenländer sind Frontlinien der Globalisierung. Aber die dort aufflackernden Proteste richten sich nicht gegen das kapitalistische System oder vermutete imperialistische Verschwörungen, sondern gegen Alltagsprobleme: mangelhafte Stromversorgung, unzumutbare Verkehrsinfrastruktur, Willkür einer korrupten Behörde, Übergriffe irgendeines Sicherheitsapparats.

Bild: taz
Dominic Johnson

ist Co-Leiter des Auslandsressorts der taz.

Nur die wenigsten dieser Proteste finden Aufmerksamkeit jenseits ihrer Landesgrenzen. Aber kaum ein asiatisches, afrikanisches oder lateinamerikanisches Land bleibt derzeit davon verschont. Noch vor den Massenprotesten in Istanbul und Rio gab es die Massendemonstrationen in Indien gegen eine brutale Gruppenvergewaltigung mit Todesfolge; es gab in Südafrika die Massenstreiks und Proteste im Bergbau, dem Herzen der Klassenidentität der vom ANC vertretenen schwarzen Mehrheit.

Es gab in Russland die Aufstände eines Teils der modernen städtischen Jugend, die mit dem Putin-System groß geworden ist und es gerade deswegen heute abschütteln will. China wird ständig von sozialen Unruhen erschüttert. Von Algerien bis Angola befinden sich die trostlosen Vorstädte der Metropolen in einem latenten Daueraufstand. Von Kinshasa bis Caracas nehmen Jugendliche in Elendsvierteln, wo nichts ohne Gewalt funktioniert, das eigene Überleben und allmählich auch Recht und Gesetz in die eigenen Hände.

Keine Infrastruktur, kein soziale Absicherung

Ihnen allen geht es darum, dass sie gerade dann, wenn sie die ersten Schritte aus der Armut schaffen, viel schwierigere Bedingungen vorfinden als ihre Altersgenossen in reichen Ländern: keine Rechtssicherheit, keine soziale Absicherung, kein allgemein zugängliches Bildungs- und Gesundheitssystem, keine Infrastruktur, keine Zukunft jenseits der eigenen Daueranstrengung.

Das zwingt auch die gesättigten westlichen Beobachter dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die reichen Länder sind nicht mehr von einem Meer der Elenden umgeben, denen man helfend beistehen müsste, sondern von einem Feuerlauf der Wut, mit dem sich jeder vernetzen sollte, dem die Zukunft der Welt am Herzen liegt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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21 Kommentare

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  • HS
    Hari Seldon

    @frank hertel:

    Bitte,Sie schreiben: "ist eine urbane gebildete Jugend entstanden, die es nun nicht mehr erträgt".

     

    Was Sie schreiben ist die sehr gut formulierte Diagnose für Pubertätserscheinungen. Die Pubertätskinder können die zu altmodischen Eltern nicht mehr erträgen, dann kommt die Rebellion. In der Familie halten sich die Auswirkungen noch mehr oder weniger in Grenzen. Bei der Rebellion der urban gebildeten Jugend muss aber die ganze Gesellschaft die Kosten der verursachten Schaden tragen. Und wie in meisten Fällen stellt sich auch heraus, dass die pubertätsbedingten Rebellionen nicht unbedingt vorteilhaft für die Pubertätskinder sind. Auch nicht für die jetzt Randalierenden. Die Pubertätskinder müssen lernen, wie man sich mit den Realitäten arrangieren sollte. Wie die Psychologen raten, sollten die Eltern nicht immer den Wünschen der Pubertätskinder nachgeben, so müssen die Regierungen auch die Interessenlage der schweigenden Mehrheit auch berücksichtigen. Die Eltern müssen manchmal auch hart sein, genauso wie die Regierungen. Tja, das Leben ist kein Spaziergang auf dem Ponyhof, und das Leben ist auch etwas mehr als über Twitter organisierte Partys.

  • FH
    Frank Hertel

    Zu Beginn der brasilianischen Proteste habe ich der taz-redaktion einen Artikel gemailt, der die Proteste grundsätzlich erklärt. In Ländern, die in den letzten Jahren ökonomisch sehr erfolgreich wurden, ist eine urbane gebildete Jugend entstanden, die es nun nicht mehr erträgt, von dörflich-religiösen Autoritäten bevormundet zu werden.

  • H
    hto

    An ihrer Art der Zensur, Herr Dominic Johnson, läßt sich noch deutlicher erkennen wieviel ihnen die Masse der Leser wert ist, bzw. was für ein spöttisches Ränkespiel sie hier betreiben - die Profitler des Systems sind vor allem die Journalisten der westlichen Welt in Verpflichtung zu journalistischer "Neutralität", und die wollen offensichtlich das alles so konfus und gespalten bleibt bleibt wie es jetzt ist!?

  • A
    anke

    Ich wette selten. Aber für Sie, Herr Johnson, würde ich eine Ausnahme machen. Ich würde wetten, dass sich "die gesättigten westlichen Beobachter", an die Sie apellieren, auch in Zukunft nicht "vernetzen" werden. Dass nämlich simple "Alltagsprobleme" wie eine mangelhafte Stromversorgung, unzumutbare Verkehrsinfrastrukturen, schlecht ausgestattete Schulen und Krankenhäuser, die Willkür korrupter Behörden oder Übergriffe irgendeines Sicherheitsapparats nur die praktischen Auswirkungen jenes von ihnen theoretisch bis in die Einzelzelle durchdrungenen Kapitalismus (man sollte ihn besser Hierarchismus nennen) sind, der von ihnen in tage- und wochenlangen Workshops abstrakt und verbissen kritisiert wird, entgeht ihnen täglich neu. Geht sie ja auch alles noch nichts an bisher, die Bürgersprosse (und –innen) im kommoden Westen.

     

    Aber selbst wenn ich meine Wette verlieren und die Patrizier-Kinder ein entsprechendes Angebot abgeben würden – wieso sollten die Protestierer im Rest der Welt sich eigentlich mit ihnen vernetzen? Was haben sie denn schon zu bieten, die Westler? Eine autismusverdächtige Ignoranz und eine Arroganz, die sich im wesentlichen auf zwei Dinge stützt: auf einen geerbten, im Zuge der Ausbeutung Schwächerer (auch in den Protestländern) angehäuften Wohlstand und die Fähigkeit zum Hedonismus im urbayerischen Stil. Und was, zum Henker, sollen sie damit denn anfangen, die jungen türkischen, brasilianischen oder russischen Habenichtse? Ignorant sind ihre Regierungen auch. Und hedonismusfähig sind sie inzwischen selber. Wenn auch weniger bayerisch. Nur mit dem Erbe, da hapert es noch. Trotz aller "Hilfe" die der Westen bisher geleistet hat. Aber wieso eigentlich TROTZ aller Hilfe?

     

    Für die wütenden jungen Leute in den sogenannten Schwellenländern gibt es keine Zukunft jenseits der eigenen Daueranstrengung. Und so lange das im Westen anders bleibt, wird sich daran auch nichts ändern.

  • HS
    Hari Seldon

    @imhotep,

     

    Teilweise haben Sie Recht. Aber vergessen Sie es auch nicht, dass in einer Demokratie die Mehrheit entscheidet, und nicht unbedingt die Bildung oder die junge Mittelschicht (als Minderheit). Bitte, denken Sie nur an Ägypten. Bei den Wahlen hat es sich herausgestellt, dass die so lautstarke Randalierer nur ca. 2% der Stimmen erhalten konnten. Jetzt hat die "liberale Mittelschicht" Mursi mit der Muslim Bruderschaft erhalten, und bin nicht sicher, dass gerade für diese Schicht Mubarak nicht besser gewesen wäre. Oder aus der Geschichte: Was meinen Sie, war Iran besser für die Demonstranten nach Reza Pahlavi unter Khomeini? Plötzlich mussten die praktisch freie Frauen (ca. 50% der Bevölkerung!) wieder Tschador und ähnliches kennenlernen. So die junge und besser ausgebildete Mittelschicht sollte auch die Kunst der Politik kennelernen, weil die Randalen zu wesentlichen Nachteilen für diese Schicht führen können. Ein anderes Beispiel aus der Vergangenheit. Damals, schon nach Ceaucescu randalierten die Studenten in Bucharest ähnlich wie jetzt in der Türkei, und konfrontierten die Polizei. Dann plötzlich war die Polizei weg von den Strassen. Eine Stunde später hat die Polizei Notrufe von den Studenten erhalten: "Bitte, kommen sie und helfen sie uns". Was passierte: Die Regierung hat einige Züge für Bergbauarbeiter aus den Kohlerevieren für einen Ausflug nach Bucharest zur Verfügung gestellt. Und die Bergbauleute kamen, und haben den Studenten erzählt, wie gut es denen geht... Es war eine einfache (aber sehr effektive) Erziehungsmaßnahme. Nun, die junge Mittelschicht muss auch lernen, wie man sich mit den örtlichen Gegebenheiten arrangieren sollte. Und für gesellschaftliche Veränderungen viel mehr Zeit ist erforderlich als über Twitter organisierte Partys.

  • D
    Derya

    Guter Artikel. Bei den ggw. Krawallen geben ja die altlinken Berufsdemonstranten und Hooligans den Ton an bzw. segeln im Windschatten der Neudemonstrierer um alte Rechnungen zu begleichen. Warum? weil es in der neuen Generation kein wirkliches Anliegen zu geben scheint, keine inhaltliche Auseinandersetzung/Vision sondern nur Pose und Attitüde. "Liken", "retweeten" und coole Sprüche/Aktionen ohne "original content" sind letztlich Internetphänomene, ähnlich dem Harlem shake oder was auch immer gerade für zwei Wochen hip ist. Traurige Avantgarde hier mit ähnlicher Halbwertszeit: die Piratenpartei.

     

    Wer diesen Schwachsinn ernst nimmt und riesige Vermögenswerte zerstört, sogar Menschenleben im Kampf dafür (!?) opfert (so geschehen in der Türkei und in Brasilien) ist nicht mehr ganz dicht, und deren Unterstützer in den Medien habens auch noch nicht kapiert...

  • CS
    Cem S.

    Ein Grund mehr, als Türke die TAZ nicht zu lesen ... dieser Artikel ist ja so was von der Wirklichkeit entfernt. Das tut weh! Schade.

     

    Aufbegehren gegen Bevormundung religiöser Fundis oder gegen korrupte Systeme kann man doch auch als linke TAZ nicht als antikapitalistisch darstellen. Da haben Sie die Türken und auch Brasilianer aber ganz falsch verstanden.

  • V
    vic

    Wenn man (wirtschaftliches) Wachstum als Maß aller Dinge sieht, mag diese Beurteilung zutreffen.

    Doch diesen Leuten geht es um andere Missstände.

    Vom neuen Stadion oder dem zugepflasterten Erholungspark haben sie nichts.

  • HH
    hans hahn

    Die Leute die vornehmlich von der Politik profitieren gehen nun auf die Straße? Irrtum! Die korrupten Politiker und Profiteure dieses Booms schicken Wasserwerfer und Tränengas.

     

    Die Situationen in den Ländern sind völlig unterschiedlich und es zeugt nicht von großer politischer Kenntnis das alles über einen Kamm zu scheren. Schließe mich den anderen hier an, die Qualität des Artikels ist wirklich unfassbar schlecht und geht nicht über eine bloße Meinungsäußerung hinaus.

  • N
    neubau

    Es macht mich wütend, wenn Journalisten Wut nicht mehr von Zorn unterscheiden können.

     

    Diese Menschen sind zornig und zürnen, da ihnen essentielle Menschenrechte und eine Existenz in Frieden und Freiheit verwehrt werden. Wut verfliegt, Zorn besteht.

     

    "Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht." (Gregor I.)

  • I
    imhotep

    Schön zu lesen wie man diese Konflikte so ganzheitlich nach dem eigenen politischen Denkmuster in Einklang bringt. Nur dass in der Türkei eine junge urbane westlich kapitalistische Mittelschicht auf die Strasse geht, welche autokratisch religiöse Bevormundung ablehnt. (Finanziell hat diese Schicht unter Erdogan eher profitiert) In Brasilien demonstrieren die Menschen, die trotz wirtschaftlichem Aufschwungs der letzten Jahre immer mehr in Armut leben. Natürlich kann man nun sagen, der Kapitalismus wäre schuld. Letzendlich ist das aber nichts anderes als Äpfel mit Löwenzahn zu vergleichen.

  • RM
    Reimar Menne

    Wo aber mag sie liegen, die Zukunft der Welt? Das Panorama des Zorns ist gut erfasst in diesem Überblick. Ich habe lange auf sichtbare Emanzipation der ausgebeuteten Armen von den reichen Ausbeutern (uns) gewartet und sehe sie auf dem Wege indem sich Bevölkerungen benachteiligter Länder in Bewegung setzen. Aber außer der -wirklich vorwärtstreibenden- Befreiungsvorstellung höre ich zu selten neue Ideen zur Zukunft der Welt (eine Wirtschaftsweise jenseits des Egoismus, ein Rechtsleben jenseits der Be-sitz-standswahrung, ein Geistesleben jenseits von Narzissmus, Bereicherung und Gewalt), so dass mir vor den kommenden Kämpfen um Teilhabe und neue Verteilung von Gütern und Chancen graut.

    Vielleicht findet in den Zonen des Zorns aber auch das statt: Eine gemeinsame Suche nach Überwindung der Egoismen und nach Ideen, die friedliche und gerechte, gleichberechtigte und uneigennützige Weltbügerschaft ermöglichen.

  • Z
    Zaubamann

    Schade, dies hätte ein gut rechcerchierter Kommentar werden können. Wo soll ich anfangen? Es hat sowohl in der Türkei als auch in Brasilien (Die Proteste sind Landesweit und nicht wie der Autor fälschlicherweise propagiert auf einzelne Städte begrenzt) Tage gedauert bis die deutschen Medien die Proteste wahrgenommen haben und darüber berichteten.

     

    Leider wird wie immer bei der Berichterstattung der Fokus auf die gewaltätigen Verbrecher gerichtet, die Demonstrationen zum Ausleben ihrer Gewaltfantasien missbrauchen.

     

    Es wurde zum Beispiel nicht erwähnt, dass besonders der Protest in Brasilien nicht von den Parteien missbraucht wird, wie man das sogerne aus Deutschland kennt. Es ist doch albern, dass hierzulande die Leute, die die Probleme verursacht haben, gegen sie auf die Strasse gehen.

     

    Die Heterogenität der Proteste ist auch ihr Erfolgsrezept. Mit dem Versuch von aussen ein gemeinsames Ziel aufzuzwingen ist Annonymous Brasilien grandious gescheitert. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Probleme und Ziele, das muss auch die Bewegung wiederspiegeln.

  • F
    Fabian

    Und morgen in der taz: Der Himmel ist blau und die Nacht schwarz.

     

    Was soll mir dieser Artikel sagen?

  • IN
    Ihr NameUdo Riechmann

    occupy schon vergessen? Auch in den entwicklten Ländern stößt der Kapitalismus offensichtlich nicht nur an äußere - Natur -, sondern zunehmend auch auf innere - Finanzen - Widersprüche. Und eine Generation nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems lassen sich die Leute das Denken immer weniger verbieten. In China ist nach den traumatisierenden Ereignisen auf dem Platz des Himmlischen Friedens auch schon eine neue Generation herangewachsen...

     

    Mich erinnert das als alten SDS-Aktivisten trotz des damals noch sehr zähen Informationsflusses an die 60er Jahre VOR 68. - Wir waren übrigens die im Krieg geborenen ohne bewußte Kriegserinnerung.

  • W
    Wahlvieh

    Naja aber wo liegen dann die Probleme mangelhafter Stromversorgung, unzumutbarer Verkehrsinfrastruktur, Willkür korrupter Behörden, Übergriffe irgendeines Sicherheitsapparats?

    Da kommen wir in der Wurzel dann doch wieder zum kapitalistischen System.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Friedlicher Protest kann ein guter Katalysator sein, um bestehende gesellschaftliche Verkrustungen noch weiter aufzubrechen. Wenn eine Regierung, wie in Brasilien, von ihren ursprünglichen Plänen abgeht, kann das als ein anderes Zeichen von Stärke gedeutet werden. Berufspolitiker werden sich eben auch entwickeln müssen. Wenn es den Leuten dort vom Lebensstandart her besser geht, dann entstehen weitere Bedürfnisse und Märkte. Wem soll das schaden? Eins hat uns doch die kapitalistische Entwicklung in den letzten Jahren klar gezeigt: Stinkreiche Milliardäre erzeugen lediglich vagabundierendes Kapital. Das kann gelegentlich sogar Katastrophen hervorrufen. Gerechtere Ertragsbeteiligung stärkt eine gut verdienende, breite Mittelschicht. Und die konsumiert Produkte und Dienstleistungen. Dort wollen diese Leute hin. Mit ihrer Hände und Köpfe Arbeit wollen sie gut verdienen um sich mehr leisten zu können. Volkswirtschaftlich sinnvolle Löhne und Gehälter stärken auch den kulturellen Zusammenhalt von Staaten. Wir sollten täglich dafür beten, dass sie ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen. Wir müssen allerdings auch zur Kenntnis nehmen, dass die meisten Zusammenstöße vom steuergeldbezahlten Polizisten provoziert wurden. Das kann so nicht weiter gehen. In diesem Job ist besonders viel Qualifikation gefragt. Polizei soll freie Meinungsäußerung ermöglichen und Gewalt verhindern. Alles was jetzt in Gang kommt ist nicht aufzuhalten. Bedingt durch die Produktivkräfte sind die Völker gebildeter als noch vor 30 Jahren. Die Menschen stellen Fragen zu ihrem Dasein. Für Demokraten ist das doch erfreulich!

  • B
    bayerntürke

    Was ist nur los mit TAZ??

    Ihre Stärke war immer die gute Recherche. Hier sind nicht die Gewinner auf der Straße sondern die Verlierer der individuellen Freiheitsrechte. Diese jungen Menschen wollen nicht mehr in gebückter Haltung durchs Leben gehen. Der Rückrat schmerzt und sie haben keinerlei berufliche Perspektiven.

    Eine gigantische Korruptionsmaschinerie gepaart mit Hörigkeitsmaßnahmen für alle verängstigten Bevölkerungsgruppen kontrolliert das Land. Ihr preist wohl die jahrzehntelangen Mechanismen der bayerischen CSU als demokratisches Vorbild an. Wie kann man nur so tief sinken.

  • WR
    Wolfgang Russ

    Es ist nicht Wut, die die Menschen antreibt, es ist Zorn!

  • AU
    Andreas Urstadt

    Massenproteste, aber keine Massenloesungen. Souveraen wird der arab spring weggelassen oder Syrien, in den Laendern wurden auch standards erreicht, u a im AllesUmsonstLibyen. Loesungen ueberlaesst man wieder anderen. Weggelassen wurden die durchgeknallten Proteste 2011 in England. In Frankreich, in Spanien, in Griechenland. Es gibt ueberhaupt keine Unterschiede mehr. In islamischen Laendern sind sofort konservative Massen mobilisierbar, die als Waechterrat von der Strasse alle geforderten standards ruinieren. Weggelassen wurden die occupyproteste in USA. Welche Unterschiede bitte. All diese Dinge wurden und werden massenhaft ueber social media organisiert. Die USA und Grossbtitannien haben laengst eine Antwort darauf. Um Terrorismus abzuwehren, muss man nicht wissen, dass in China 2012 900 Milliarden messages verschickt wurden. Das heisst, die gehen an alles. Spielraum sieht anders aus.

  • KT
    Kapitalismus tötet

    Ich denke, Herr Johnson irrt, wenn er meint, die Proteste richten sich nicht gegen das kapitalistische System, sondern gegen Alltagsprobleme.

     

    Denn diese Alltagsprobleme sind ja Symptome des Kapitalismus, das heisst natürlich nicht, dass die Massenproteste notwendigerweise einen politischen Kampf gegen den Kapitalismus führen - das gibt es quasi seit der meistens blutigen Niederschlagung der 68er Revolte in diesen Ländern nicht mehr - aber "objektiv" richten sie sich doch dagegen.

     

    Die sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte haben sich immer an bestimmten Problemen des Alltags abgearbeitet, aber es gab trotzdem häufig ein Bewusstsein, dass die Probleme systemimmanente Wurzeln haben. Was sich geändert zu haben scheint: die sozialen Bewegungen werden heute, gefördert durch neue Kommunikationstechnologien, geradezu zum Massenphänomen und dadurch steigt die Heterogenität.

     

    Steigende Fahrpreise, fehlende soziale Infrastruktur, keine oder magelhafte Bildung und Gesundheitsversorgung usw. - das sind alles Folgen der in den letzten Jahrzehnten verfolgten neoliberalen Umstrukturierung, die den Privatinvestoren alles in den Rachen geworfen hat. Und diese Privatinvestoren haben bekanntlich null Interesse daran, dass die Menschen sich wohl fühlen, sondern sie wollen Profit machen.

     

    Dazu kommt noch, dass die gegenwärtigen Proteste auch sehr heterogen sind. Es gibt also durchaus auch überzeugte Antikapitalisten unter den Demonstranten, die sehr wohl explizit gegen das System kämpfen. Ob sie in der Minderheit oder Mehrheit sind, weiss ich nicht, aber auch das ist ja eine Dynamik, die sich ändern kann. Und wenn die Antikapitalisten heute noch in der Minderheit sind, so kann es ja passieren, dass sie morgen schon eine Mehrheit stellen.