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Kommentar Pro-Erdoğan-Demo in KölnEin Konflikt als Farce

Eine bizarre Demo und ärgerliche Aussagen deutscher Politiker. Dabei müsste so vieles in der Türkei-Debatte ernsthaft diskutiert werden.

Am Sonntag in Köln Foto: dpa

E ine Liste mit Toten, die minutenlang vorgelesen wird; ein Israelhasser, der das angebliche „Türkei-Bashing“ der deutschen Medien geißelt; ein Pop-Song, dessen Refrain aus dem Namen des türkischen Präsidenten besteht – auch abseits der Behauptung, dass Recep Tayyip Erdoğan für Demokratie und Menschenrechte steht, hatte die Pro-Erdoğan-Demo am Sonntag in Köln einige Bizarrheiten zu bieten. Das wiederum ist erstmal eine gute Nachricht: Wer wie die Demo-Organisatoren Verschwörungstheorien zur Medienkritik braucht, dem sind die stichhaltigen Argumente schon längst ausgegangen.

Umso ärgerlicher ist deshalb, wenn die Rhetorik deutscher Politiker den türkischen Präsidenten stärkt, anstatt ihn weiter zu schwächen. Staatssekretär Jens Spahn (CDU) forderte die hier lebenden und zum Teil auch geborenen Erdoğan-Anhänger auf, doch bitte in der Türkei zu demonstrieren. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) bat darum, einen innenpolitischen Konflikt nicht in die „Wahlheimat NRW“ zu tragen. Für jeden Redner war dies eine Steilvorlage, um das Mißtrauen, das die deutsch-türkischen Erdoğan-Anhänger gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft hegen, in politisches Kapital für die AKP zu verwandeln.

Die Auseinandersetzung mit der Türkei sollte deshalb Politikfelder jenseits der Identitätspolitik – „Demokratie-Verkörperer“ versus „Autokraten-Fans“ – besetzen. Zivilgesellschaftlich ist es sicherlich sinnvoller, geschassten Akademikern Gastdozenturen anzubieten, und verfolgten Journalisten mit Recherche-Stipendien unter die Arme zu greifen, anstatt sich über die Legitimität von Pro-Erdoğan-Demos auf Kölner Boden zu streiten.

Aber auch auf dem Feld der Außenpolitik existieren Möglichkeiten, mehr Druck auf den NATO-Partner Türkei auszuüben. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei, zudem ist die im Flüchtlingsdeal ausgehandelte Visafreiheit ein Punkt, mit dem die AKP bei Deutsch-Türken punkten kann. Ändert Merkel an dieser Konstellation etwas, droht ihr jedoch zweifacher Ärger – mit den CSU-Rechtsaußen, aber auch mit den türkischsstämmigen Mitgliedern ihrer Partei. Also werden wir nach Böhmermann und der Demo in Köln auch den nächsten Konflikt mit der Türkei wieder als Farce erleben. Unterhaltungswert hat das alles ja.

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11 Kommentare

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  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    und was lieber Herr Werthschulte, hätten die deutsch Politiker sagen sollen?

  • In den Nachrichten hörte ich (in akzentfreiem Deutsch von einer kopftuchtragenden Frau um die 40) den folgenden O-Ton: „Wir demonstrieren für unser Land und unserer Regierung, …“

    Was macht diese Frau in Deutschland?! Mehr als Urlaub ja wohl hoffentlich nicht!

     

    Leute, die sich in Deutschland als Angehörige von Erdolfgans Faschostaat fühlen, sollen doch bitte schnellstens in ihr Paradies gehen und dort ihrem Führer dienen. Ich weiß nicht, was die hier in Deutschland wollen.

  • Sehr geehrter Herr Werthschulte,

    ich hatte den Text von Jens Spahn im "Tagesspiegel" bereits gelesen, als ich Ihre Kolumne in der TAZ las.

    Ich vermute heftig, Sie haben den Spahn-Text nicht genau gelesen. - Ich empfehle sehr: ermöglichen Sie Lesern Ihres Kommentars künftig eine einfache Lektüre des Spahn-Textes; hier ist der Link zu dem Spahn-Text: http://www.tagesspiegel.de/politik/jens-spahn-ueber-tuerken-in-deutschland-unser-praesident-heisst-gauck-nicht-erdogan/13942424.html

  • Erdogan - ist er der zweite Lupenreine nach Wladimir I ?

  • Die innenpolitische Auseinandersetzung der Türkei muss auch in Deutschland diskutierbar sein. Alles andere ist undemokratischer Quatsch. Aber natürlich demokratisch ohne Gewalt.

    Wir müssen Stellung beziehen pro Demokratie, Presse- und Demonstrationsfreiheit und wir müssen darauf achten, dass es weiterhin eine türkischsprachige freie Presse gibt - denn nichts wäre schädlicher, wenn auch die hiesigen Türken nur noch Erdogan-Propaganda über die Situation in der Türkei erfahren würden.

    Bietet den verbotenen Zeitungen Asyl in Deutschland an. Schafft Professuren für die von der Säuberung der Unis betroffenen Forscher, damit die freien Stimmen der Türkei überleben können.

    Die Auseinandersetzung ist zwischen Diktatur und Freiheit. Wenn wir aber die Vereinfacherer beider Seiten gewähren lassen, wir daraus eine Auseinandersetzung zwischen Türken und Deutschland - das wäre fatal und traurig.

  • Nice, paar tausend National-Religioten zeigen Flagge und alle sind um Nettiquette bemüht.

  • Die Forderungen bezüglich drangsalierter Dozent- und JournalistInnen teile ich, bezweifle jedoch, dass das ErdoganbejublerInnen zum Umdenken brächte. Vielmehr steht zu befürchten, dass Aufrufe aus der Türkei, gegen die Aufgenommenen vorzugehen, von besonders Fanatischen auch umgesetzt würden.

    Die derzeitige Erdoganbegeisterung bei vielen DeutschtürkInnen ist, auch wenn er selbst das so sehen mag, keine Naturnotwendigkeit, aber ein Faktum, von dem ich leider nicht weiß, wie es geändert werden könnte, ohne den Betroffenen das Gefühl zu geben missachtet zu sein. Auch wenn ich nicht zu den Vielen gehöre, die behaupten, mit den Türkinnen sei sowieso kein respektvolles zusammenleben möglich und sie hätten gar nicht erst kommen dürfen, habe ich derzeit ein massives Problem, viele von ihnen zu verstehen und nachzuvollziehen, was in ihnen vorgeht.

  • Was für eine weltfremde Naivität.

  • "Zivilgesellschaftlich ist es sicherlich sinnvoller, geschassten Akademikern Gastdozenturen anzubieten, und verfolgten Journalisten mit Recherche-Stipendien unter die Arme zu greifen, anstatt sich über die Legitimität von Pro-Erdoğan-Demos auf Kölner Boden zu streiten."

     

    Um die innerpolitischen Konflikte der Türken in Deutschland noch auszuweiten? Geht´s noch? Diese Probleme gehen Deutschland nichts an und müssen in der Türkei intern behandelt und gelöst werden. Wer sich zu Erdogan berufen fühlt, möge ihn in Ankara unterstützen, nicht in Köln.

  • "...Steilvorlage, um das Mißtrauen, das die deutsch-türkischen Erdoğan-Anhänger gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft hegen, in politisches Kapital für die AKP zu verwandeln." Erdowahn-Anhänger in Deutschland? Das können doch nur Besucher aus der Türkei sein. Ein Deutschtürke der dritten Generation wird doch wohl kein Erdowahn - Anhänger sein, sondern eher ein Merkel-Fan.

  • Die Auseinandersetzung mit der Türkei sollte deshalb Politikfelder jenseits der Identitätspolitik – „Demokratie-Verkörperer“ versus „Autokraten-Fans“ – besetzen.

     

    bitte was ? „Demokratie-Verkörperer“

     

    eine klammheimlicher Erdogan Schmusekurs von der TAZ?

     

    Dazu passt auch das taz.reisen Angebot 15-23.102016 in dei modene Türkei.